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Kultur an der Hauptwache: Apokalypse heißt Offenbarung und nicht Weltuntergang

Kunst von Sandra Mann, das Mozart-Requiem, ein Auftritt der „OhOhOhs“, Gottesdienste und mehr gibt es im November in der evangelischen Sankt Katharinenkirche.

Hommage an Monet: Jessica und Seerosen – Buchschlag 2014, Fotografie: Sandra Mann
Hommage an Monet: Jessica und Seerosen – Buchschlag 2014, Fotografie: Sandra Mann

Eine Frau watet in einem Teich zwischen Schilf. Sechs mal vier Meter groß ist die Fotografie der Frankfurter Künstlerin Sandra Mann, die im Altarraum der Sankt Katharinenkirche vom 2. bis zum 27. November hängt. Das Seerosenmotiv des Impressionisten Claude Monet kommt in den Sinn. Doch es sind weiße Plastikbecher, die blütenähnlich auf der Wasseroberfläche treiben. Sinnbild für unseren Umgang mit dem Planeten. „Apokalypse“ – der Schriftzug auf dem Plakat erinnert an den Kriegsfilm-Klassiker „Apocalypse Now“. Doch das „Now“ (jetzt) fehlt bei der Ankündigung für das Kunst-, Gottesdienst-, Vortrags- und Musikprogramm in der evangelischen Sankt Katharinenkirche an der Frankfurter Hauptwache.

„Wenn wir mit offenen Augen die Welt wahrnehmen: Kriege, Dürren, Überschwemmungen, Flucht, Verlust von Arten – dann ergänzt sich das ,Now' von alleine. Unsere Welt ändert sich so schnell wie nie zuvor. Und all das geschieht sichtbar vor unseren Augen. Wir merken, dass unsere Welt nicht so bleiben wird, wie sie ist. Da braucht es keine zusätzlichen Posaunen und apokalyptischen Reiter, von denen Johannes in seiner Offenbarung erzählt“, so Stadtkirchenpfarrer Olaf Lewerenz.

Für ihn lautet die Botschaft der Apokalypse nicht Weltuntergang, Schluss, Aus, Ende, sondern: Aus der Zerstörung kann etwas Neues entstehen, in dieser oder in jener Welt. In der Apokalypse wird etwas offenbar. Das entspricht auch der eigentlichen Wortbedeutung.

Etwas sichtbar machen, zum Nachdenken anregen, das sind Reaktionen, die sich der Theologe von dem Programm „Apokalypse“ in Sankt Katharinen erhofft. „Schockeffekte mit verendeten Fischen im Ölschlick und PET-Flaschen im Meer sind ein gewohntes Motiv, die Frau mit blondem Wallehaar – es handelt sich um die Künstlerin Jessica Schäfer – inmitten der Becher, das reizt zum zweiten Blick. Eine Irritation, die weiterdenken lässt.“

Mit „Wachet auf, ruft uns die Stimme“, einem Orgelkonzert mit Lesung endet an Totensonntag die Veranstaltungsreihe. „Ich finde das passt“, sagt der evangelische Stadtkirchenpfarrer. „Ich hoffe, wir nehmen die Zeichen der Zeit wahr, lassen uns aufrütteln, um dann das zu tun, was angemessen ist.“


Auszüge aus dem Programm:

Bei der Vernissage am Donnerstag, 2. November, 18 Uhr, kooperiert Lewerenz mit dem MOMEM, Museum of Modern Electronic Music, Markus Nikolai ist mit einer Liveperformance dabei. Um „Weltuntergang und Zukunftshoffnung vom Mittelalter bis zur Neuzeit in Texten, Chansons und Schlagern“ geht es am Samstag, 11. November, 18 Uhr, bei dem Programm der Schauspielerin und Kabarettistin Cornelia Niemann. Martin Lejeune, E-Gitarre, Live-Elektronik, Euphonium, ist dabei, das Blechbläserquintett High Five der Bläserschule Frankfurt tritt auf unter der Leitung von Sunhild Pfeiffer. Am Donnerstag, 16. November 2023, führt der Marburger Neutestamentler Professor Lukas Bormann in Sankt Katharinen in die Entstehung und Auslegungsgeschichte der Johannesoffenbarung ein, „Schadet nicht der Erde – Faszination Apokalypse“ lautet der Titel. Das Mozart-Requiem in der Fassung von Franz Beyer führt die Kantorei Sankt Katharinen am Sonntag, 19. November, um 18 Uhr, unter der Leitung von Klaus Eldert Müller mit Solisten und Mitgliedern des Museumsorchesters auf. Mit einer „Symphonic Apocalypse – Zwischen Klassik und Clubmusik“ gastieren „The OhOhOhs“ am Samstag, 25. November, um 20 Uhr.

