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Integration und Vielfalt: Die Kita „Blätterdach“ in Frankfurt Praunheim

Die Kindertagesstätte der Auferstehungsgemeinde in Frankfurt-Praunheim war in den 1990er Jahren eine der ersten Frankfurter Kitas, die das sogenannte offene Konzept einführte. Einbindung in den Stadtteil und nachhaltiges Wirtschaften zählen heute zu den Herzensanliegen.

Fürsorge für die Natur wird großgeschrieben in der Kita "Blätterdach" der Praunheimer Auferstehungsgemeinde. | Foto: Silke Kirch
Fürsorge für die Natur wird großgeschrieben in der Kita "Blätterdach" der Praunheimer Auferstehungsgemeinde. | Foto: Silke Kirch

Inzwischen arbeiten zahlreiche Kitas nach einem solchen Konzept: Anstelle von Gruppenräumen gibt es Funktionsräume, die den Kindern eine Vielzahl von Möglichkeiten bieten, ihre eigenen Interessen zu vertiefen: Bauraum, Rollenspielraum, Kreativ-Werkstatt und Bewegungsraum. In jedem davon finden etwa 15 Kinder Platz.

Bianca Hartmann, die die Kita Blätterdach Praunheim leitet, hält das Konzept für aktueller denn je. Es setze den hessischen Bildungsplan, der die Entwicklung der individuellen Kompetenzen und Ressourcen jedes Einzelnen in den Mittelpunkt stellt, optimal um: „Wir arbeiten fortlaufend an der Verfeinerung des Konzeptes.“

Im Rollenspielraum gibt es Hochebenen und Höhlen, ein Schiff für Weltumseglerinnen, heimelige Schlupfwinkel, Spiegelwände und jede Menge Kostüme und Materialien – etwa um kranke Puppenkinder zu versorgen oder auf Dschungelexpedition zu gehen. Nebenan im Kreativraum finden sich Werkbank, Malsachen und Forscherecke sowie ein Brennofen für Ton; im Bauraum gibt es reichlich freie Flächen und Materialien, um der Fantasie freien Lauf zu lassen, im Bewegungsraum lockt eine Kletterwand. Heute steht hier ein Thron für ein Geburtstagskind, das gerade von seinen Freunden gefeiert wird. Die Außenwände haben große bodentiefe Fenster, an anderen Stellen kleine Bullaugen, die für Durchblick und Ausblick sorgen.

Herzstück der Kita ist der geräumige Flur. Dort tummeln sich in einem Aquarium eine Handvoll Fische nebst einem Schwarm winziger Fischlein, fast ein Sinnbild der durch das Außengelände herumwuselnden Kinder, durch deren bunte Mitte, ich mir beim Hereinkommen einen Weg gebahnt habe. Durch Oberlichter fällt Tageslicht in den Durchgangsbereich, in dem auch die Tische für die Mahlzeiten stehen und eine kleine Küchenzeile auf Kinderhöhe zum Mitmachen einlädt. Regelmäßig werde hier Marmelade oder Apfelmus gekocht, die Zutaten finden die Kinder in näherer Umgebung: Apfel-, Nuss- und Pflaumenbäume im Kita-Garten sowie das unweit gelegene Gelände der Bundesgartenschau liefern frisches Obst, abgeholt werde es dort gerne mit dem Fahrrad. Regionale Versorgung, gute Vernetzung mit dem näheren Umfeld, Nachhaltigkeit – das sind Herzensanliegen von Bianca Hartmann und ihrem Team. Dazu gehören neben dem Wasserspender im Flur und der täglich frischen Zubereitung des Essens mit der Bio-Gemüsekiste Ausflüge zum Bauernhof, um bei Kartoffelsetzen und -ernten zu helfen sowie die Pflege des hauseigenen Kräutergartens.

Täglich gibt es feste Zeiten für das Spiel auf dem etwa 1000 Quadratmeter großen Außengelände. Der Baumbestand sorgt im Sommer für ein Blätterdach – daher hat die Kita ihren Namen. Allerdings grünt es nicht mehr so üppig wie einst, denn die anhaltende Dürre in den vergangenen Jahren hat den alten Bäumen zugesetzt, und der Bestand musste zum Schutz der Kinder dezimiert werden. Dennoch gibt es reichlich Schlupfwinkel und Trampelpfade, um eigenen Spielideen nachzugehen. Eine Wasserpumpe nebst Leitungssystem erlaubt die Herstellung von Matsch, Bauwagen halten Spielgeräte bereit, Klettergerüste ermöglichen Perspektivwechsel und schulen den Gleichgewichtssinn.

