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Iran: „Man lernt hier Religion als Staatsmacht kennen“

Der Ökumeneneausschuss der Evangelischen Kirche Frankfurt hat eine Fortbildung organisiert: Sie führte von Frankfurt aus in den Iran.

Für die Besichtigung der Großen Moschee in Qom ist Anlegen des Tschadors Voraussetzung |  Fotografin: Bettina Behler
Für die Besichtigung der Großen Moschee in Qom ist Anlegen des Tschadors Voraussetzung | Fotografin: Bettina Behler

Zauberhafte Abendstimmung in der Masdjed-e Imam Moschee in Isfahan, Überwachungskameras, die in Teheraner Lokalen drohend über Teller und Gespräch schweben, Diskussionsrunden in einer der 15 Synagogen der Hauptstadt und in der dortigen deutschsprachigen evangelischen Gemeinde. In der Islamgelehrtenstadt Qom Treffen mit einem Geistlichen, der sich mit Interreligiösem befasst und über das Verhältnis von Mensch und Gott in Bibel und Koran promoviert hat, blühende Gärten, historische Stätten der Hochkultur wie Persepolis – vieles haben die 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der zehntägigen Fortbildungsreise im Iran erlebt. Zu Hause müssen nicht nur die Fotos sortiert werden. Gespräche überlagern Presseberichte aus der Heimat, Impressionen wollen hinterfragt sein.

Eine Reise mit Kopftuch

Der Ökumeneausschuss der Evangelischen Kirche Frankfurt hat die Fahrt geplant, angeschlossen haben sich Haupt- und Ehrenamtliche aus dem gesamten Gebiet der Landeskirche, die mit Flüchtlingsfragen befasst sind. Was ist der Iran für ein Land, aus dem Menschen hilfesuchend zu uns kommen?, wollen die Reisenden wissen. Ziel der Unternehmung ist es auch, mehr über die schiitische Glaubenswelt zu erfahren, herauszufinden, wie die Situation der Christen und anderer Minderheitenreligionen im „Mullahstaat“ aussieht. Susanna Faust Kallenberg, Pfarrerin für Interreligiöses im Stadtdekanat, hat die Reise mit dem irankundigen Ehepaar Hans Michaelis und Farkondeh Hasheminiya, Anja Harzke, Pfarrerin in Sankt Thomas und während der vergangenen zwei Jahre für die Flüchtlingsarbeit in den Frankfurter Gemeinden zuständig, in Zusammenarbeit mit Prodekanin Ursula Schoen vorbereitet. Pfarrerin Silke Alves-Christe aus der Dreikönigsgemeinde sagt, sie sei „stellvertretend“ für die Iranflüchtlinge, die sie in Sachsenhausen betreut, mitgereist, „ich wäre selber nie auf die Idee gekommen“, betont sie und erzählt im nächsten Atemzug von den insgesamt vier Jahren, die sie in Israel verbracht hat. Alves-Christe will nicht missionieren. Aufgrund von Nachfragen bietet sie jedoch seit einiger Zeit Glaubenskurse für Menschen aus dem Iran in der Dreikönigsgemeinde an, wie es sie schon länger in der Nord-Ost-Gemeinde gibt. Bei den verschiedenen Stationen der Tour gibt Alves-Christe Geschenke der Geflüchteten ab, nimmt neue mit für die Angehörigen in Deutschland. Auch sie erhält kleine Präsente. Die weißen Rosen, die dazu zählen, sind nach ein paar Stunden verwelkt, anderes bleibt. Alves-Christe zeigt eine Whatsapp-Nachricht aus Frankfurt von einem Witwer, der seine Kinder schweren Herzens erst einmal bei den Großeltern im Iran gelassen hat. „Jetzt hast du meine Kinder umarmt, jetzt riechst du nach ihnen“, schreibt er in der Kurznachricht. Alves-Christe nimmt freundlich jeden Augenkontakt auf der Straße, in der Teheraner U-Bahn auf, ist aber auch zornig. „Das erinnert mich daran, dass ich nicht so sein kann, wie ich will“, sagt sie und zieht sie an dem blauen Tuch, mit dem sie ihr Haar bedecken muss. Im Vorfeld haben die Reisenden von den Frauenprotesten der jüngsten Zeit gelesen, die sich durch Abnehmen des Kopftuches ausdrücken. Kopftuchtragen ist im Iran Pflicht, manch eines rutscht bei den Frauen auf der Straße nach hinten, der Tschador ist nur in Qom die Regel. Das erste frei geschwungene Kopftuch sieht die Reisegruppe nach einigen Tagen in der Nähe von Shiraz, beim Besuch der Kyrosgrabstätte. Ökumenepfarrer Michael Mehl weist auf die junge Frau hin, die ihr rotes Tuch im Wind flattern lässt und mit einer Freundin für Selfies vor der Sehenswürdigkeit posiert.

