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Zuversicht?!

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Corona und die Angst: Gunter Volz, Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung im Evangelischen Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach, setzt sich in dem folgenden Text damit auseinander, wie das Motto „Zuversicht" der diesjährigen EKD-Aktion zur Passionszeit in die Corona-Krise passt.

Pfarrer Gunter Volz  |  Foto: Rolf Oeser
Pfarrer Gunter Volz | Foto: Rolf Oeser

Wie wäre das Leben jetzt eigentlich ohne Corona? Das habe ich mich in diesen frühlingshaften Tagen immer wieder gefragt. Die Sonne und die warmen Temperaturen laden zum Rausgehen in die Natur und die Stadt ein. Der Anflug eines mediterranen Hauchs von Lebenslust kommt in diesem Jahr mit der Frühjahrsluft nicht auf. Alle versuchen den Eindruck von Normalität zu vermitteln, doch diese stellt sich einfach nicht ein. Zwar gehen die Menschen bei Sonnenschein nach draußen, aber das soziale Leben ist auf das verordnete Leben zu Hause gepolt. Viele arbeiten zumindest zeitweise im Home-Office. Doch wer sich davon neue Freiheit versprach, wird enttäuscht. Denn neben der Organisation des betrieblichen Shutdown vom häuslichen Schreib- oder Esstisch aus muss der Nachwuchs bekocht, beschult und bespasst werden. Trautes Heim sorgt dieser Tage für doppelten Stress, nicht für Entschleunigung und Entspannung.

Hinzu kommen die Sorgen. Welcher Gastronom sein Restaurant nicht zur Take-away-Station umrüsten konnte, sitzt allein am Tisch, mit oder ohne Personal. Dem Schneider, der nach seiner Ausbildung eine Anstellung in der Änderungsabteilung eines großen Bekleidungshauses gefunden hat, flattert die Kündigung ins Haus. Die Sängerin vertreibt sich ihre Zeit mit dem Verschicken einer selbstgedichteten Corona-Hymne über whatsApp. Den Messebauern fehlen die Aufträge, den Landwirten die Arbeitskräfte aus Bulgarien, Polen und Rumänien für die Spargelernte. Viele wissen nicht, wie sie sich, ihre Familie oder ihren Betrieb über die Runden bringen sollen, auch wenn es jetzt die eine oder andere Unterstützung des Staates gibt.

Erschreckende Bilder aus Deutschland - und der Welt

Die Passionszeit ist die Zeit im Kirchenjahr, in der wir uns an das Leiden und Sterben Jesu erinnern. Sie reicht von Aschermittwoch bis Karsamstag. In diesem Jahr kommen uns diese existentiellen Themen näher als in den Vorjahren, man kann sich ihnen kaum entziehen. Auch wenn es unsere Verwandten und Freund*innen vielleicht nicht trifft, die Bilder aus den schwer von der Corona-Infektion betroffenen Ländern, wie Italien und Spanien, sprechen für sich. Die Militärlaster, die die Toten von Bergamo in die überlasteten Krematorien bringen, bleiben tief im Gedächtnis haften, auch die Bilder aus den Alten- und Pflegeheimen in Würzburg und Wolfsburg.

Die Fastenaktion der evangelischen Kirche trägt in diesem Jahr den Titel „Zuversicht! Sieben Wochen ohne Pessimismus“. „Angst und Sorge sind zentrale Elemente menschlichen Bewusstseins. Sie dürfen aber nicht dominieren und Menschen in Hoffnungslosigkeit fallen lassen“. So steht es in dem begleitenden Text auf der Website der Aktion. Sie wurde konzipiert zu einer Zeit, da war Covid-19 noch unbekannt. Doch wie ist es nun mit der „Zuversicht“ bestellt, wenn das Virus die Welt im Würgegriff hält und den Menschen den Atem raubt? Macht es nicht alle zarten Versuche der Gewinnung religiöser Zuversicht völlig zunichte und hebt stattdessen den Pessimismus umso höher?