In einem großen Käfig mit Auslauf schnuppern zwei Hasen in die Welt. „Man muss sich gut um sie kümmern, sonst werden sie krank und sterben“, erklären die Vorschulkinder. Fürsorge für die Umgebung ist hier ein großes Thema: Die Kinder pflegen und versorgen Hasen wie Fische, inklusive notwendiger Tierarztbesuche. Zweimal im Jahr gibt es einen Gartentag, bei dem das Gelände aufgeräumt wird, der Sand zum Spielen ausgewechselt wird, die Hecken geschnitten werden. Auch das große Schiff und die Schaukeln wollen gepflegt sein. Alle machen mit, Eltern und Kinder, mit großem Engagement und eigenen Ideen. Zuletzt wurde ein Insektenhotel gebaut, das nun auf Bewohner wartet. Das verbindet und macht Spaß. „Der Papa hat mich mit der Schubkarre gefahren“, wird mir anvertraut. Und damit all der Sand in den Container passte, war es unabdingbar, vom Rand aus immer wieder auf den Sandhaufen zu hüpfen. Leuchtende Kinderaugen: Der Frühling und der nächste Gartentag sind nicht fern.

2018 Jahr hat die Kita einen Preis gewonnen: zwei Wochen lang haben die Mainova-Alltagsheld*innen beim Umgestalten des Geländes geholfen, den Bauwagen mit den Geräten neu platziert, geschliffen und frisch gestrichen, Steine versetzt, gegraben und gepflanzt – und das alles in ihrer Freizeit. Seit 2013 kümmern sich Mitarbeiter*innen der Mainova um regionale Projekte für Kinder und Jugendliche; Interessierte können sich bewerben, über ein internes Voting wird abgestimmt, im vorletzten Jahr zugunsten der Kita Blätterdach.

Aber das ist längst nicht alles, die etwas versteckte Lage der Kita sowie die Spielstraße vor dem Haus, erlauben, den Bewegungsradius über das Außengelände hinaus zu vergrößern. Einige Kinder sausen mit Rädchen hin und her und lassen ein paar Wortfetzen durch die fast Luft fliegen. „Hasendienst“ und „Hasenschlüssel“ schnappe ich am Rande der Racing-Strecke auf. Bianca Hartmann hilft nach: Jedes Wochenende sowie in den Ferien übernimmt eine andere Familie den so genannten Hasendienst, sorgt für Nahrung, Stroh und Zuwendung. Die Einbindung in den Stadtteil funktioniert über die Betriebszeiten hinaus und auch Bianca Hartmann genießt es, bei Büroarbeiten am Samstag gelegentlich Besuch zu bekommen. Die Vernetzung mit den Familien und Nachbarn liegt ihr besonders am Herzen. Zwei Vorleseomas beglücken die Kinder regelmäßig mit Lektüre, ein Nachbar hat die Wartung des Kita-eigenen Fuhrparks übernommen und repariert zusammen mit den Kindern Fahrräder und andere Gefährte, ein anderer bietet einmal in der Woche Yoga für Kinder an – alles ehrenamtlich.

Auch das – so Bianca Hartmann – sei nachhaltiges Engagement. Mit dem auszukommen, was da sei, sich miteinander zu verbinden, auszuhelfen, beizustehen, das sei nicht zuletzt ein Beitrag zu einer nachhaltigen Lebensweise. Einen Naturbezug aufzubauen, das stehe für sie an erster Stelle, mit dem großen Außengelände und dem nahen BUGA-Gelände sind die Bedingungen dafür optimal. Wichtig in ihren Augen ist weniger zusätzliche Projektarbeit als die Bildung von gesunden Gewohnheiten: Einbindung in das große Ganze. Das üben sie jeden Tag.


Autorin

Silke Kirch 55 Artikel

Dr. Silke Kirch studierte Germanistik, Kunstpädagogik und Psychologie in Frankfurt am Main und ist freie Autorin und Redakteurin.

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