Klarer Trend zu individueller Entscheidungsfreiheit
Für meine Großeltern – geboren um 1920 – war die Sache noch klar: Selbstverständlich wollten sie eine Erdbestattung, also eine Beisetzung im Sarg. Eine Feuerbestattung, die Verbrennung des Leichnams mit Urnenbeisetzung der Asche, kam für sie nicht in Frage. Dabei spielte Tradition ebenso eine Rolle wie Religion: Die „leibhafte“ Auferstehung wurde oft noch wörtlich verstanden, und die Vorstellung, beim Jüngsten Gericht als Häuflein Asche vor den Richtergott treten zu müssen, löste entsprechende Panik aus.
Als 1934 – also im Nationalsozialismus – die Feuerbestattung bewusst als Alternative zur traditionellen Erdbestattung rechtlich gleichgestellt und geregelt wurde, konnte sich das nur jede:r Zehnte für sich selbst vorstellen. Heute sind fast 80 Prozent aller Bestattungen Urnenbeisetzungen. Die Vorteile passen in unsere Zeit: geringere Kosten, zeitliche Flexibilität für die Beisetzung, die noch Wochen nach dem Tod stattfinden kann.
In diese Richtung geht auch die derzeit geplante Reform des Bestattungsrechtes in Rheinland-Pfalz. Dort soll der 1934 ebenfalls eingeführte Friedhofszwang abgeschafft werden. Dann könnten Urnen zum Beispiel im Rhein beigesetzt werden, im Haus oder auf privaten Grundstücken untergebracht werden, oder Angehörige könnten die Asche zu Diamanten pressen.
Die Zeiten verändern sich. Nur noch ein Drittel der Bevölkerung von Frankfurt und Offenbach gehört einer christlichen Kirche an, knapp 60 Prozent gar keiner Religion. Zudem werden auch viele Kirchenmitglieder gar nicht mehr kirchlich bestattet, etwa wenn deren Kinder keine Bindung zum Christentum haben. Die Bestattungskultur ist heute kaum noch christlich geprägt, sondern entwickelt sich klar in Richtung individueller Wahlmöglichkeiten. Insofern trägt die geplante Reform gesamtgesellschaftlichen Realitäten Rechnung.
Aber dieser Trend zur Individualisierung hat auch eine problematische Seite, und das ist der wichtigste Grund, warum die Kirchen Kritik an der geplanten Reform üben: Friedhöfe halten Tod und Vergänglichkeit als unumstößliche Fakten des Lebens kollektiv im Bewusstsein. Sie sind nicht nur Orte der persönlichen Trauer und Erinnerung, sondern ein öffentlicher Raum und frei für alle zugänglich. Eine Privatisierung der Asche Verstorbener im eigenen Garten oder auf dem sprichwörtlichen Kaminsims würde das ändern. Familien könnten zum Beispiel unliebsamen Angehörigen den Zugang verweigern. Ortlosigkeit und Ungewissheit bezüglich des Ortes können aber Trauerprozesse sehr erschweren und verlängern.
Schon heute sind Bestattungen in Nord- und Ostsee in Ausnahmefällen möglich, auch die Friedwälder liegen außerhalb von Friedhofsmauern. In Bremen kann die Asche Verstorbener bereits seit 2015 unter strengen Auflagen auf Privatgrundstücken verstreut werden, auch in Nordrhein-Westfalen ist dies erlaubt, allerdings nur an öffentlich zugänglichen Orten. Und in Hamburg sind seit 2019 gemeinsame Bestattungen von Menschen und Haustieren möglich. Schauen wir ins europäische Ausland, gelten ohnehin vielfältige Regeln. Das alles hat nicht von heute auf morgen für die große Revolution und das Ende aller Traditionen gesorgt. Aber im Fluss ist die Trauerkultur immer.
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