„Wir haben das Kirchenlied in eine neue Dimension gehoben“
Herr Eckert, wie heißt Ihr neuestes Lied ?
Es heißt „Inmitten von Krisen“ und hat den Refrain „Seid mutig, stark und beherzt“. „Mutig, stark, beherzt“ ist die Losung des evangelischen Kirchentags dieses Jahr in Hannover – der 25. evangelische Kirchentag, an dem wir mitwirken und wir greifen immer gerne das Aktuelle auf.
Ihre Band Habakuk wird dieses Jahr fünfzig. Wie kam es 1975 zur Gründung?
Als Peter Janssens, damals ein Guru der geistlichen Pop-Musik, in der Liturgischen Nacht zum Kirchentag 1975 in Frankfurt „Unser Leben sei ein Fest“ anstimmte, tat sich für mich als jungen Mann ein neuer Horizont in der Kirchenmusik auf. Professionelle Pop-Musik in der überfüllten Messehalle, Lachen, Tanz und Lebensfreude – ich war ja klassisch ausgebildet, mit Posaunen- und Gemeindechor und kannte das nicht. Kirchenlieder, die zugleich fromm und politisch waren und Menschen unmittelbar ansprechen: Das elektrisierte mich. Mir wurde klar, dass das die Musik ist, die ich machen will.
Wie entstand die Band?
Als Jugendleiter in der Gethsemanegemeinde lernte ich Jürgen Kandziora kennen. Er war Jugend-musiziert-Preisträger im Fach Gitarre. Mit ihm und meiner damaligen Feundin Angelika Dietze habe ich die Band gegründet. Sie war 30 Jahre unsere Leadsängerin, bevor sie viel zu früh starb. Anfänglich haben noch meine Schwester und ihr Freund mitgemacht, es war fast familiär.
Wie kamen sie auf den Namen „Habakuk“?
Auf nur drei Seiten entwickelt der biblische Prophet Habakuk in der Bibel seine Sozialprophetie – mit der Klage gegen rücksichtslosen Reichtum und der Utopie eines guten Lebens in Gemeinschaft. Das fanden wir als Programm für uns gut.
Wie ging es dann weiter?
Zufällig wohnte meine Familie im Nordend, dem Stadtjugendpfarramt direkt gegenüber, als Martin Jürges dort Pfarrer wurde. Er hat uns finanziell geholfen, die erste Musikanlage anzuschaffen, und wir haben dreißig Jahre lang im Keller des Amtes geprobt. Zwischen Jürges und uns entstand eine intensive Freundschaft. Er war im Kontext der Stadtjugendpfarrerkonferenz mit vielen verbunden und hat dafür gesorgt, dass wir in Deutschland herumkamen. Beim Kirchentag 1977 in Berlin traten wir zum ersten Mal vor großem Publikum auf. Seit 1979 entstanden eigene Lieder. „Halte deine Träume fest“ stammt aus dieser Zeit. Wir haben es auch 1983 bei der Trauerfeier gesungen, die Propst Trautwein für Familie Jürges hielt: Martin Jürges, seine Frau und seine zwei Kinder kamen vollkommen unschuldig beim Absturz eines Starfighters der kanadischen Luftwaffe ums Leben. Das hat uns alle erschüttert.
Was hat Ihnen Kraft gegeben?
Beim Kirchentag 1983 in Hannover lag die musikalische Gestaltung des politischen Nachtgebets mit Amnesty International bei Habakuk. Dazu war auch die Theologin Luise Schottroff eingeladen, Neutestamentlerin und damals umstrittene feministische Theologin in Mainz. Das Nachtgebet verschob sich und so hatten wir dort eine Stunde Wartezeit miteinander.
Was geschah in dieser Stunde?
Luise Schottroff fragte nach meinem Theologiestudium. Ich war damals drauf und dran, es aufzugeben. Während ich als Sozialarbeiter arbeitete, war ein Mädchen mit einer Inzestgeschichte, das ich betreut hatte, an einer Überdosis gestorben. Das stürzte mich in eine tiefe Krise. Und der entsetzliche Tod von Jürges und seiner Familie machte es nicht besser. Aber Luise Schottroff hat mir Mut gemacht. Sie lud mich als Privatschüler zu sich nach Mainz ein. Ich musste griechisch lesen, übersetzen, exegetische Probleme lösen. Und als mein Griechisch gut genug war, nahm sich ihr Mann Willy, Alttestamentler in Frankfurt, meiner an und las mit mir Hebräisch. Ich wurde eine Art Adoptivsohn für sie, verbunden mit einem gemeinsamen Engagement für den konziliaren Prozess.
