Wenn grundlegende Werte plötzlich radikal sind
War es Mut? War es Wahnsinn? Oder einfach nur das normale Geschäft? Als die Washingtoner Bischöfin Mariann Budde dem US-Präsidenten Donald Trump im Gottesdienst zu seiner Amtseinführung quasi ins Gesicht predigte, horchte die Welt auf. „Im Namen unseres Gottes bitte ich Sie, dass Sie sich der Menschen in unserem Land erbarmen, die jetzt Angst haben“: Mit diesen Worten richtete sich Budde direkt an Trump, der nur sieben Meter von ihr entfernt saß, ausnahmsweise zum Schweigen verurteilt, weil man im Gottesdienst eben nicht dazwischenplärrt. Es gebe „schwule, lesbische und transsexuelle Kinder“, die nun um ihr Leben fürchteten, sagte die Bischöfin mit ganz ruhiger Stimme. Sie verwies auch auf illegal eingewanderte Menschen, denen nun die Abschiebung drohe.
Wäre diese Predigt bei einem Kirchentags-Gottesdienst in Deutschland gehalten worden, hätte sie keinen großen Nachrichtenwert gehabt. Sie wäre „Business as usual“ gewesen. Eine Pfarrerin, die sich für sozial Schwächere einsetzt: klar, gute Sache, aber wohl kaum eine Sensation, die sich wie ein Lauffeuer in den Sozialen Medien verbreitet und weltweit Resonanz findet.
Man muss sich das vor Augen führen, um zu verstehen, warum genau diese Predigt wohl als außergewöhnlich mutige Tat in die Geschichtsbücher eingehen wird, und das zu Recht: Wenn in einem demokratischen Staat der Verweis auf grundlegende menschliche Werte bereits als revolutionärer Akt gilt, läuft etwas falsch.Und genau das, dass in den USA etwas ganz und gar falsch läuft, wird seit ein paar Wochen täglich mehr zur Gewissheit.
Die Reaktionen auf die Predigt von Bischöfin Budde zeigen dabei, wie dringend die Kirchen und die christliche Botschaft gebraucht werden. Aber nicht nur sie. Jeder und jede Einzelne kann heute einen Unterschied machen, indem er oder sie im privaten oder öffentlichen Raum die Notwendigkeit ausspricht, menschlich zu handeln. So banal, so weltbewegend.
Auch in Deutschland ist bei den Bundestagswahlen im Februar deutlch geworden, dass Appelle für Menschlichkeit und Gerechtigkeit heute nicht mehr einfach „Business as usual“ sind. Als die CDU unter Friedrich Merz zusammen mit der in Teilen rechtsextremistischen AfD für mehr Härte gegen Migrant:innen stimmte, gab es ebenfalls schnell Gegenwind aus beiden großen Kirchen.
Und das ist gut so. Selbstverständlich müssen Christinnen und Christen sich politisch einmischen, wenn es um ihre ureigene Kernbotschaft geht, die Nächstenliebe. Nicht nur auf der Kanzel, sondern im täglichen Leben.
Ist das Mut, ist das Wahnsinn? Zur Zeit offensichtlich beides. Bleibt nur zu hoffen, dass es eines Tages wieder ganz normal und langweilig wird.
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