Gott & Glauben

Wie kommen wir da wieder raus? Vom Mut, den ersten Schritt zu tun

Wenn die Fronten sich verhärtet haben, gibt es nur einen Ausweg: Jemand muss den ersten Schritt tun. Jemand muss mit der Versöhnung anfangen.

Lars Heinemann  |  Foto: Rolf Oeser
Lars Heinemann | Foto: Rolf Oeser

Es passiert öfter, als uns lieb ist: Freundschaften verhärten sich. Beziehungen zwischen Geschwistern kühlen ab. Kolleginnen reden nicht mehr miteinander. Aus Nähe wird Distanz, unmerklich, schleichend. Und plötzlich steht man vor der Frage: Wie kommen wir da wieder raus? Die Antwort klingt einfach, ist aber alles andere als leicht: Jemand muss den ersten Schritt tun. Und zwar nicht irgendeinen, sondern einen, der Mut kostet.

Wenn Fronten verhärtet sind, wenn Ärger und Frustration sich eingenistet haben, wenn schon lange nicht mehr richtig miteinander geredet, sondern eher aggressiv geschwiegen wird – dann ist es ein echtes Wagnis, Entgegenkommen zu zeigen. Denn wer sich öffnet, macht sich angreifbar. Wer anderen die Hand reicht, riskiert, dass sie ausgeschlagen wird. Vielleicht kommt Hohn zurück, vielleicht weitere Verletzungen.

Es besteht aber auch eine Chance, dass das Gegenüber erleichtert ist. Dass auf ein Zeichen gewartet wurde. Dass echte Gefühle zurückkommen. Vielleicht werden aus geballten Fäusten offene Hände, die zupacken, um gemeinsam etwas zu bewegen. Nur – wenn niemand den ersten Schritt wagt, wird man das nie erfahren.

„Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ heißt es im Vaterunser, dem ältesten Gebet im Christentum. Es ist zweitausend Jahre alt und wird auf Jesus selbst zurückgeführt. Rund um den Globus wird es bis heute von Christ:innen gesprochen.

„Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ – das ist keine fromme Formel. Es ist ein Impuls für den ersten Schritt: Ich kann meinem Nächsten, womöglich sogar meinen Feinden gegenüber in Vorleistung gehen, weil Gott das mir gegenüber auch tut. Ich vertraue darauf, dass meine eigenen Fehler, meine Gereiztheit und Wortlosigkeit, meine vorschnellen Urteile und meine Hilflosigkeit mir bereits vergeben sind. Dass mir all das, womit ich selbst dazu beitrage, dass die Welt unfriedlich wird, von Gott nicht angelastet wird. Weil ich hier in einer anderen, größeren Dimension gemeint bin, die nicht meine Fehler und Macken sieht, sondern mich als Person im Ganzen.

Aus der Einsicht heraus, dass ich selbst fehlbar bin, dass ich selbst Vergebung und Nachsicht brauche – und bekomme, ja schon bekommen habe –, kann ich sie auch anderen geben. Von hier kommt die Kraft, den ersten Schritt zu tun, die Hand zu reichen und Schuld zu vergeben. Der Mut zum ersten Schritt kommt nicht nur aus mir selbst heraus.

Versöhnung beginnt dort, wo jemand sagt: Schau mich an. Ich bin nicht perfekt. Aber lass uns versuchen, aufeinander zuzugehen. Das gilt für Freundschaften genauso wie für gesellschaftliche Konflikte. Überall dort, wo nicht mehr miteinander, sondern nur noch übereinander gesprochen wird, braucht es jemanden, der diesen Teufelskreis unterbricht. Es braucht jemanden, der anfängt, es anders zu machen.


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