Was war das?
Ein ökumenischer Lernweg der Kirchen mit Blick auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung angesichts wachsender Umweltzerstörung, Ungerechtigkeit und Massenvernichtungswaffen. Übrigens: Luise Schottroff war es auch, die 1985 Dorothee Sölle die Türen zum Kirchentag öffnete, indem sie ihre Bibelarbeiten mit ihr teilte. Beide feministische Theologinnen, die sich zeitlebens für Arme und Unterdrückte einsetzten. Plötzlich waren wir zu dritt. Wir verabredeten uns immer wieder neu für Kirchentage und entwickelten ein Konzept aus Theologie, also Exegese, Poesie und Musik, das weit trug. Bis zu einer Tournee nach Kanada.
Wie hat die feministische Theologie Ihre Liedtexte beeinflusst?
Sie hat mich sehr bewusst zu einem Vertreter der inklusiven Sprache gemacht. Viele traditionelle Kirchenlieder sind von der patriarchalen Sprache geprägt. Gott ist der Herr oder der Vater. Die feministische Theologie kritisiert das zu Recht, auch indem sie an mütterliche Attribute Gottes in der Bibel erinnert.

„Bewahre uns Gott“ war das erste Lied von Ihnen, das 1993 ins evangelische Gesangbuch aufgenommen wurde. Im katholischen Gotteslob stehen 22 Ihrer Lieder. Was bedeutet die Aufnahme in den Kanon für Sie?
„Bewahre uns Gott“ geht auf ein modernes Kirchenlied aus der Friedensbewegung in Südamerika zurück, das Angelika Dietze entdeckt hat. Die wunderbare Melodie haben wir übernommen, den Text habe ich 1984 als eigenständiges Gedicht geschrieben, mit Zustimmung des Komponisten Anders Ruuth. Es ist millionenfach abgedruckt und auch im Internet aufgerufen worden. Dort am meisten in großer Besetzung mit Chor und Orchester. Mit so einem Erfolg hätte ich nie gerechnet. Eigentlich habe ich Lieder geschrieben, um mit meinen Freunden Musik zu machen. Welche Wege sie dann gingen: Darüber kann ich nur staunen und mich freuen. Und zugleich sage ich: Wenn ich ein Lied mit so großer Verbreitung in der Unterhaltungsmusik geschrieben hätte, wäre ich heute Millionär.
Warum sind Sie dennoch bei der geistlichen Popmusik geblieben?
Weil mich durch die Höhen und Tiefen des Lebens der Glauben beschäftigt und ich im Singen unsere Nähe und Entfernung zu Gott ausloten möchte. Das geht existenziell viel tiefer als die Unterhaltungsmusik.
Wie viele Lieder haben Sie insgesamt geschrieben?
Es sind rund 2.000 Lieder. Viele aber gehen über die Band hinaus. So war ich 32 Jahre lang als evangelisches Mitglied im katholischen Arbeitskreis Kirchenmusik und Jugendseelsorge des Bistums Limburg engagiert. Und da sind viele Publikationen entstanden. Nach dem Streit um Bischof Tebartz van Elst war ich 2012 Mitgründer des von der Amtskirche unabhängigen ökumenischen Vereins InTAKT e.V.. Wir geben weiterhin Chor- und Gesangbücher heraus und gestalten bundesweit Fortbildungen und Workshops. Neben den Liedern bin ich zudem Autor für Singspiele, Kantaten und inzwischen zwölf Oratorien.
Wie hat sich die Band über die Jahre verändert?
Es gab drei Abschnitte. Nach den ersten zehn Jahren sind wir 1985 in eine Krise geraten, weil es einen Stillstand in der Schaffenskraft gab. Die erste Besetzung brach auseinander. Angelika Dietze und ich dachten, das sei das Ende. Aber unser erster Gitarrist empfahl uns Torsten Hampel. Der studierte an der Musikhochschule und war auf dem Klavier ein Alleskönner. Er hatte Lust, diese Art Musik zu machen, und schon waren wir ein Trio. Aus seinem Semester kannte Torsten auch Alejandro Veciana, der in Spanien aufgewachsen war und sagenhaft Elektrogitarre spielte. Hits, wie „Eingeladen zum Fest des Glaubens“ und „Wäre Gesanges voll unser Mund“, stammen aus seiner Feder. Mit ihm hatte die Band dann schon zwei Profis in ihren Reihen. Und als wir auch noch einen Schlagzeuger an der Musikhochschule gefunden haben, war ein Quantensprung für die musikalische Arbeit gelungen.