Beim Grabmal Khomeinis und in einigen der Moscheen müssen die Frauen der Gruppe aus Frankfurt und Umgebung einen Tschador überwerfen. Nicht in Schwarz wie die Iranerinnen, sondern hellgeblümt, als wäre der Stoff für Küchenkittel gedacht. Da merke man, „wie hinderlich der Überwurf beim Laufen ist und wie sehr das Individuum unter dem Stoff verschwindet“, sagt Faust Kallenberg, „dass man sich völlig anders wahrnimmt“, äußert Schoen.

Khomeni und Chamenei auf den Fassaden

Mehl, der sich im Stadtdekanat nicht nur um die Ökumene kümmert, sondern auch Ansprechpartner für Flüchtlinge ist, die überlegen, zum Christentum zu wechseln, interessiert bei der Fahrt die Bedeutung der Religion im Alltag. Er gewinnt den Eindruck: „Man lernt hier Religion als Staatsmacht kennen“. Ein, zwei Mal ist während der Reise ein Muezzin zu hören. Zu spüren sei religiöses Leben kaum, ist die Gruppe sich einig. Präsent sind die berühmten Geistlichen wie Chamenei und Khomeini jedoch als Fassadenmalerei, auf Bannern und in jeder Hotellobby. Zu den Eindrücken, die Mehl aufzählt, gehört, „es wurde noch mal sehr deutlich, das ist kulturell ein sehr reiches Land“. Und: Überrascht hat ihn, wie wenig präsent Militär und Polizei im Straßenbild sind.

Jun-Suk Kang, Mitglied der Koreanischen Evangelischen Gemeinde im Rhein-Main-Gebiet, lange Vorsitzender des Internationalen Konvents christlicher Gemeinden Rhein-Main, hat das „Interesse, wie geht man mit Minderheiten um“, zur Teilnahme an der Reise bewogen. Eine Gelegenheit, das zu erleben, bietet der Besuch der armenischen Gemeinde. Im Gespräch nach dem Gottesdienst in Isfahan wird deutlich, die Gemeinde hat mit Schwund zu kämpfen. Die Männer arbeiten, erklärt der Geistliche, auf die Frage, warum nahezu ausschließlich Frauen gekommen sind zum Sonntagsgottesdienst. Der Freitag ist in dem islamischen Land der für die Religionsausübung freie Tag. Aber das erklärt nicht alles. Ein braungelocktes Kind tobt zwischen den Kirchenbänken der Armenier, aber ansonsten scheint es an Nachwuchs zu fehlen. In den frühen Siebzigern kamen die Eltern des 42 Jahre alten Neurologen Kang nach Deutschland, er wurde in Duisburg geboren. Heute lebt Jun-Suk Kang mit seiner Frau, deren Vorfahren gleichfalls aus Südkorea stammen, und kleinem Sohn in Kronberg. Die im Frankfurter Gallus ansässige Gemeinde bedeutet für ihn ein Stück Heimat. Er kann gut verstehen, dass in der Kirche in Isfahan armenisch gesprochen wird, auf der Straße das übliche Farsi. „Liturgie ist für mich koreanisch.“ Eine Zeit lang sei er in eine deutsche Gemeinde gegangen – und doch zurückgekehrt. Seine Gemeinde sei vielfältig, viele junge Familien dabei, Studenten, Expats, Leute, die auf Zeit ins Rhein-Main-Gebiet kommen, spielten eine wichtige Rolle, trügen zu Vielfalt bei. Sprache, Identiät, Glaube, das treibt auch die aus dem Iran stammenden Christen in Deutschland um. Zum iranischen Neujahrsfest, Nowruz, das auf einer zoroastrischen Tradition beruht, hat die Reisegruppe in Hotels, Restaurants und Museen nicht nur viele mit Gräsern, Eiern, Äpfeln, dem Koran – wahlweise auch Hafes-Gedichtband – gedeckte Tische gesehen, sondern auch an einem iranischen Neujahrsabend teilgenommen. Alves-Christe zeigt auf dem Flughafen in Teheran ein Foto, dass sie von ihren jungen Gemeindemitgliedern aus Frankfurt-Sachsenhausen geschickt bekommen hat. „Ich habe ihnen geschrieben, dass es der schönste Nowruztisch ist“.


Autorin

Bettina Behler 288 Artikel

Bettina Behler, Medieninformation Evangelische Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt und Offenbach

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