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Emil Mangelsdorff am Saxophon und Mikrophon: Der 94 Jahre alte Frankfurter erzählte in der Wartburgkirche, Bornheim, aus seinem Leben und spielte mit drei anderen Musikern Jazz, Swing und mehr.

Emil Mangelsdorff in der Wartburgkirche

Das Schild „Swing tanzen verboten“ ist Emil Mangelsdorff bei einem seiner Auftritte als Zeitzeuge abhanden gekommen. Auch egal, der Titel bleibt. Es kommt schließlich auf die Musik an, die der 94-jährige auf dem Saxophon spielt, auf die Worte, die er wählt, wenn er von seiner Kindheit in Frankfurt und seinen Anfängen als Musiker erzählt. Salopp ließe sich sagen, der legendäre Jazzmusiker grinst so was wie den Verlust des Schildes weg, aber das trifft es nur bedingt, eher lächelt er es weg, so erlebt gestern Abend in der Reihe „Musik in der Wartburgkirche“.

Ein bisschen schwer fällt ihm das Gehen zu dem Auftritt mit Axel Pape, Schlagzeug, Jean-Philippe Wadle, Bass und Thilo Wagner am Piano, mit denen er auch regelmäßig im Holzhausenschlösschen Konzerte gibt. Doch kaum sind die Stufen zum Altarraum in Bornheim erklommen, beeindruckt die Präsenz Mangelsdorffs – ob als Musiker oder Berichterstatter seines eigenen Lebens.

Der Vater, Buchbinder, überzeugter Antifaschist, die Mutter, bei einer jüdischen Familie beschäftigt, „man merkte, sie liebte die“, das hat ihn – und auch seinen Bruder Albert, den bekannten Jazz-Posaunisten – geprägt. Musikspiel war keine Selbstverständlichkeit in dem Haushalt. Und doch, trotz knappem Einkommen, bekam Emil Mangelsdorff in Kindheitstagen ein Akkordeon gekauft. Später habe er gemerkt, „das war ein dummer Kauf“, macht nichts, es brachte ihn der Musik näher.

Zu Hause lief statt deutschem Propagandafunk Radio Luxemburg. Die über den Äther in Küche und Wohnzimmer dringenden französischen Chansons gefielen Emil Mangelsdorff, die Reibeisenstimme Louis Armstrong ging ihm ins Ohr und ließ ihn nicht mehr los. Das was die NS-Herrscher als „Niggermusik“ verunglimpften, genau das packte ihn. Solche Musik wollte er auch spielen.

Obgleich das Akkordeon nur bedingt zum Spielen von Jazz taugte, brachte es den Einstieg. Zu Fastnacht habe er sich das Instrument umgebunden und sei auf der Straße aufgetreten, ein paar Kinder seien ihm gefolgt und ein junger Mann, der, wie sich später herausstellte, begeistert Klarinette und Klavier spielte.

Mit ihm und anderen begann Emil Mangelsdorff zu musizieren, die Auftritte in der Rokoko-Diele, „einem Lokal mit Samt und Spiegeln“ an der Kaiserstraße genossen große Beliebtheit. Was dem Regime nicht passte, amerikanische Titel, wurde passend gemacht – zumindest hinsichtlich der Titel – schließlich saßen im Publikum bekanntermaßen Spitzel. Da kamen dann schon mal Songs wie „Löwenjagd im Taunus“ bei raus – von der Melodie her blieben sie den US-Vorbildern treu.

Das Publikum in der Wartburgkirche lachte angesichts von Episoden wie dieser oder auch jener: Ein Verkäufer hatte den Jungen Emil Mangelsdorff zurechtgewiesen: Nicht „guten Morgen“, sondern „Heil Hitler“ heiße es. Der Vater habe ihm daraufhin geraten, dem Ladenbesitzer beim nächsten Einkauf eingangs „drei Liter“ entgegenzurufen. Bei aller Heiterkeit war gestern Abend jedem klar, dass dieser Wortwitz von Mut zeugte. Und der war reichlich gefragt, etwa auch als Emil Mangelsdorff ins Gestapobüro an der Lindenstraße einbestellt wurde.

Voller Liebe und Stolz schildert der Musiker seine Eltern, die ihn ermutigt hatten in jeder Hinsicht. Vom persönlichen wechselte er auch zum gesamtpolitischen, beispielsweise die Geschichte, dass Goebbels ein heimlicher Feingeist und insofern auch ein Jazzfan gewesen sei – für Mangelsdorff eine Mär. Vielmehr habe es unter NS-Ägide nicht nur den Kampfbegriff „Entartete Kunst“, sondern auch „Entartete Musik“ gegeben.

Nur kurz streifte Mangelsdorff noch seinen Kriegseinsatz als Funker – „da nahm man gerne Musiker für“ – dann war es ihm wichtig, noch mal zu spielen. Mit Lust am Improvisieren machten sich die vier dran und gaben einen Abend, der allein auch als Konzert bestens funktioniert hätte. Ob die Ballade von der „Love of my life“ oder ein Stück von Thelonious Monk – das Publikum erhob sich mehrfach. „Standing Ovations“, das wäre zu platt, so wunderbar es ist, dass heute Musiktitel in allen Sprachen möglich sind. Stehender Applaus, ja auch Respektbekundung, trifft es eher.

Und auch das Gefühl, hier einem Zeitzeugen zu lauschen, der in seiner Jugend dem Grauen getrotzt hat – und bis heute den Menschen zugewandt und mit seinem Quartett ein großartiger Musiker ist.


Autorin

Bettina Behler 291 Artikel

Bettina Behler, Medieninformation Evangelische Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt und Offenbach

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