Und wie spielen sie jetzt zusammen?
Seit 2005 sind nur noch Dorothea Rosenzweig und ich nicht studierte Musiker. Seither bestehen wir aus acht Personen: Doro, Laura Doernbach und ich singen, Klaus Bussalb spielt Bass, Jan Koslowski Gitarre, Andreas Neuwirth Klavier, Christoph Maurer Schlagzeug und Raphael Wolf Saxophon. Die meisten von uns spielen auch in anderen Formationen. Und unsere Arbeitsweise hat sich professionalisiert. Alle müssen vorbereitet zu den wenigen Proben kommen, die zeitlich möglich sind. Einzelstimmen werden nicht geprobt, sondern das Zusammenspiel. Alles sehr komprimiert, effektiv und immer heiter.
Was wollten Sie als Band erreichen und ist Ihnen das gelungen?
Erreichen wollten wir, mit unserer Musik öffentlich auftreten zu können. Dass uns das seit fünfzig Jahren gelingt, halte ich für sehr gelungen. Viele Bands bestehen vielleicht fünf oder acht Jahre. Die anderen sagen, ich sei die Lokomotive. Ich glaube aber auch, dass wir das Kirchenlied in eine neue Dimension heben konnten. Einmal durch die inklusive Sprache, über die wir schon sprachen, dann durch den unmittelbaren Ausdruck und das Gefühl von Lebensfreude, und drittens durch Geschichtsbewusstsein.
Wie meinen Sie das?
Die Lebensfreude? Naja, viele der traditionellen Lieder beschreiben unser Leben als Jammertal, das man durchmessen muss, um in die himmlischen Freuden einzugehen. Ich bin in der Methodistenkirche aufgewachsen und wurde von einem so engen Pietismus geprägt. Aber ich dachte immer, in Kirchenliedern muss doch auch das Leben gefeiert werden. Das tun wir jetzt, indem wir sogar Liebeslieder singen.
Und das Geschichtsbewusstsein?
In der Singbewegung hat man nach dem Krieg zwei Wege beschritten. Der eine: Man hat gar nicht mehr gesungen. Von Theodor Adorno stammt sinngemäß der Satz: Nirgends steht geschrieben, dass gesungen werden muss. Singen war verbrannt, die Hitlerjugend hatte Lieder aus der Wandervogelbewegung und auch christliche Lieder missbraucht. Deswegen konnte die Nachkriegsgeneration nicht mehr einfach so drauflossingen. Es sei denn, und das ist der zweite Weg, in Chören wie denen von Gotthilf Fischer: Zurück zum Volkslied, unreflektiert. Für mich undenkbar. Ich habe mich schmerzlich mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt, habe für die „Aktion Sühnezeichen“ und später für „Zeichen der Hoffnung“ Gruppenfahrten nach Auschwitz geleitet. So habe ich gelernt, dass selbst in Auschwitz, auch Adornos Diktum entgegen, gesungen, musiziert und gebetet wurde. Das hat den Menschen Hoffnung und Halt gegeben. Dieses Geschichtsbewusstsein steht im Hintergrund vieler meiner Liedtexte und ist mir wichtig, nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit der AfD heute.
Was treibt Sie nach fünfzig Jahren noch an?
Wir sind durch die Jahrzehnte immer wieder eingeladen worden – ich kenne Menschen in ganz Deutschland. Wir sind sogar schon in der DDR aufgetreten, als die Mauer noch stand. Wir waren in Kanada, unsere Lieder sind teilweise ins Englische übersetzt. Das sind doch fantastische Möglichkeiten. Alle zwei Jahre haben wir eine Studioproduktion herausgebracht – insgesamt 22 CDs. Es ist einfach eine Lust, etwas zu schaffen, das es noch nicht gegeben hat.
Wie kommt Sacro-Pop in der jungen Generation an? Hören 20-Jährige noch Habakuk?
Erstaunlicherweise ja. Wir fahren ja jetzt auch wieder zum Kirchentag nach Hannover. Unsere Konzerte sind weiterhin gut besucht. Manchmal kommen sogar drei Generationen. So wie ich es erlebe, finden alle Altersstufen schöne Melodien, professionelle Musik und Glaubwürdigkeit gut.
Wie feiert die Band ihren fünfzigsten Geburtstag?
Wir geben am Sonntag, 7. September, um 17 Uhr in der Markuskirche in Offenbach ein Festkonzert. In die Kirche passen mindestens 500 Leute und wir freuen uns, wenn es voll wird.
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