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Leitungswechsel in der Bahnhofsmission: Carsten Baumann übergibt an Anja Wienand

Nach sieben Jahren in der Leitung der Bahnhofsmission hat Carsten Baumann die Geschäftsführung des Fachbereichs Kindertagesstätten im Evangelischen Regionalverband Frankfurt und Offenbach übernommen. Seine Nachfolgerin ist mit der Arbeit unweit der Gleise vertraut. Seit April 2021 arbeitet die Bildungsmanagerin und Trauma-Expertin Anja Wienand schon bei der Bahnhofsmission und hat die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen kennen gelernt.

Diakon Carsten Baumann und Anja Wienand vor der Bahnhofsmission Frankfurt I Foto: Rolf Oeser
Diakon Carsten Baumann und Anja Wienand vor der Bahnhofsmission Frankfurt I Foto: Rolf Oeser

Draußen kreiselt Blaulicht, Sirenen sind zu hören, ein Krankenwagen stoppt vor der Bahnhofsmission an der Mannheimer Straße. Diakon Carsten Baumann springt sofort auf, ruft: „Wieso ist der Rettungswagen bei uns“, kommt kurz darauf wieder zurück ins Büro – der Alarm kam nicht aus der Bahnhofsmission. Baumann ist ein Rühriger, auch wenn es die letzten Tage am Arbeitsplatz unweit der Gleise sind.

Am 15. September hat er den Staffelstab an Anja Wienand übergeben. Die studierte Bildungsmanagerin hat sich um die Leitung beworben, als klar war, dass Carsten Baumann eine neue Aufgabe in der Diakonie Frankfurt und Offenbach übernimmt, seit 1. September ist er Geschäftsführer des Fachbereichs Kindertagesstätten im Evangelischen Regionalverband Frankfurt und Offenbach.

Sieben Jahre voller Begegnungen und Geschichten

Unter den obdachlosen Menschen im Frankfurter Hauptbahnhof hat sich Baumanns Wechsel schnell herumgesprochen, „Herr Baumann, Du kannst hier nicht weggehen“, sagte ihm ein langjähriger Gast der Bahnhofsmission, andere fragen ihn: „Warum machen Sie das nicht mehr, warum arbeiten Sie jetzt für Kinder?“ Carsten Baumann lächelt, er ist angerührt, wenn er von diesen Begegnungen erzählt. Sieben Jahre hat er die Bahnhofsmission geleitet, Geschichten, die er in dieser Zeit erlebte, fallen ihm ohne Ende ein. „Es gab kein Jahr, in dem es ruhig war“, sagt er, und erinnert sich: „2016, als ich kam, erlebte ich noch die Endphase der Fluchtbewegung von 2015 mit.“ Am 29. Juli 2019 der schreckliche Tod des achtjährigen Jungen, der an Gleis 7 vor einen Zug gestoßen wurde: „Wir haben für vier Stunden die Bahnhofsmission komplett dichtgemacht und waren erste Auffangstation für die Menschen, die das Unglück miterlebt haben.“ Baumann zeigt ein Foto von dem Gottesdienst, der wenige Tage später abgehalten wurde, um dem Schmerz und der Trauer angesichts des Unfassbaren Ausdruck zu geben: „Der Bahnhofsvorplatz war voller Menschen.“

Erste Anlaufstelle für mehr als 220.000 Geflüchtete aus der Ukraine

Immer wieder gab Carsten Baumann Interviews, war Gast in Fernsehsendungen, um über die Arbeit der Bahnhofsmission Frankfurt, der zweitältesten in Deutschland, und ihre vielfältigen Aufgaben zu berichten. Als die ersten Menschen wegen des russischen Angriffskrieges die Ukraine verließen, war die Bahnhofsmission Frankfurt wieder die erste Anlaufstelle. Mehr als 220.000 Reisende aus der Ukraine fanden inzwischen in den Räumen der Bahnhofsmission an Gleis 1 Trost, Auskunft, Informationen und praktische Hilfe für ihren weiteren Weg.

Diplomierte Traumafachberaterin und Trauma-Pädagogin

Anja Wienand, die im April 2021 bei der Bahnhofsmission einstieg, hatte lange Jahre beim Bayerischen Roten Kreuz im Kreisverband Miltenberg-Obernburg das Sachgebiet Bildung und Engagement sowie die Akut-Krisenintervention geleitet. Sie geht nicht davon aus, dass es in den kommenden Jahren ruhiger wird. Als Traumafachberaterin und nach einer Weiterbildung zur Trauma-Pädagogin suchte sie ein anderes Aufgabenfeld und wandte sich mitten in der Corona-Zeit der Arbeit in der Bahnhofsmission Frankfurt zu: „Es war eine spontane Entscheidung, ich habe sie keinen Tag bereut.“ Anja Wienand hofft, dass sich noch mehr Fachkräfte für die Arbeit in der Bahnhofsmission begeistern: „Hoffentlich gewinnen wir neue Sozialarbeiter:innen, damit sich die Bahnhofsmission gut weiterentwickelt.“

Hygiene-Center und Aufsuchende Sozialarbeit im Bahnhof

Spannende Themen stehen an: Das Hygiene-Center am Hauptbahnhof soll nach einem vier Jahre währenden Prozess nun rasch realisiert werden, wünschen sich Baumann und Wienand. Und die Aufsuchende Sozialarbeit im Hauptbahnhof soll starten: „Es kommen nicht alle Menschen zu uns in die Bahnhofsmission, die obdachlos im Hauptbahnhof leben. Wir kennen aber ihre Plätze und möchten sie dort, wo sie sich aufhalten, aufsuchen“, sagt Carsten Baumann. „Für manche ist der Schritt über die Türschwelle zu groß, sie brauchen eine helfende Hand“, sagt Anja Wienand. Auch manche Reisende würden nicht von sich aus in der Bahnhofsmission klingeln, aber gerne die Männer und Frauen in den blauen Westen der Bahnhofsmission auf den Bahnsteigen um Rat fragen. „Mutmacher“ heißt die psychosoziale Weiterqualifizierung „Beratung und Unterstützung“ der Bundesgeschäftsstelle der Bahnhofsmission Deutschland, die Anja Wienand und Leif Murawski aus dem Team der Bahnhofsmission absolviert haben. Gesponsert wird die Qualifizierung von der Deutschen Bahnstiftung. Um die Aufsuchende Arbeit im Bahnhof an zwei Tagen in der Woche starten zu können, sagt Anja Wienand, müsste sich allerdings das Team der hauptamtlichen Mitarbeiter:innen vergrößern. Derzeit sind es 20, unterstützt von rund 35 Ehrenamtlichen. Sie sind 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr für die Menschen da, das ist ihr Auftrag. Getragen wird die Bahnhofsmission Frankfurt von der Diakonie Frankfurt und Offenbach und dem Caritasverband Frankfurt e.V.


Autorin

Susanne Schmidt-Lüer ist Mitglied der Stabsstelle Kommunikation, Marketing und Fundraising des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und Offenbach. Sie schreibt auch als freie Autorin, vor allem über Sozialpolitik, Kirche, Alter und wirtschaftspolitische Themen.