Frieden heißt auch Schutz vor Aggressoren
Manchmal muss man Gewalt in Betracht ziehen, um Aggressoren und Kriegstreiber in ihre Schranken zu weisen: Diese Einsicht hat die Evangelische Kirche in Deutschland dazu bewogen, eine neue Friedensdenkschrift zu veröffentlichen. Denn angesichts der heutigen Weltlage, vor allem mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine, hat die alte Friedendenkschrift von 2007 nicht mehr so recht gepasst.
Damals war die evangelische Friedensethik von der Hoffnung getragen, dass internationales Recht und zivile Konfliktbearbeitung ausreichen, um Streitigkeiten zwischen Ländern zu befrieden. Dass Waffen und Gewalt nicht gebraucht werden. Die neue Denkschrift stellt hingegen fest: „Als universale politische Ethik lässt sich der Pazifismus des kategorischen Gewaltverzichts ethisch nicht legitimieren.“
Manche kritisieren, die Kirche würde sich damit von zentralen christlichen Prinzipien verabschieden, etwa von Jesu Aufforderung „Wenn dir jemand auf die eine Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.“ Es gibt aber einen Unterschied zwischen einer persönlichen Entscheidung für Gewaltfreiheit und einer politischen Positionierung. Denn bei letzterer trägt man auch Verantwortung für andere.
Die neue Friedensdenkschrift macht das deutlich, indem sie den Schutz vor Gewalt ins Zentrum ihrer Überlegungen stellt: Nur wer keine Angst vor Gewalt haben muss, kann frei leben, soziale Ungleichheit abbauen und Meinungsverschiedenheiten austragen. Also tun, was für einen gerechten Frieden notwendig ist.
Tatsächlich hat sich in den vergangenen fast zwanzig Jahren weniger die Position der Kirche verändert als vielmehr die Welt. 2007 war „der Westen“, also die Allianz Nordamerika und Europa, das unbestritten mächtigste Bündnis. Es hatte sowohl kulturelle als auch militärische Dominanz. Aus einer solchen Position der globalen Stärke heraus war ein radikales Bekenntnis zum Gewaltverzicht richtig: Wenn die Starken auf Gewalt verzichten, kommt man dem Frieden näher.
Heute ist die Welt aber multipolar geworden. Andere Akteure haben an kultureller und militärischer Stärke gewonnen und setzen sie auch ein, um ihre Interessen durchzusetzen. In dieser Situation kann ein kategorischer Verzicht auf jegliche Gewalt bedeuten, dass man zulässt, wie anderen Gewalt angetan wird. Und auch das ist unchristlich: „Rettet den Ausgeplünderten aus der Hand des Gewalttäters“ fordert etwa der Prophet Jeremia (22,3).
Wir sind also nicht nur dazu aufgerufen, selbst auf Gewalt zu verzichten, sondern wir sollen auch andere vor Gewalt schützen. Das kann im konkreten Fall zu schwierigen Abwägungen führen. Gut, dass die neue EKD-Friedendenkschrift sich dieser Herausforderung stellt.
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