Gewalt im Haus
Frau Rosner, oft ist zu hören, dass es an Feiertagen, gerade auch an Weihnachten, zu einem Anstieg an häuslicher Gewalt kommt. Woran liegt das?
In Familien, in denen Gewalt herrscht, sind solche Zeiten besonders schwierig. Alle sind Zuhause, niemand geht in die Schule oder auf die Arbeit. Die gewohnten Abläufe und Routinen fallen weg, man verbringt zusammen viel Zeit auf engstem Raum. Da können leicht Konflikte entstehen, und wenn eine gewaltvolle Atmosphäre herrscht, kommt es häufiger zu Vorfällen. Meistens sind es Männer, die Gewalt gegenüber ihrer Partnerin ausüben. Aber es gibt auch den umgekehrten Fall, wenn auch recht selten.
Oft haben Betroffene Hemmungen, Übergriffe anzuzeigen. Was befürchten sie?
Mütter haben häufig Angst, dass ihnen „die Kinder weggenommen werden“, viele gewalttätige Männer drohen auch genau mit diesem Szenario. Oder sie drohen mit dem Verlust der Aufenthaltsgenehmigung, wenn die Frau keinen deutschen Pass hat.
Ist das aus der Luft gegriffen oder besteht die Gefahr wirklich?
Aufenthaltsrechtlich kann es tatsächlich zu Problemen kommen, je nach Aufenthaltsstatus und wie lange das Paar schon in Deutschland lebt. Es ist auch nachvollziehbar, dass die Frauen sich Sorgen machen, wie es für die Kinder im Frauenhaus wird. Kinder werden aber nicht „weggenommen“, sofern keine Gefährdung für die Kinder von der Mutter ausgeht. Im Gegenteil: Eine andauernde häusliche Gewalt gilt es zu beenden, sonst sind die Kinder gefährdet. Söhne können allerdings in der Regel nur bis 13 oder 14 Jahren in ein Frauenhaus mitgenommen werden.
Warum bleiben so viele Frauen mit gewalttätigen Partnern zusammen?
Zum Beispiel, weil sie emotional abhängig sind. Die meisten Männer sind ja auch nicht durchgängig gewalttätig, sondern zeigen zwischendurch immer wieder Zuneigung. Manche Frauen haben Schuldgefühle und halten die Gewalt aus Scham vor ihren Bekannten und Nachbarinnen geheim. Sie hoffen, dass „bald alles wieder besser wird“.
Ist diese Hoffnung immer unberechtigt?
Das kommt darauf an. Wenn jemand regelmäßig und immer wieder gewalttätig wird, ist es unwahrscheinlich, dass sich das Blatt plötzlich wendet. Das wird nicht besser. Es gibt aber auch Fälle, wo die Gewalt nur einmal oder wenige Male in einer bestimmten Situation aufgetreten ist. Wenn die Täter sich dann aus eigenem Antrieb schnell Hilfe suchen, wenn sie zum Beispiel an einem Training teilnehmen, dann kann sich etwas ändern. Aber nur, wenn die gewalttätige Person Verantwortung übernimmt.
Gibt es genug Anlaufstellen für die Opfer?
Nein. In ganz Hessen gibt es nur 31 Frauenhäuser, das entspricht nicht annähernd den Empfehlungen der Istanbul-Konvention, einem Vertrag des Europarats zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt, zu dem sich auch Deutschland verpflichtet hat. Demnach müsste es bundesweit 21.000 Frauenhaus-Plätze geben, es gibt aber nur um die 7.800.
Die Statistiken besagen, dass häusliche Gewalt insgesamt ansteigt. Woran liegt das?
Das hat viele Ursachen. Unter anderem liegt es daran, wie die Gesellschaft sich entwickelt: Angst, Gewalt und Erkrankungen steigen generell. Auch zu viel Stress, Arbeitslosigkeit, Drogen- und Alkoholmissbrauch oder Geldsorgen erzeugen Spannungen in vielen Familien. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Studien zeigen, dass es in Ländern mit weniger sozialer Ungleichheit – etwa in Skandinavien – weniger Gewalt gibt.
Hier findet man Hilfe:
Jederzeit erreichbar ist das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (Telefon 116 016). Die Beratung ist anonym und in vielen Sprachen möglich. Lokale Anlaufstellen: Frauennotruf Frankfurt (069 70 94 94), Frauen helfen Frauen e.V. (Beratung, Notaufnahme 069 43 05 31), Frauenhauskoordinierung Hessen (Zentrale Vermittlung und Information, 0611 37 75 17).
Wichtig außerdem: Verletzungen immer von Arzt oder Ärztin dokumentieren lassen, um später Beweise zu haben.
Tipp: Eine griffbereite Notfalltasche packen mit Ausweisen (auch der Kinder), Geburtsurkunden, Bankkarten, Krankenversicherungskarten, Kopie des Mietvertrags, Medikamenten. Bei akuter Gefahr aber nicht zögern, auch ohne all das zu gehen.
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