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Gemeinsam Trauern - Das Schweigen durchbrechen!

Christlich-muslimisch-jüdische Erinnerung an den Genozid in Srebrenica 1995

Susanna Faust Kallenberg, Bildmitte, beim Verteilen der weißen Gedenkrosen I Foto: Rolf Oeser
Susanna Faust Kallenberg, Bildmitte, beim Verteilen der weißen Gedenkrosen I Foto: Rolf Oeser

Am vergangenen Wochenende fand im Großen Saal des Dominikanerklosters eine Gedenkveranstaltung statt, die den bosnischen Genozid, 30 Jahre nach Srebrenica, in den Mittelpunkt rückte.

Diese von einem christlich-jüdisch-muslimischen Kooperationsbündnis getragene Veranstaltung hatte mehrere Ziele. Zum einen wollte sie an den Genozid in Srebrenica erinnern und zum anderen nach den Ursachen fragen, die diesen Genozid verursacht haben und eine Aufarbeitung der Ereignisse bis heute erschweren. Daraus folgend sollten Perspektiven für eine Erinnerungskultur entwickelt werden.

In der Diskussion ging es darum, Brücken zwischen Srebrenica und Frankfurt zu bauen. Diese Brücken wurden wortwörtlich aufgegriffen, in einem Film, in dem die weiße Rose als ein Synonym für Gerechtigkeit und Frieden von bekannten Frankfurterinnen und Frankfurtern vom Eisernen Steg in den Main geworfen wurde, um sie von dort aus in die Welt zu schicken.

Susanna Faust Kallenberg, Pfarrerin für interreligiösen Dialog im Evangelischen Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach über diese Veranstaltung:

Als Pfarrerin für Interreligiösen Dialog war ich 2019 mit einer Gruppe aus bosnisch stämmigen muslimischen Frankfurterinnen und Frankfurtern und Mitgliedern unserer evangelischen und der katholischen Stadtkirche in Sarajevo und Srebrenica. Die Hilflosigkeit und Trauer, die ich dort empfand, führte mich auf dem direkten Weg zu dieser Veranstaltung.

Die noch junge Zeitzeugin Dzenita Krupalija und der ähnlich junge Zeitzeuge Amer Dezid beeindruckten mich mit ihren Beiträgen ebenso, wie der Intendant des bosnischen Fernsehens Senad Omerasevic, Dennis Gratz, ein Mitglied des Abgeordnetenhauses der Federation Bosnien-Herzegowina und Vahidin Preljevic, Professor für Erinnerungskultur an der Universität in Sarajevo, die extra angereist waren, um mit uns im Dominikanerkloster zu diskutieren. Uns, das waren Professorin Amina Omerika vom Zentrum für Islamische Studien der Uni Frankfurt, die ebenfalls bosnischer Abstammung ist, Roberto Fabian, der Interreligiöse Referent der Jüdischen Gemeinde und stellvertretende Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Hessen, und Hanif Aroji, ein Mitglied des Pädagogischen Teams der Bildungsstätte Anne Frank.

Zu meiner Trauer gesellte sich an diesem Abend auch Erkenntnis. Als Moderatorin des Podiums habe ich einiges verstanden, was mich zu einer Weiterarbeit ermutigt hat.

Der bosnische Genozid bietet uns Christinnen und Christen in Deutschland die Chance, muslimische Menschen in eine integrierende Erinnerungskultur miteinzubeziehen. So wurden jüdische Menschen in den von serbischen Milizen eingenommenen Gebieten zwar ebenfalls unterdrückt, aber nicht vernichtet. Viele bosnische muslimische Menschen berichten davon, wie sie von ihnen unterstützt oder versteckt wurden.

Die Geschichten der bosnischen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen klangen in den Ohren der jüdischen Besucherinnen und Besucher nur allzu vertraut: Die Segregation nach Ethnien und Religionszugehörigkeit, die Vertreibung und Vernichtung, die Deportation der Väter mitten in der Nacht, Angehörige, die nach 30 Jahren noch vermisst werden. Menschen, die bis heute ihren Besitz nicht wiederbekommen haben.

