Ethik & Werte

Danke für den Blumenkohl, danke für die schöne Gurke

Wie, du isst kein Fleisch? Wer vegetarisch lebt, muss sich kaum noch dumme Sprüche anhören. Das ist eine gute Nachricht für die Schöpfung. Und für uns alle.

Obst und Gemüse machen sich als Dekoration besser als Würste und Schnitzel. Aufnahme aus der Erlöserkirche in Oberrad. | Foto: Oliver Tamagnini
Obst und Gemüse machen sich als Dekoration besser als Würste und Schnitzel. Aufnahme aus der Erlöserkirche in Oberrad. | Foto: Oliver Tamagnini

Das Erntedankfest ist seiner Zeit voraus gewesen – schon immer sind die Kirchenaltäre zur traditionellen Feier der Schöpfung im Herbst nach guter Sitte vegetarisch geschmückt, wenn nicht gar vegan. Die Gründe mögen pragmatisch sein, denn Würste und Schnitzel fügen sich einfach nicht so schön in die Deko ein, wie Körbe voller Äpfel, Maiskolben oder Kürbisse. Machen wir uns nichts vor: Obst, Gemüse und Getreide sehen hübscher aus als tote Tiere. Gemüse wirkt mehr wie die heile Welt, die bei diesem Gottesdienst gern mit Kindern zelebriert wird. Wir ernähren uns von der Schöpfung, und dafür sagen wir einmal im Jahr „Danke“. Danke für den Blumenkohl! Danke für die schöne Gurke!

Aber wie und was wollen wir eigentlich essen, auch an den übrigen 364 Tagen im Jahr? Was sollten wir essen? Und was sagt es über uns aus, was wir essen?

Darüber machen sich offenbar immer mehr Menschen Gedanken. Laut einer Studie im Auftrag des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels gaben 41 Prozent der Befragten an, Flexitarier zu sein, also nur gelegentlich Fleisch zu essen. Neun Prozent ernähren sich demnach ausschließlich vegetarisch und drei Prozent vegan. Je jünger die Befragten sind, desto häufiger ernähren sie sich fleischlos: Von den unter 30-Jährigen bezeichnen sich 15 Prozent als Vegetarier:innen. Die Sorge ums Tierwohl ist vielleicht noch nicht ganz im Mainstream angekommen, aber sie ist auf dem Weg dorthin. Das ist eine gute Nachricht.

Anders als früher stehen vegetarische Alternativen heute völlig selbstverständlich zur Wahl, ob in der Kantine, auf dem Gemeindefest oder beim 90. Geburtstag des Großonkels. Selbst die Aufregung um einen von den Grünen ins Gespräch gebrachten „Veggie-Day“ ist schon vor Jahren verebbt. Den Spruch „Hä? Du isst kein Fleisch? Aber Hühnchen, oder?“ muss sich niemand mehr anhören, und für ein veganes Curry muss man keine „Volxküche“ auf einem linken Festival aufsuchen.

Auch die Kirchen beteiligen sich an dem Diskurs. Fragen rund um Tierwohl und Tierethik stehen etwa im Fokus des diesjährigen Ökumenischen Tags der Schöpfung am 5. September, der dazu aufruft, Tieren mit Respekt zu begegnen und sie zu schützen. Das alles sind positive Ansätze, die zeigen: Wir sind auf dem richtigen Weg. Es reicht allerdings noch lange nicht, wir müssen uns deutlich steigern.

In der Klimakrise können wir uns nicht mehr leisten, gutes Essen nur als schöne Deko zu verwenden, auf Instagram oder im Gottesdienst. Wenn ein Tag im Kirchenkalender dazu führt, dass wir über Ernährungsgewohnheiten ins Gespräch kommen, wunderbar. Wenn wir uns einfach auf dem Weg zur U-Bahn unterhalten, ist das natürlich genauso gut. Aber egal wo: Wir müssen reden.


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Anne Lemhöfer 154 Artikel

Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de