Kirche inmitten der Gesellschaft
„Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung“ – bei Außenstehenden löst dieser Titel schon mal Fragezeichen aus. Gunter Volz übt seit 2003 dieses Amt mit Dienstsitz in Frankfurt aus, ein paar Beispiele seiner Tätigkeit: Zehn Jahre Vorsitz der Werkstatt Bahnhofsviertel, engagiert in der Sozialpolitischen Offensive (SPO), Mitglied der Steuerungsgruppe der Fair Trade Stadt Frankfurt, Mitglied des Nachhaltigkeitsrats der Frankfurt University of Applied Sciences, Mitorganisator der ökumenischen Ideenschmiede gegen Arbeitslosigkeit, Mitgründer der kirchlich-gewerkschaftlich getragenen Mobbing-Kontaktstelle, einer der Beobachter bei der Räumung des Fechenheimer Waldes, die Liste lässt sich fortsetzen.
Volz, der am 26. August in der Heiliggeistkirche von dem Propst für Rhein-Main, Oliver Albrecht, in den Ruhestand verabschiedet wird, bringt das Amt auf die Formel: „Zeigen, dass Kirche nicht nur sonntags, sondern auch alltags Kirche ist“. Auf die Frage nach einem Motto für seine Tätigkeit im Evangelischen Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach, kommt spontan eine Bibelzeile: „Suchet der Stadt Bestes“ – Jeremia 29,7.
„Es hat mir immer viel Spaß gemacht, mit den Leuten zu reden“, ist ein Satz von Gunter Volz, der mindestens so wichtig ist, wie die Mitgliedschaften in Bündnissen und Gremien. Obgleich diese nicht zu verachten sind, es geht bei dem Pfarramt für gesellschaftliche Verantwortung ums Vernetzen und „um Problemlösungen im christlichen Sinn der Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Solidarität und Fairness“, definiert Volz.
Sein ganzes Arbeitsleben hat er in Frankfurt verbracht. zuerst als Vikar in dem Hochhausviertel Am Bügel mit seinen sozialen Herausforderungen. Geprägt haben den 65-Jährigen auch die elf Jahre als Pfarrer in Unterliederbach. Vom Gemeindehaus im Frankfurter Westen war es nicht weit bis zu den Farbwerken Hoechst. Für viele war der Chemiekonzern in der Zeit noch Arbeitgeber, doch bereits von Zerschlagung bedroht, für andere Anlass zur Sorge angesichts von Ausstößen umweltschädlicher Substanzen.
In den neunziger Jahren habe das Unternehmen zunehmend erkannt, dass Abwiegeln keine Lösung ist, berichtet der Pfarrer. In der Zeit wurde der Gesprächskreis der Nachbarn des Industrieparks Höchst gegründet, der die verschiedenen Positionen an einen Tisch brachte, Gunter Volz saß mit dabei: „Kirche bringt sich ein.“
In der Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat er das sogenannte DRIN-Projekt mit angeschoben, das Kirche rein in die Gesellschaft bringt und konkrete Angebote für den Sozialraum organisiert. Gunter Volz saß drei Perioden in dem landeskirchlichen Parlament, war in zwei Perioden Vorsitzender des Ausschusses für Diakonie und gesellschaftliche Verantwortung der EKHN.
Neben dem sozialen Engagement kennzeichnet ihn die Affinität zu Kulturellem. Gunter Volz, geboren in Worms, aufgewachsen in Rheinhessen, studierte in Frankfurt, Rom, Bonn und Hamburg, promoviert wurde der Theologe in Marburg mit einer Untersuchung zu religiösen Aspekten im Werk des Schriftstellers Klaus Mann. Volz spielt im EKHN-Orchester Fagott, ist mit seinem Mann, dem Stadtkirchenpfarrer an Sankt Katharinen, Olaf Lewerenz, langjähriger Opernabonnent, „ich bin ein Grenzgänger zwischen Kirche, Kultur und Sozialem“, sagt Volz.
Wichtig fand er rückblickend die Zeiten als Werkstudent in den Semesterferien bei Procter & Gamble und Merck. Paletten mit Meister Proper hat er gestapelt und bei der sachgerechten Entsorgung von Metallic-Lack-Grundstoffen mitgewirkt – wenn er nicht sein Hebräisch oder Griechisch und die Exegese vertieft hat. Dem Theologen ist es ein Ansinnen, die kirchliche Milieuverengung aufzubrechen.
In der Diakoniekirche, im Bahnhofsviertel zwischen Weser- und Gutleutstraße gelegen, hat Volz in der Passions- und Adventszeit Andachten gehalten. Die Leuchtschrift „Mensch“ über dem Eingang der Diakoniekirche, gebildet aus Lettern des früheren Kaufhauses M. Schneider auf der Zeil, bringt für ihn auf den Punkt, worauf das Evangelium zielt. Die Führungen des Pfarrers für gesellschaftliche Verantwortung mit Politiker:innen, Pfarrkolleginnen und -kollegen, Konfis durchs Bahnhofsquartier, entlang von Licht- und Schattenseiten, endeten stets hier, für ihn ist der Ort „die evangelische Antwort, wie wir mit dem Viertel umgehen“.