Abschiedskonzerte: Jürgen Blume legt den Taktstock aus der Hand
„Musik ist mein Lebenselixier“, so liest man auf seiner Homepage. Die Regale in der Dachwohnung im Offenbacher Stadtteil Rumpenheim, die Jürgen Blume gemeinsam mit seiner Frau Leonore bewohnt, sind angefüllt mit Büchern und Noten. Und auch auf dem Tisch liegen Partituren, die Vorbereitung für das nächste Konzert ist in vollem Gang. Seit mehr als sechzig Jahren wirkt Blume als Musiker in Offenbach. Der Chorleiter, Komponist, Organist und Pianist ist eine feste Größe im Kulturleben der Stadt. Ende dieses Jahres wird er nun zumindest den Taktstock aus der Hand legen und die Rhein-Main-Vokalisten, einen Chor den er vor 25 Jahren gegründet und seither geleitet hat, abgeben. „Die Augen machen einfach nicht mehr mit“, begründet der 79-Jährige seinen Entschluss. Das Lesen komplizierter Partituren bereite ihm zunehmend Schwierigkeiten. Ganz aufhören wird Blume aber nicht – welcher Musiker könnte das schon. Als Organist will er sich auch weiter in Gottesdiensten und Konzerten hören lassen. Und wieder mehr Zeit fürs Komponieren haben.
1946 in Jena geboren, kam Jürgen Blume bereits ein Jahr später nach Offenbach und ist der Stadt treu geblieben. Hier findet er ein Umfeld, das ihn zeitlebens inspiriert. An seine erste Klavierlehrerin erinnert er sich noch lebhaft. „Sie hatte ein eigenes Studio mit einer kleinen Bühne. Dort gab es regelmäßig Konzerte.“ Ein förderndes Umfeld für den jungen Musiker, der von seiner Lehrerin auch schon Theorieunterricht erhält. Eine wichtige Grundlage für das Studium, den späteren Komponisten und Hochschullehrer. Auch eine kleine Hausorgel ist vorhanden, Blume erhält Orgelstunden und wird 1962, im Alter von 15 Jahren, Organist und Chorleiter an der Lukaskirche im Stadtteil Tempelsee. „Ich fühlte mich wahnsinnig geehrt.“
Der junge Musiker macht bereits mit Konzerten auf sich aufmerksam, die er mit seinem Chor oder als Instrumentalist bestreitet. Das verstärkt sich, als er zum Ende seines Musikstudiums an die erst wenige Jahre zuvor neu erbaute Johanneskirche im Westend wechselt. Die musikalischen Andachten, die er damals gemeinsam mit anderen zunächst in der Passionszeit startet, werden zu einem Modell, das heute in vielen Gemeinden gepflegt wird. „Thematische Programme mit rotem Faden und Verkündigungsanspruch“, so beschreibt Blume das Format, das bis heute sein Markenzeichen geblieben ist.
Das musikalische Leben in den Gemeinden ist vielfältig. „Es gab viele begeisterte Chorsänger und beinahe überall einen Kirchenchor“, erinnert sich Blume. Die Zusammenarbeit mit Pfarrerinnen und Kollegen erlebt er als gut und gewinnbringend. Im Kirchenmusikerkonvent werden Jahresprogramme besprochen und die Verteilung der Zuschüsse. „Wir haben diskutiert und uns eigentlich immer geeinigt.“ Heute, nach der Fusion mit Frankfurt, funktioniere das leider nicht mehr so gut. „Wir sind in die Entscheidung über die Mittelvergabe nicht mehr direkt eingebunden“, beklagt er.
