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Antisemitismus - ein Begriff und seine Hintergründe

Um Antisemitismus in Vergangenheit und Gegenwart geht es bei den Wintervorträgen in der Evangelisch-reformierten Gemeinde im Frankfurter Westend. Gemeindepfarrin Susanne bei der Wieden äußert sich im Interview zu dem Thema.

Pfarrerin Susanne Bei der Wieden  I  Foto: Medienhaus EKHN
Pfarrerin Susanne Bei der Wieden I Foto: Medienhaus EKHN

Welche Wurzeln hat heutiger Antisemitismus? Wann wird aus Kritik an der aktuellen israelischen Politik Antisemitismus? Was erleben die jungen Fußballer von Makkabi auf dem Platz? Welche Musik prägt den Shabbat? Die Evangelisch-reformierte Gemeinde lädt zu Wintervorträgen in das Frankfurter Westend ein. „Aufeinander hören – miteinander reden" hat sie die Reihe benannt. Zu den Gästen zählen Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland und Mitglied des Gemeinderats der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Chasan Daniel Kempin wird Musikalisches aufgreifen. Bei der Abschlussveranstaltung ist der Spiegel-Autor Martin Doerry zu Gast und stellt die von ihm herausgegebenen Briefe der Ärztin Lilli Jahn vor, die 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Der Antisemitismusbeauftragte der Hessischen Landesregierung Professor Felix Semmelroth wird in diesen Abend einführen, der eine Kooperationsveranstaltung mit dem Ortsbeirat ist.

Die Pfarrerin der Evangelisch-reformierten Gemeinde Susanne Bei der Wieden erläutert das Zustandekommen und die Schwerpunkte der Reihe im Gespräch.

Zuhören, miteinander reden – eigentlich eine Selbstverständlichkeit – und doch heute ein Thema. Warum? Und warum hinsichtlich des Themas „Antisemitismus“?

Der Titel: „Zuhören – miteinander reden“ ist ein Produkt einer längeren Beschäftigung mit sehr unterschiedlichen Aspekten des Themas „Antisemitismus“.

Zum einen stellte uns das Buch zur Geschichte unserer Gemeinde in der NS-Zeit von Lutz Becht vor die Frage: Wie gehen wir mit den Lasten der Vergangenheit um. Dann kamen die antisemitischen Angriffe in Berlin und anderswo, wenig später erschien die Studie: Antisemitismus 2.0. Dazu kamen kritische Fragen angesichts der Zuspitzung des Konflikts an der Grenze zum Gaza-Streifen. Da haben einige Gemeindemitglieder, insbesondere Aldo Loiero, angeregt: Lasst uns doch einmal grundsätzlich am Thema Antisemitismus arbeiten und haben eine Arbeitsgruppe gegründet.

Wie sieht die Arbeit der Arbeitsgruppe Antisemitismus in ihrer Gemeinde aus?

Zunächst hat sich ein Kreis von fünf Personen getroffen, um das Thema Antisemitismus zu sichten. Dabei stellte sich sehr schnell heraus, wie facettenreich und vielschichtig Antisemitismus heute und in der Vergangenheit ist und war. Aber auch, welche große Rolle Unkenntnis und Unsicherheit, echte oder falsche Scham oder Vorurteile spielen. Etwa im Blick auf den Konflikt zwischen Israel und Palästina. Wo ist Kritik berechtigt – wo fängt Antisemitismus an? Ein Gespräch mit Alon Meyer von Makkabi Deutschland erweiterte das Thema erneut im Blick auf die Frage nach antisemitischen Vorurteilen unter muslimischen Einwanderern.

Was daraus erwuchs, war eigentlich eine Aneinanderreihung von einzelnen Fragen, die als besonders drängend oder sensibel erschienen. Dabei war auch klar: Wir müssen erst einmal genau hinschauen, nachfragen, nachdenken, Vorurteile hinterfragen, das Gespräch suchen und anregen. So kam es dann auch zu dem Titel der Wintervorträge.

In unmittelbarer Nachbarschaft der Evangelisch-reformierten Gemeinde, auch an der Freiherr-vom-Stein-Straße, steht die Westendsynagoge, gab es Kontakte bei der Vorbereitung des Programms?

Nicht mit der Gemeindeleitung direkt, aber mit einzelnen Personen. Aus dem Gespräch mit Alon Meyer ist die Gestaltung des ersten Abends erwachsen – wir werden dabei nicht nur mit ihm diskutieren, sondern auch mit Spielern der Jugendmannschaften vom TuS Makkabi Frankfurt e.V. – damit richten wir uns auch an Jugendliche; das Thema des zweiten Abends haben wir mit Meron Mendel abgesprochen und seine Erfahrungen mit berücksichtigt. Der Vorschlag zum Thema Sonntag und Schabbat kam von Daniel Kempin – das haben wir gern aufgenommen, weil wir in den Wintervorträgen ja immer gern auch ein theologisches Kernthema bedenken.

Der erste Abend bringt ja einen Mix: Historisches und aktuelles Geschehen auf dem Fußballplatz wird verknüpft. Zufall oder Absicht?

Diesen Ablauf hat die AG so vorgeschlagen. Er spiegelt auch den eigenen Diskussionsverlauf wider. Der AG war es wichtig, den aktuell aufflammenden Antisemitismus in Beziehung zu setzen zu der langen Geschichte der Judenfeindlichkeit in unserem Land.

Offensichtlich ist die Reihe in der Nachbarschaft ein Thema, der Ortsbeirat beteiligt sich an der Lesung von Martin Doerry, die Autorenbuchhandlung ist mit eingestiegen. Anscheinend trifft das Thema der Wintervorträge aktuelle Sorgen.

Ja, das war auch eine dieser Anregungen – wir wurden mitten in unserer Diskussion von Vertreterinnen und Vertretern des Ortsbeirates II angesprochen, die sich um den neu erwachenden Antisemitismus sorgten und ihn ins Bewusstsein rücken wollten. Wenn man im Westend die Synagoge und die vielen Stolpersteine sieht – da liegt die Geschichte und mit ihr die Thematik quasi auf dem Boden. Von Suzanne Turré kam dann die Idee zu der Lesung, sie hat sie in einem breiten Bündnis mit allen Parteien im OBR – außer der AfD – und anderen gesellschaftlichen Akteuren im Westend und in Bockenheim organisiert, die Schulen eingeladen – wir haben das als Mitveranstalterin mit unserer Reihe verknüpft, weil es wunderbar zusammen passt.

Gehen Sie davon aus, dass an dem Abend auch ein Resumee der Reihe gezogen wird, mit Blick auf heute?

Der Reihe vielleicht nicht, weil das Publikum an diesem Abend noch einmal ein anderes sein wird, als an den anderen Abenden. Aber natürlich werden wir die Ergebnisse all dieser Abende „einsammeln“. Die Thematik wird aktuell bleiben, für uns, für die kommunale Politik – wir werden miteinander sehen, was uns dann an weitergehenden Fragen und Aufgaben mitgegeben wird und wie wir sie weiter thematisieren.


Autorin

Bettina Behler 297 Artikel

Bettina Behler, Medieninformation Evangelische Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt und Offenbach