Warum das Fasten im Protestantismus lange verpönt war
Die Wochen vor Ostern sind im Christentum traditionell eine Zeit des Fastens. Aber der freiwillige Verzicht auf Genussmittel ist auch jenseits von Religion weit verbreitet, ob Heilfasten, Intervallfasten oder der „Dry January“. Meldet sich hier eine Bedeutung für die Gegenwart? Der Religionsdetektor schlägt an.
Laut Statistischem Bundesamt geht der Absatz von Süßigkeiten in der vorösterlichen Passionszeit um vier Prozent zurück, der alkoholischer Getränke sogar um zehn Prozent. Noch deutlicher ist es im „Dry January“: Dann wird ein Viertel weniger Alkohol verkauft und ein gutes Drittel weniger Süßigkeiten. Als Motivation werden besseres körperliches oder seelisches Wohlbefinden, Abnehmen, in kleinerem Ausmaß auch gesellschaftliche Konsumkritik genannt.
Evangelischerseits hat man das Fasten lange kritisch gesehen. Die vorösterliche Askese war verpönt. 1522 provozierte der Schweizer Reformator Ulrich Zwingli mit einem demonstrativen öffentlichen Wurstessen zum Auftakt der Fastenzeit. Und Martin Luther bemängelte: „Die Fastenden suchen im Fasten nicht mehr als das Werk an sich selbst.“
Sich das Heil selbst machen zu wollen, statt dafür auf Gott zu vertrauen – diese Kernkritik der Reformation gilt auch fürs Fasten.
Körperliches und seelisches Wohlbefinden, Gesundheit, eine gute Figur, sogar die Konsumkritik – überall spielt das „Werk an sich selbst“ natürlich eine zentrale Rolle. Diese Ausrichtung ist im Grunde wenig erstaunlich; die Ausrichtung aufs eigene Ich, die eigene Individualität, ist die Signatur unserer Zeit. Das Fasten passt da gut hinein.
Zweifellos hat diese Haltung ihre Stärken. Wer will schon zurück in eine Zeit, als die Interessen des Einzelnen hinter „höheren“ Interessen zurückstehen mussten.
Trotzdem bleibt die Kritik der Reformation ein interessantes Sensorium: Führt das Fasten als „Werk an sich selbst“ dazu, dass man noch mal stärker nur um sich selbst kreist?
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