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Händels Messias als multikulturelles Musik-Theater

Eine besondere Version des „Messiah“ nach dem Oratorium von Händel zeigen Geflüchtete, Studierende sowie Frankfurter und Frankfurterinnen unterschiedlicher Herkunft und Religion im März im Dominkanerkloster. Regie bei dem multikulturellen und interreligiösen Musik-Theater führen Maja Wolff und Timo Becker vom Kunst- und Kulturverein Art-Q. Wir fragten sie, was es damit auf sich hat.

Timo Becker und Maja Wolff  I Foto: Kunst- und Kulturverein Art-Q e.V.
Timo Becker und Maja Wolff I Foto: Kunst- und Kulturverein Art-Q e.V.

An insgesamt sieben Terminen wird das szenische Oratorium in der Heiliggeistkirche am Dominikanerkloster präsentiert. Premiere ist am 8. März, der Vorverkauf hat bereits begonnen.

Warum haben Sie ausgerechnet den Messias ausgesucht?

Maja Wolff : Diese Frage haben wir uns auch gestellt, als wir uns näher mit dem Oratorium beschäftigt haben. Wir suchen uns, zur Grundlage unserer künstlerischen Arbeit, gern Werke, die in aktuelle Zusammenhänge passen und die Teilnehmenden des Musiktheaterprojekts betreffen könnten. Nach zwei Theaterprojekten zum Thema Flucht, Integration und Frauenrechten fanden wir es spannend, den Austausch über Religion und Kultur zwischen Geflüchteten und Deutschen auf die Bühne zu bringen.

Timo Becker: Der „Messiah“, das christliche Musterbeispiel abendländischer Musikkultur, sollte schließlich die Grundlage sein, um Menschen aller Religionen gemeinsam auf die Bühne zu bringen. Eine der größten Herausforderungen war es jedoch, aus diesem „offenen“ Werk ohne handlungstaugliche Dramaturgie ein Theaterstück zu machen. Das hat uns inzwischen zu Messiah-Vollprofis gemacht.

Ist es nicht ein Problem, so einen Klassiker der christlichen Kirchenmusik zu wählen? Besteht da nicht die Gefahr, dass sich manche von der hiesigen Tradition überrollt fühlen und andere beklagen, Händel werde als „Bausatz“ missbraucht?

Maja Wolff: Eben das ist war die Idee: Deutschland wird als Zuwanderungsland beschrieben. Ein Land, in dem seit dem Mittelalter das Christentum die vorherrschende Religion ist. Doch was geschieht, wenn sich das verändert, wenn andere Weltreligionen hier ihre Heimat finden und verschiedene Religionsgruppen um Vormachtstellung oder Alleinstellung kämpfen. Woher kommt die Angst vor der Islamisierung des Abendlandes, wo doch selbst der christliche Glauben seinen Ursprung im Morgenland hat? Wo ähneln sich die Gottheiten, was unterscheidet die Gläubigen – und wo finden wir gemeinsamen Boden? Das muss auch Händel heutzutage aushalten!

In der Projektskizze heißt es, es gehe bei der Aufführung um Kultur „und“ Religion. Wie haben Sie es bei den Proben erlebt – ging es eher darum, beides zu unterscheiden oder darum, zu schauen, wie viel Religion steckt in den Kulturen?

Maja Wolff: Es geht faktisch um beides. Wir haben Christen aus anderen Ländern im Projekt und neben aktuell Geflüchteten auch Muslime und Sikhs, die hier groß geworden sind. Durch das Medium Theater kommen die Teilnehmer sich näher und kulturelle Unterschiede weichen auf. Die SchauspielerInnen ordnen sich auch den Regeln des Stückes und der gemeinsamen Arbeit unter. Mit der Religion sieht das anders aus. Da knallen Ansichten zunächst einmal aufeinander aber – zu unserer eigenen Überraschung – wird sehr viel gemeinsam gelacht, gemeinsam gebetet in allen Variationen, Urteile und Vorurteile weichen auf und die Religionen stehen, zumindest innerhalb der Gruppe, nebeneinander.

Timo Becker: Insbesondere bei TeilnehmerInnen, die Flucht und Krieg miterlebt oder schwere Schicksalsschläge erlebt haben, spielt Religion eine besondere Rolle. Ihre Erfahrungen haben wir in großen Teilen in das Stück integriert.

Auf welchen Wegen haben Sie die Mitwirkenden gewonnen?

