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Coronavirus: Fürchtet euch, aber nicht zu sehr!

Das Coronavirus hat sich in unseren Hirnwindungen festgesetzt, und das ist eine gute Sache, wenn es uns länger Hände waschen und endlich in die Armbeuge statt in die Hand husten lässt. Es ist keine gute Sache, wenn es uns lähmt. Die Angst vor Corona ist so ansteckend wie das Virus, doch wir müssen lernen, mit ihr zu leben. Mit oder ohne Gott.

Anne Lemhöfer ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. |Foto: Tamara Jung-König
Anne Lemhöfer ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. |Foto: Tamara Jung-König

Die Nördliche Krone („Corona Borrealis“) war bislang ein relativ kleines, aber markantes Sternbild zwischen dem Herkules und dem Bärenhüter. Ihre Sterne bilden einen Halbkreis am Nachthimmel. Corona, die Krone, klingt in diesen Tagen indes kaum poetisch, und Muße für einen versonnenen Blick ins Teleskop hat auch niemand. Kein hübsches Sternbild für Eingeweihte, sondern ein zur besseren Ansicht tausendfach vergrößerter grün-stacheliger Ball hält die Welt in Atem. Wie ein Virus aussieht (wirklich grün?) weiß längst jede Drittklässlerin, was es mit „Corona“ auf sich hat, auch. Händewaschen nicht vergessen!

Die Zahl der Infizierten in Deutschland ist erneut gestiegen und die Wallstreet bebt, das titeln die Nachrichtenseiten beim ersten morgendlichen Blick aufs Smartphone. Das Virus SARS-CoV-2 scheint gekommen, um zu bleiben. Die Menschen bringt das zugleich mehr zusammen und mehr auseinander. Ein besseres Smalltalkthema gab es selten. Selbst der muffelige Nachbar, der sonst nur mit einem Kopfnicken grüßt, hat eine Meinung zu Menschen, die Klopapierregale leerkaufen oder in Kliniken palettenweise Desinfektionsmittel klauen, man weiß ja nie, ob man’s nochmal braucht, oder welche Preise auf Amazon demnächst aufgerufen werden.

Hamsterst du schon oder entspannst du noch? Kann man eigentlich irgendwas Leckeres aus Dosenbohnen und acht Kilo Mehl zaubern? Aber die Kollegin am Tisch gegenüber hustet schon auffällig lange, warum meldet sie sich denn nicht krank? Macht Homeoffice, benutzt ihr eigenes Klo? Schon ein bisschen rücksichtslos. Darf man das anmerken? Zu 99,9 Prozent leidet sie wie jeden März an einer stinknormalen Erkältung. Aber für die Kantine findet sie hoffentlich jemand anderen.

Das Coronavirus hat sich in unseren Hirnwindungen festgesetzt, und das ist eine gute Sache, wenn es uns länger Hände waschen und endlich in die Armbeuge statt in die Hand husten lässt. Es ist keine gute Sache, wenn es uns lähmt.

Krankheiten, auch potenziell tödliche wie Covid19, sind in der Welt seit Anbeginn, sie haben immer auch eine metaphorische Ebene. Sie machen uns Angst. Wir können sie bis heute nicht so kontrollieren, wie wir das gern hätten, und wie es dem modernen Menschen eigentlich angemessen wäre. Die Möglichkeit, krank zu werden, begleitet uns von der Geburt bis zum letzten Atemzug, wir sorgen uns um uns und um alle, die wir lieben.

„Wenn wir nicht von Krieg und Liebe erzählen, dann erzählen wir von Krankheit“, schreibt Georg Seeßlen in der ZEIT. Solange es Viren gibt, ist der Mensch nicht sicher. Grippe, Tollwut, Herpes, Hepatitis, Dengue-Fieber, Ebola, Aids und die Masern kennen und fürchten wir, aber wir haben auch Impfstoffe entwickelt und wissen, was zu tun ist, zur Not fragen wir im Tropeninstitut nach. Aber Covid19 ist neu. Es ist ungewiss, wie sich die Krankheit entwickeln wird, und ungewiss ist auch, wie sich das Leben ändern muss, damit wir mit dieser Krankheit leben lernen und ihre Zumutungen als normal akzeptieren. Und Ungewissheit mögen wir gar nicht.

Wer religiös ist, denkt über Gott nach, möglicherweise. Eine Krankheit, wie man so sagt, bringt den Menschen auf den Boden der Tatsachen zurück, den biblischen wie den postmodernen. Zu einem ohnmächtigen Zorn gegen die Natur und vielleicht zu einer neuen Form der Demut. Glücklicherweise verschwinden manche Krankheiten, unglücklicherweise kommen aber auch immer wieder neue dazu.

Eine Strafe Gottes sei so ein Virus nicht, das betonte jüngst der katholische Mailänder Kardinal Scola: „Gott will das Gute! So sehr will er das Gute, dass er unser Übel, unsere Sünde, auf sich genommen und ans Kreuz genagelt hat. Er benutzt sie nicht als ein Element der Rache. Die Vorstellung von einer göttlichen Bestrafung gehört nicht zur christlichen Vision.“ Auch die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat eine Handreichung mit Piktogramm des stacheligen Virus veröffentlicht. Darin enthalten ist die Empfehlung, in Gottesdiensten beim Abendmahl im Zweifelsfall auf das Herumreichen des Kelches mit Wein zu verzichten. „Und bitte schließen Sie die Kranken, die Angehörigen, die Menschen in den Gesundheitsdiensten und die Besorgten in Ihre Gebete ein.“

Man könnte in Zeiten von Corona die Bibel, man könnte aber auch ganz weltliche Klassiker der Literatur lesen: Das „Dekameron“ von Bocacchio, in dem eine Gesellschaft junger Menschen vor der Pest aufs Land flieht, um sich lebenslustige Geschichten zu erzählen, die helfen sollen, die tödliche Bedrohung zu vergessen. Man kann über die „Liebe in Zeiten von Cholera“ lesen – oder Albert Camus‘ „Die Pest“ aus dem Bücherregal ziehen, deren Quintessenz darin besteht, dass die Seuche Menschen ohne Unterschied tötet, aber durch Solidarität überwunden werde könnte. Denn wo Menschen zusammenkommen ist nicht nur Krankheit und Angst. Sondern da sind auch Trost und Hoffnung. Gott sei Dank.


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Anne Lemhöfer 139 Artikel

Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de

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