Der Kirchenchor der Johanneskirche existiert inzwischen nur noch als Ad-hoc-Ensemble für einzelne Auftritte an Heiligabend, Karfreitag oder beim Offenen Singen im Seniorenheim. Die Kirche ist aber zur Heimat für die Rhein-Main-Vokalisten geworden. Jürgen Blume gründet den gemischten Chor mit Mitgliedern aus dem Jugendchor des Hessischen Rundfunks, den er von 1976 bis zu seiner Auflösung 1999 geleitet hatte. In 25 Jahren haben sich die Vokalisten unter Blume als leistungsstarkes Ensemble in der ganzen Region einen Namen gemacht und sind auch mehrfach preisgekrönt. Ihre Konzerte in der Johanneskirche sind aus dem Konzertkalender nicht wegzudenken und beim Publikum beliebt. Neben klassischen Werken der Kirchenmusik nimmt Jürgen Blume immer wieder Raritäten ins Programm, wie jüngst etwa Werke aus der Offenbacher Verleger- und Musikerdynastie André.
Als das Klima in den 90er Jahren für die Kirchenmusik rauer und Gelder knapper werden, initiiert Blume den Förderverein „Praeludium“. „Die Idee kam eigentlich von meiner Frau, die Konzertsängerin war“, verrät er. Heute hat er 80 Mitglieder und unterstützt die musikalischen Aktivitäten in fünf Innenstadtgemeinden. Finanziert wird das aus Mitgliederbeiträgen, Spenden und Zuschüssen der Stadt.
Wie nötig alternative Geldquellen inzwischen sind, erfährt Blume im letzten Jahr, als er erstmals kein Geld vom Dekanat für seine Vorhaben erhält. Die Vokalisten seien kein Gemeindechor, wird als Begründung genannt. „Obwohl wir während der Corona-Zeit immer im Gottesdienst gesungen haben.“ Im Klinkenputzen bei potentiellen Geldgebern ist Blume glücklicherweise geübt, er hat Kontakte zu Landesbank, verschiedenen Stiftungen und anderen privaten Kulturförderern.
Die Umstrukturierung in den Gemeinden treffe auch seine weitere Arbeit als Kirchenmusiker, so Blume. Die Johannesgemeinde ist mit der benachbarten Stadtkirchengemeinde fusioniert. Gottesdienst gibt es pro Standort künftig nur noch 14-tägig, dafür jeweils eine Abendmusik pro Monat, um die Musiker auszulasten. „Wir wissen nicht genau, wie es weitergeht“, räumt Blume ein. Trotzdem plane er erst Mal weiter. Denn trotz der schwierigen Rahmenbedingungen habe die Kirchenmusik auch im multikulturellen, säkularen Offenbach eine Zukunft – davon ist er überzeugt. „Wir erreichen eine beachtliche Zahl von Menschen.“
Dass es so viele interessante und hochprofessionelle Musiker:innen gebe, sei „ein echter Glücksfall für die Stadt“. Sie bieten zuverlässig Hochwertiges, obwohl die meisten nur nebenberuflich für die Kirche arbeiten. Auch auf Jürgen Blume trifft das zu, der im Hauptberuf Professor für Musiktheorie und mehrere Jahre auch Rektor der Musikhochschule in Mainz war. „Mit stilistischer Vielfalt, ohne Scheuklappen können wir die Menschen auch weiterhin überzeugen“, ist sich Blume sicher. In welchem Rahmen Kirchenmusik in Zukunft Platz finde, darauf sei er gespannt. Dem Konzept einer Kulturkirche, wie es die Offenbacher Stadtkirchenarbeit seit einigen Jahren schon ausprobiert, kann Blume durchaus etwas abgewinnen. „Auch die Verbindung mit anderen Künsten wäre da interessant.“ Die kirchenmusikalischen Aktivitäten im Zuge von Sparmaßnahmen wesentlich zurückzufahren, hielte er jedenfalls für grundfalsch. „Wir sind eine musizierende Kirche. Damit können wir noch etwas reißen.“
Im Dezember wird Jürgen Blume als Leiter der Rhein-Main-Vokalisten verabschiedet. Bei einem Konzert erklingen von ihm selbst komponierte Weihnachtskantaten. Am 13.12., 19 Uhr, in der Alten Schlosserei und am 14.12., 17 Uhr, in der Johanneskirche Offenbach. Eintritt jeweils 15 Euro. Am 28.11., 19 Uhr, gestaltet der Chor sein traditionelles Weihnachtliedersingen auf der Hafentreppe (Eintritt frei).
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