Timo Becker: Wir haben bereits mehrere Produktionen mit Geflüchteten und Migranten auf die Bühne gebracht, so dass ein paar DarstellerInnen durch uns bereits Erfahrung mitbringen.
Grundsätzlich konnte sich jeder für dieses Projekt anmelden. Wir haben in Flüchtlingseinrichtungen in Frankfurt geworben, bei öffentlichen Veranstaltungen sowie über E-Mail-Verteiler unterschiedlicher Religionsgemeinschaften in Frankfurt. Dadurch ist es uns gelungen, eine bunte Zusammensetzung aus Menschen unterschiedlicher Kulturen für das Projekt zu begeistern.

Im Februar 2018 begannen die Vorbereitungen für „Mein Gott ≠Dein Gott“ im April fanden die ersten Treffen und Proben statt. Die Aufführung ist ja nicht ein Nachspielen sondern Ergebnis eines Prozesses. Wie haben sie den erlebt?

Maja Wolff: Die Teilnehmenden der Theatergruppe haben sich zum Projektende ein ganzes Jahr mit den Themen des Stückes beschäftigt und sind als Ensemble zusammengewachsen. Viele Texte des Stückes wurden von den Akteuren selbst geschrieben und biografische Erlebnisse mit der Gruppe geteilt. Dadurch ist ein großes Vertrauen untereinander entstanden.

Timo Becker: Bei den Aufführungen können sie nun ihre gemeinsame Sicht, das Spiel mit den Religionen und die Arbeit, die sie in den Probenprozess gesteckt haben, mit einem breiten Publikum teilen. Es wird das Finale eines intensiven, erleuchtenden und spannenden Prozesses, der politisch und religiös neue Sichtweisen eröffnet.

Männerrollen, Frauenrollen, welche Rolle spielt das bei diesem szenischen Oratorium?

Maja Wolff: Frauen haben es in vielen Religionen bis heute nicht leicht, das Patriarchat herrscht selbst in vielen christlichen Gemeinschaften bis heute.
Und auch Händel hat im „Messiah“ nicht wirklich eine Lanze für die Frauen gebrochen. Umso mehr war es uns eine Freude auch die weibliche Perspektive der Religion im Stück aufzuarbeiten. Sind Frauen wirklich nur die Versuchung? Woher kommt die Missachtung der Frau? Und was wäre wenn Gott weiblich ist?
In unserem Stück finden sich Männer und Frauen wieder.

Sie haben schon mit vielen Generationen gearbeitet, wie sah es bei diesem Projekt aus?

Maja Wolff: Wir sind wieder ein komplett gemischtes Ensemble, die Spieler sind alle sehr jung, im Chor haben wir ganz erfahrene Sänger und Sängerinnen bis ins hohe Lebensalter.

An was haben sich Debatten entzündet?

Timo Becker: An den Polaritäten: Leben und Tod, Himmel und Hölle, an der Theodizee Frage und an Ritualen. Es gab aber auch Teilnehmer die das Projekt abgebrochen haben, weil sie fürchteten, dass wir ihre Religion im Stück als gleichwertig zu allen anderen Religionen darstellen. Es gilt im Theater wie im echten Leben: an Konflikten kommt man nicht vorbei. Vor allem offenbar nicht bei diesem Thema.

Wo fanden die Proben stand? Und was bedeutet es dann, in der Heiliggeistkirche aufzuführen?

Timo Becker: Wir sind sehr gespannt und freuen uns auf den „Umzug“ auf die große Bühne. Geprobt wird noch den gesamten Januar in der FUAS, dort nutzten wir viele verschiedene Räume, was den Probenprozess sehr erleichtert. Ab Februar wird alles zusammengefügt und wir bekommen in der letzten Woche noch die gesamte Bühnentechnik dazu.

Der Kreis der Unterstützer ist vergleichsweise groß, wie haben Sie das Werben für das Vorhaben erlebt?

Maja Wolff: Das Werben für das Projekt war vergleichsweise leicht, wir nehmen an, dass es an der hohen politischen Aktualität liegt und im Fokus der Öffentlichkeit steht.

Der Messias….was sagt er Ihnen?

Maja Wolff & Timo Becker: Mein Gott ist nicht gleich Dein Gott – und in unserem Fall ist es gelungen, dass die Teilnehmer sich in Toleranz und gegenseitiger Achtung und Nächstenliebe in ihren Religionen begegnen.

Weitere Informationen zu dem Stück und dem Ticketvorverkauf: hier


Autorin

Bettina Behler 297 Artikel

Bettina Behler, Medieninformation Evangelische Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt und Offenbach

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