Ethik & Werte

Ewiges Leben? Ohne mich!

Unserer Kolumnistin graust bei dem Gedanken, noch den Urururenkelinnen mit ihren alten Geschichten und Weisheiten auf die Nerven zu fallen.

Anne Lemhöfer ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. |Foto: Tamara Jung-König
Anne Lemhöfer ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. |Foto: Tamara Jung-König

Aus dem Lateinunterricht sind bei mir vor allem Bonmots antiker Philosophen hängengeblieben. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ oder „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“. Ich rollte die Augen, damals mit 16.

Nichts Neues? Wie beige war das denn bitte? Ich würde die Welt in nie da gewesener Tiefe ergründen, sie verbessern, erneuern, ein vollkommen außergewöhnlicher Mensch werden, der noch außergewöhnlichere Menschen kennenlernt, vielleicht einen guten Sozialismus erleben, das Ende von Gier, Arschigkeit, Rosinen im Käsekuchen. Vielleicht würde sogar jemand endlich das ewige Leben freischalten? Next level, für alle.

Nichts davon ist eingetreten, obwohl: Rosinen sind tatsächlich auf dem absteigenden Ast. Das ewige Leben heißt heute „Longevity“, und angeblich sollen bald mindestens 120 oder 150 Jahre drin sein. Wenn ich das höre, fühle ich mich unendlich müde. Wie, noch länger? Noch mehr vom selben, nur dann eben mit immer mehr Alterswehwehchen, von denen bei mir die ersten schon jetzt, mit 47, ihre fiesen Häupter zum Heben bereit machen?

Müssen wir denn wirklich noch unsere Urururenkel:innen zuschwätzen mit Erzähl-Loops, die sie dann alle seit 60 Jahren auswendig kennen, bevor wir endlich in Würde abtreten dürfen? Ist ein Sommer mit 48 Grad so viel schöner als einer mit 36? Gibt es dann Gated Communitys für reiche Ultra-Greise ab 110 (die Armen sterben immer jung, das wird in der Zukunft nicht anders sein)? Gibt’s dann noch weniger Geld, um gute Schulen zu bauen, weil die Jungen noch uninteressanter für die Gesellschaft werden? Ist das dann das Paradies? Oder doch nur Narzissmus, next level?

Ich will das nicht. Als vollkommen durchschnittlicher, fehlbarer Mensch, der seinen ebenso gearteten Mitmenschen so durchschnittlich viel Freude und Leid bereitet wie alle anderen acht Milliarden Durchschnittstypen auf diesem ohnehin überbevölkerten Planeten, darf ich gerne eines Tages von der Bildfläche verschwinden. Und Raum machen für neue großartige, gemeine, bekloppte, schöne, weniger schöne, mittelmäßige, liebende, hassende und rundum menschliche neue Bewohner:innen für meine geliebte alte Erde. 

Neues unter der Sonne? Klar gibt es das. Eine ganze Menge. Und es wartet darauf, immer wieder mit neuen, staunenden Augen entdeckt zu werden.


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