Ethik & Werte

„Trans, nicht-binäre und queere Lebensformen sind Teil der Schöpfung"

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau will in ihren eigenen Strukturen das Bewusstsein für die Vielfalt von Geschlechtern und unterschiedliche sexuelle Orientierungen und Lebensweisen fördern. Ein Interview mit Pröpstin Henriette Crüwell, die das erste queersensible Netzwerk-Treffen mitorganisiert hat.

Pröpstin Henriette Crüwell will, dass die evangelische Kirche sensibler für die Anliegen queerer Menschen wird. | Foto: Tim Wegner/epd-Bild
Pröpstin Henriette Crüwell will, dass die evangelische Kirche sensibler für die Anliegen queerer Menschen wird. | Foto: Tim Wegner/epd-Bild

Frau Crüwell, als Mitglied der Kirchenleitung haben Sie im Juni das erste queersensible Netzwerktreffen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) mitorganisiert. Wieviele Menschen haben teilgenommen, und was kam dabei heraus?

Es waren siebzig Teilnehmende. Wir wollten zunächst einmal Menschen in Kontakt bringen, die in der EKHN schon queersensibel arbeiten. Nach einem Grußwort der Kirchenpräsidentin Christiane Tietz erzählten vier queere Menschen von ihren Erfahrungen mit der Landeskirche. Dann wurde in kleineren Gruppen über Erfahrungen mit Diversität in der Kirche gesprochen, beziehungswese darüber, wo sie vermisst wurde. So ist eine Gruppe entstanden, die ein Curriculum für Queersensibilität für Haupt- und Ehrenamtliche und in der Konfirmationsarbeit erarbeiten wird.

Was ist weiterhin geplant?

Das nächste Netzwerktreffen findet im Januar 2026 statt, und nächstes Jahr soll es außerdem eine Konferenz zum Thema „Queere Theologie“ geben. Es entstehen ein Konzept für eine queerfreundliche Gemeinde sowie eine queersensible Landkarte für Gemeinden und Gottesdienste, die bereits queersensibel sind. Auch an einer queersensiblen Sprache wird gearbeitet.

Was bedeutet das neue Netzwerk für queere Menschen?

Eine Teilnehmerin sagte, ihrer Erfahrung nach streite niemand für sie, wenn sie es nicht selbst tue. Aber jetzt hat sie gesehen, dass sie nicht alleine ist, sondern sich bereits viele engagieren. Grundsätzlich geht es aber nicht um „Othering“, um die Unterteilung in die Queeren und wir Anderen. Sondern das Thema Diversität betrifft uns alle, und wir lernen alle dadurch, auch in punkto Rassismus und Inklusion. Das neue Netzwerk soll das Bewusstsein stärken, dass wir alle anders anders sind, und dass das dem Ebenbild Gottes entspricht.

Wie ist die evangelische Kirche in der Vergangenheit mit queeren Menschen umgegangen?

Das kann man in einem Schuldbekenntnis nachlesen, das die Kirchensynode der EKHN im April 2023 ausgesprochen hat. Es beginnt mit folgenden Sätzen: „Lesben, Schwule, Trans- und Intersexuelle haben in Gemeinden und Einrichtungen der EKHN Diskriminierung erfahren. Dem haben wir als Kirche nicht gewehrt. Schlimmer noch: Wir haben die Würde von Gottes Geschöpfen verletzt, welche sich einseitig auf ein nur binäres, heteronormatives und letztlich patriarchales Familienbild bezogen. Diese Erklärungen und Verlautbarungen erkennen wir heute als Irrtum.“

Welches Bekenntnis hat sich aus diesem Irrtum entwickelt?

Seit einigen Jahrzehnten gehört es jetzt sozusagen zur DNA der EKHN, Vielfalt nicht als Manko, sondern als Reichtum zu verstehen. Heute glauben wir, und so steht es auch im Schuldbekenntnis, dass Homosexualität, Bisexualität, Trans- und Intersexualität, non-binäre und queere Lebensformen ein Teil der Schöpfung sind. Der Glaube an Jesus Christus befreit uns zu der Einsicht, dass Menschen mit all ihren Unterschieden in Christus erlöst und verbunden sind. Er leitet uns an, alle Menschen in ihrer Würde zu achten und füreinander da zu sein.

Welche Schritte gab es bereits in der Praxis?

Schon 2002 wurde die Segnung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften in der EKHN ermöglicht. Die Gleichstellung von Segnung und Trauung erfolgte 2013 und fünf Jahre später wurde die Segnung in Trauung umbenannt und die Eintragung in die Kirchenbücher von der Synode verabschiedet. Außerdem ist 2018 im Auftrag der Kirchenleitung eine bis heute nachgefragte Broschüre zu Transsexualität in der Kirche von der Fachgruppe Gendergerechtigkeit erarbeitet worden.

Was bedeutet es in Zeiten von erstarkendem christlichem Fundamentalismus und Rechtsradikalismus, sich als Kirche öffentlich solidarisch mit queeren Menschen zu zeigen?

Das kommt zur richtigen Zeit, denn diese Tendenzen gibt es nicht nur in Russland oder Amerika, sondern längst auch bei uns. Gewalttaten gegen Menschen, die nicht ins gewöhnliche Geschlechter-Raster passen, nehmen wieder zu. Ihre Situation ist oft prekär. Umso wichtiger, dass die evangelische Kirche sich klar dazu bekennt, dass Gott sich in der Vielfalt seiner Geschöpfe zeigt. Dafür wollen wir im Übrigen auch bei unseren ökumenischen Partner:innen eintreten.


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Autorin

Stephanie von Selchow ist Redakteurin des EFO-Magazins.

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