Kollektive Bedrängnis

Im Jahr 2014 veröffentlichte der bekannte Soziologe Heinz Bude seine zeitdiagnostische Studie über die „Gesellschaft der Angst“. Er unternahm darin den Versuch, die Angst als treibendes Motiv durch alle Schichten der Gesellschaft hindurch zu verfolgen: als begleitendes Gefühl im alltäglichen Kampf des neuen „Dienstleistungsproletariats“ über die Runden zu kommen, bis hin zur Angst vor dem Scheitern der Selbstoptimierung und vor nicht gelingenden Karrierewünschen ganz oben. Im Jahr 2020 nun rückt uns die Angst nicht nur individuell als Angst vor der Ansteckung, sondern massiv als kollektive Bedrängnis auf die Pelle.

Möglicherweise hat dieses „Gefühl depressiver Verstimmung“ (Heinz Bude) als untergründige Beunruhigung nicht nur mit der Angst vor Infektion, Leid und Tod, sondern noch viel mehr mit dem „Nachher“ zu tun. Was die Finanz- und Wirtschaftskrise und die Angst vor den Folgen des Klimawandels bei uns nicht fertig brachten, schaffte Corona in kürzester Zeit: die Infragestellung des Primats der Wirtschaft, der Garantie individueller (Reise-) Freiheiten und eines hohen Lebensstandards. Ein „Weiter-So“ wird es wohl nicht mehr geben.

Und wenn man über den Tellerrand hinausschaut, kommt die Sorge vor den Folgen von Corona in den Ländern des globalen Südens hinzu: die Angst vor der weiteren Vertiefung weiterer Ungleichheiten und des Grabens zwischen Arm und Reich, so wie es in einem Zeitungsbericht über Brasilien zu lesen war: diejenigen, die sich kostspielige Auslandsreisen leisten können, haben das Virus ins Land eingeschleppt. Und die Hausangestellten aus der Unterschicht, die sich keine gute Gesundheitsversorgung leisten können, zahlen die Rechnung mit ihrem Leben.

Leid und Hoffnung

Es gibt Zeichen des Zusammenrückens und zarte Ansätze von neuer Solidarität bei uns: Jugendliche und Student*innen kaufen ein für die Älteren. Neue Netzwerke gegenseitiger Hilfe und Unterstützung entstehen. Doch wächst damit die Zuversicht? „Sieben Wochen ohne Pessimismus“? Geht die Fastenaktion mit diesem Titel in diesem Jahr nicht völlig an der Realität vorbei? Auch ohne Corona wäre ein Leben, das nur von Optimismus getragen ist, kaum vorstellbar. Pessimistische Gedanken, Angst und Zweifel an der Zukunft gehören zum Leben dazu. Gerade wenn es so massive Ängste und Zukunftsfragen wie jetzt sind, dann lassen sie sich schon gar nicht mit der rosa Farbe der Zuversicht christlich übertünchen. Hoffnung kann erst dann wachsen, wenn wir Leid und Tod, so wie wir sie gerade erleben, ernst nehmen und nicht beiseite wischen.

Wir alle sehnen uns im Moment danach, uns anderen Menschen wieder unbefangen und ohne Sicherheitsabstand nähern zu können. Ich wünsche mir, dass ich im Supermarkt und auf der Straße keinem mehr begegnen muss, der eine Atemschutzmaske trägt. Und vor allem, dass die Senior*innen in ihren Heimen endlich wieder Besuch empfangen können. Ich wünsche mir mehr als ein „Quarantänchen Trost“ (Hr2 Kultur). Deshalb halte ich fest an der Hoffnung auf Auferstehung und Osterfreude. Und daran, dass Gott zu seiner Schöpfung und den Menschen steht, allen Viren zum Trotz: damit wir beherzt für die Opfer sorgen, Leben retten und auch das Leben nach Corona anpacken. Dafür wünsche ich mir schon jetzt Zuversicht!


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