Eine weitere wichtige Erkenntnis, die wir angesichts eines zunehmenden Rechtsextremismus und einer wachsenden Islamfeindlichkeit unter extrem konservativen Christinnen und Christen nicht aus dem Blick verlieren sollten, war, dass dieselben Argumente, die heute bei uns benutzt werden, um Islamfeindlichkeit zu begründen, in Bosnien zu einem Genozid geführt haben.

Menschenverachtende Maßnahmen sind nur dann möglich, wenn Menschen entmenschlicht werden. Im Fall von Srebrenica wurden sogar die Leichname hinterher mit Bulldozern in verschiedenen Massengräbern verteilt, wie Omerasevic dies von seinem Großvater berichtete, um so den Hinterbliebenen das Trauern zu erschweren. Ein solches Handeln bedarf einer Ideologie, die über den Tod hinausgeht.

Fabian, der bis vor kurzem als Konrektor an einer großen Gesamtschule tätig war, erzählte davon, dass auch in den nachfolgenden Generationen in Deutschland junge Menschen mit serbischen Wurzeln diese Ideologie unreflektiert weiterpflegen. 30 Jahre nach einem Völkermord, der bewiesen und bestens anerkannt ist, wie Professor Preljevic uns bestätigen konnte. Wie kann angesichts verhärteter Fronten eine Aufarbeitung der Ereignisse ermöglicht werden? Ist eine Entschuldigung durch die Täterinnen und Täter, die als notwendige Voraussetzung für eine Versöhnung gilt, überhaupt möglich?

Es war Hanif Aroji von der Bildungsstätte Anne Frank, der uns allen mit einer wichtigen Aussage zu denken gab. Er hat uns darauf hingewiesen, dass ein Schuldbekenntnis erst dann innerhalb einer Erinnerungskultur möglich ist, wenn es die nationale Identität eines Landes nicht zerstört. Für Deutschland war es nach dem Zweiten Weltkrieg von Vorteil, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung hat Deutschland sogar Pluspunkte gebracht. Inzwischen gilt es als Vorzeigenation in der Aufarbeitung einer Täter-Erinnerungskultur.

Erst wenn die serbische Identität zugewinnen kann, indem sie sich zu ihrer Schuld bekennt, wird sie das auch tun. Sie wird sich nicht freiwillig selbst zerstören. Ein stärkerer Partner wie zum Beispiel die Europäische Union muss also die Anerkennung des Genozids und ein öffentliches Schuldbekenntnis zur Vorbedingung für einen Beitritt oder wirtschaftliche Verträge machen. Natürlich ist das nur ein Anfang, aber aller Anfang ist schwer.

Wir haben an diesem Abend auch einen Film gezeigt, von dem wir hoffen, dass er der Anfang zu etwas Größerem ist. Nach 30 Jahren wollen wir nicht bei einem Genozid stehen bleiben. Kriege, Bürgerkriege und Massaker an unschuldigen Menschen gibt es an vielen Orten auf dieser Welt. Für all diese Menschen haben wir auf Instagram die Aktion White Rose for Justice and Peace (whiterose.justice_peace) gestartet. Es ist ein Hashtag. Wir fordern Menschen dazu auf, weiße Rosen in fließenden Gewässer, das heißt in einem Fluss oder Bach, schwimmen zu lassen und ein Foto davon zu machen und dieses Foto auf ihren Instagramkanal oder Facebook-Account zu stellen. Wir hoffen, dass wir auf diese Weise zu einem gerechten Frieden aufrufen können. Denn der Krieg dauert schon viel zu lange, wir wollen den gerechten Frieden in Erinnerung rufen.

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Regelmäßig veröffentlichen wir im EFO-Magazin Gastbeiträge von Frankfurter und Offenbacher Pfarrerinnen und Pfarrern oder anderen interessanten Persönlichkeiten.

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