Leonore Preis für feministische Theologie: Wissenschaft und Gesellschaft zusammenbringen
Drei Frauen haben gestern in der Evangelischen Akademie Frankfurt den „Leonore-Preis“ für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Feministischen Theologie oder Gender-Studies in der Theologie erhalten: Zu gleichen Teilen ging die mit 3.000 Euro dotierte Auszeichnung an Christine Wenona Hoffmann, Juniorprofessorin in Frankfurt am Main, und an Christiane Nagel, Privatdozentin in Marburg. Mit dem Nachwuchspreis wurde die in Marburg eingereichte Magisterarbeit von Nasreen Sarah Shah geehrt, verknüpft ist diese Auszeichnung mit 500 Euro.
Vergeben wird die nach der früheren Direktorin der Evangelischen Akademie in Hessen und Nassau, Leonore Siegele-Wenschkewitz, benannte Auszeichnung alle zwei Jahre vom Verein zur Förderung Feministischer Theologie in Forschung und Lehre in Zusammenarbeit mit den Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau, der Evangelischen Akademie Frankfurt und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN).
Der Hauptpreis wird geteilt: Er geht an Wissenschaftliche Arbeit und Seminargestaltung
Freude darüber, dass mit Hoffmann erstmals eine Wissenschaftlerin für eine Seminargestaltung prämiert wurde, drückte Professorin Renate Jost, ehemals Augustana-Universität Neuendettelsau, aus. Eingereicht hatte Wenona Hoffman, geboren 1986 in den USA, die Dokumentation einer Lehrveranstaltung zu „Identität und Diversität als Thema von Gottesdienst und Predigt“. Gefallen hat den Jurorinnen und Juroren die Vernetzung mit den Fächern Soziologie, Ethnologie, Islamische Studien, Katholische Theologie und den Gender-Studies des Cornelia-Goethe-Zentrums.
Viel zu sehr sei Gottesdienst an „weißen männlichen Normen orientiert“, attestierte Jost, Vorsitzende des Vereins zur Förderung Feministischer Theologie. Wenona Hoffmanns Wirken im Fachbereich Praktische Theologie der Goethe-Universität stehe für sensiblen Umgang mit Diversität in Gottesdiensten, zudem bewege sie sich „wissenschaftstheoretisch auf hohem Niveau“.
Die Habilitation Hoffmanns entstand auf Grund von Erfahrungen in der Seelsorgepraxis. Bei dem Versuch, diese zu reflektieren, habe sie erlebt, dass es zu der Seelsorge mit „Armen“, mit Menschen, die auf der Straße leben, wissenschaftlich nahezu nichts gebe. Dagegen habe sie etwas unternehmen wollen. Gegenwärtig ist Christine Wenona Hoffmann mit einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin dabei, „strukturiert zu erarbeiten“ – auch für Unterrichtszwecke – „welche Stimmen im Kanon der Praktischen Theologie bisher eigentlich kaum vorkommen oder schlicht überhört werden“.
Von der Harvardprofessorin Mayra Riveras hat sich Christiane Nagel, Privatdozentin in Marburg, inspirieren lassen bei ihrer Studie zu „Guter Theologie“. Helge Bezold, Theologischer Studienleiter der Evangelischen Akademie Frankfurt, kennt Nagel noch aus Marburger Studienzeiten. Als eine der „Kritisch-Denkensten“ habe er sie erlebt, sagte er bei der Vorstellung Nagels. Die Preisträgerin kommt aus der Wissenschaftstheorie – und das mit Enthusiasmus. „Wir brauchen starke Forschung, die sich komplizierten Themen widmet“, äußerte die 1988 in Bautzen geborene Theologin. Sehr konkret meinte sie: „Wir müssen als Kirche Diskursräume schaffen“.
Theologie und Gesellschaft zusammenbringen
Um solche Diskursräume ging es auch bei der gut besuchten Veranstaltung im Großen Saal der Evangelischen Akademie Frankfurt, unter anderem mit Nachwuchstheologinnen, aber auch Heidi Rosenstock, 93, Biologin, Prädikantin, erste Laiin, die zur Gemeinde- und Organisationsberaterin in de EKHN qualifiziert wurde. Ein Film wurde im Saal eingeblendet zu der Mitgründerin des Vereins zur Förderung Feministischer Theologe. „Es braucht ein Rudel“, sagt Rosenstock darin. Ute Knie, ehemals Direktorin der Evangelischen Akademie Römer 9 und im Vorstand engagiert, wies auf die roten Fahnen, die auf den Tischen der Festveranstaltungen standen, hin. „Es ist Zeit, öfters mal rote Flagge zu zeigen“, gegen Verrohung, gegen Bedrohung der Demokratie, gegen Hassrede, so Knie. Es brauche mehr Frauen wie Leonore Siegele-Wenschkewitz, die sich engagiert gegen Antisemitismus einsetzte, die für feministische Themen in der Kirche kämpfte und die „ein großherziger und warmer Mensch“ war, sagte die aktuelle Akademiedirektorin Hanna-Lena Neuser in ihrer Begrüßung.
Nasreen Sarah Shah bekam nicht nur einen Preis überreicht, sondern auch ein Geburtstagsständchen zu hören – zum 26. In der Tasche einen Magister, hat sie vor wenigen Wochen eine Assistentenstelle in Göttingen angetreten. Beeindruckt habe sie die Eigeninitiative, das Engagement mit dem Shah an sie herangetreten sei, sagte Professorin Christl Maier, Marburg, in ihrem Grußwort. Eine herausragende, „absolut preiswürdige Arbeit“ habe sie als Zweitkorrektorin zu lesen bekommen zu dem Thema „Intersektionalität und interracial Ehen. Die fremde Frau im literarischen Diskurs“ am Beispiel von Esra 9-10“, sagte die Expertin für Altes Testament bei der Festveranstaltung.
Gerne hätte sie Shah gehalten, aber sie verstehe, dass die Nachwuchswissenschaftlerin in Göttingen von einer Traumstelle spricht. Mit der Königin Isebel aus dem Buch der Könige werde sie sich in ihrer Dissertation beschäftigen, berichtete Nasreen Sarah Shah. „Wir können in der feministischen Theologie auf mehr als vierzig Jahre Forschungsgeschichte in diesem Bereich zurückblicken, in denen viel erreicht wurde“, sagt die 1999 in Achern geborene Shah, „trotzdem gibt es heute neue und andere Themen, an denen weiter geforscht werden muss“. Sie hofft, dass es gelingt, die Erkenntnisse durch „Wissenschaftskommunikation auch in die kirchliche Praxis zu tragen“.
Ute Knie und Heidi Rosenkranz | Foto: Doris Stickler
Christiane Nagel | Foto: Doris Stickler
v. li. Anja Schwier-Weinrich, Evangelische Frauen in Hessen und Nassau, Professorin Christl Maier, Nachwuchswissenschaftlerin Nasreen Sarah Shah I Foto: Doris Stickler
Professorin Christine Wenona Hoffmann I Foto: Doris Stickler