Ethik & Werte

Häresie-Check: Ist der Leichenschmaus pietätlos?

Nein, denn er ist ein wichtiger Schritt in der Rückkehr zum Leben.

Wilfried Steller ist Pfarrer im Ruhestand und theologischer Kolumnist für das EFO-Magazin. Foto: Tamara Jung
Wilfried Steller ist Pfarrer im Ruhestand und theologischer Kolumnist für das EFO-Magazin. Foto: Tamara Jung

Am Leichenschmaus scheiden sich die Geister. Schon das Wort klingt frivol angesichts eines Toten. Es wird in größerer Runde gegessen und getrunken, auf dem Land gerne auch ein Bierchen und der eine oder andere Schnaps. Und ja: Es geht dabei auch schon mal fröhlich zu, wenn Anekdoten und Geschichtchen aus dem Le­ben der Verstorbenen die Run­de machen. Dieser Umgang mit dem Tod wirkt auf manche pie­tätlos.

Ist er aber nicht. Der bereits in vorchristlicher Zeit und in vie­len Kulturen gepflegte Brauch eines Traueressens – ich spre­che gerne vom Trösterkaffee – verträgt sich gut mit der christlichen Botschaft, dass das Leben den Sieg über den Tod behält.

Die innere Anspannung und die Fixierung auf den Verlust kommen im Bestattungsritual auf dem Friedhof zu ihrem vorläufigen Höhepunkt. Dieser Zustand muss jedoch immer wieder einmal unterbrochen werden, damit die Seele kei­nen Schaden nimmt und sich auch wieder mit dem Leben und den Lebenden beschäf­tigt. Essen und Trinken sind elementare Lebensvollzüge und halten Leib und Seele zu­sammen; die „salzigen“ beleg­ten Brötchen stehen für die Tränen, der „süße“ Kuchen für das Gute der Erinnerung. Dass bei solch einem Treffen vieles noch einmal in einer Art Zu­sammenschau erzählt wird, hilft beim Loslassen des ge­storbenen Menschen. Beim Zusammensein erlebe ich mei­ne Trauer in Gemeinschaft. Ich bleibe also nicht bei mir selbst und meiner Trauer, sondern schaue darüber hinaus und vollziehe zumindest eine sym­bolische oder vorläufige Rück­kehr ins Leben. Solche Mo­mente sind wichtig, damit die Begegnung mit dem Tod nicht auf immer mein Leben be­herrscht, sondern nach und nach eingebaut wird in eine neue Perspektive - und oft auch einen neuen Lebens­inhalt. Im Trauerprozess ver­mittelt der Leichenschmaus also eine Menge: Geteiltes Leid ist halbes Leid, ich bin nicht allein, und vor mir liegt neues Leben.


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Wilfried Steller 51 Artikel

Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt und Offenbach" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.

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