Weitere Informationen zu dem Programm unter: www.st-katharinengemeinde.de


Sandra Mann. I Photo: Tom Kauth
Sandra Mann. I Photo: Tom Kauth

Die Künstlerin und Fotografin Sandra Mann im Interview

Ist es ihre erste Ausstellung in einer Kirche?

Sandra Mann: Schon als Studentin habe ich im Rahmen eines Kunst-Stipendiums in einer Friedhofskirche im Allgäu eine Arbeit fotografisch umgesetzt, die dann im Kloster Irsee ausgestellt wurde. Dort wurde in der NS-Zeit die Aktion T4 verübt, es gab grausame Experimente, Morde an Menschen mit Behinderung, auch an Kindern. Wie ist es möglich, damit umzugehen?

Im Zuge der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Gleichheitsgrundsatz, ist so 1997 eine Fotografie meines bloßen Oberkörpers, vor dem Altar, entstanden. Ich bin von hinten zu sehen und damit meine großformatige Tätowierung auf dem Rücken, deren Ornamentik sich in den goldenen Intarsien der Friedhofskirsche wiederholt. Auf dem Antependium, dem Unterbau des Altars befinden sich rechts und links zwei Totenschädel und in der Mitte das Fegefeuer vor dem ich als Frau stehe. Die Tätowierung hat mit Schmerz zu tun. Das Werk ist Teil der Fotocollage „Apokalypse II“, die nun im Seitenaltar der Sankt Katharinenkirche zu sehen ist.

Das Thema ist geblieben: Mir geht es bis heute um Gleichberechtigung, Gleichbehandlung, Mensch, Tier, Natur. Mann, Frau – das begleitet mich allein schon durch meinen Nachnamen Zeit meines Lebens.


Neben dem Seerosenmotiv im Altarraum gibt es in Sankt Katharinen an anderer Stelle ein Bild mit Tattoos.

Ja, es zeigt den Künstler Manfred Peckl. Er ist auf dem ganzen Körper mit einem Efeumotiv tätowiert und umarmt einen Baum. Mensch und Natur verbinden sich. Das gilt auch für die Inszenierung mit der Künstlerin Valentina Stanojev. Aufgenommen wurde sie im Wald in Maintal in einem geerbten Pelzmantel, sie zielt mit einem Gewehr auf meinen Hund Panzer, Mantel und Hund haben eine ähnliche Fellstruktur. Es stellt unsere Beziehung zum Tier in Frage. Das Bild ist eine Inszenierung sowie auch das zentrale Werk, angelehnt an Monets Seerosen. Die Künstlerin Jessica Schäfer badet in einem Teich mit Plastikbechern, ich habe sie aus der Perspektive von Monet fotografiert. Das ist erst bei genauerer Betrachtung zu erkennen. Auch im Rahmen meiner Arbeit an der European School of Design beschäftige ich mich mit Bildwahrnehmung. Das Seerosenmotiv von Monet ist so sehr im kollektiven Gedächtnis verankert, das wir die Plastikbecher nicht erkennen. Ein Synonym für Verdrängung.


Welche Kameras nutzen Sie?

Für mich ist die Technik eher nebensächlich. Wichtig ist die Botschaft des Bildes. Auch KI ist für mich kein Tabu, ich arbeite gerade mit finnischen Künstlern und der Universität Tampere an einem Projekt dazu. Künstliche Intelligenz wird weitreichend unsere Berufswelt verändern, wir werden mehr Zeit in der digitalen Welt verbringen. KI birgt Möglichkeiten und Risiken. Es hängt davon ab wie wir sie in Zukunft verwenden.


Apokalypse, was löst dieser Begriff, das Thema bei Ihnen aus?

Die Menschheit ist gefährdet, durch ihren Hochmut, sowie durch Überbevölkerung, durch Ungerechtigkeit, das sind Auslöser für Kriege. 2012 beendete ich meine Serie Daylife, die den Zustand unserer Gesellschaft widerspiegelt. Mit Waldlife inszeniere ich den Menschen als Teil der Natur, um auf das Phänomen der Naturblindheit aufmerksam zu machen. Vielleicht liegt in dieser Erkenntnis die (Er-)Lösung, der Weg zum endgültigen Heil?


„Künstler*innen sind Seismographen der Gesellschaft, die mit Hilfe der Fotografie Tatsachen dokumentieren oder neue Realitäten schaffen.”, heißt es auf Ihrer Website.

Ein Seismograph kann Erdbeben anzeigen. Künstler weisen durch ihr Werk frühzeitig auf gesellschaftliche Veränderungen hin. Das können wie bei dem spanischen Künstlers Goya Kriege sein. In der Fotografie ist es möglich, nicht nur zu dokumentieren, sondern mit Bildern Einfluss auf die Wahrnehmung zu nehmen, also auch die Sichtweise der Gesellschaft zu verändern. Werden mehr Frauen und diverse Hautfarben abgebildet, sind sie auch im kollektiven Gedächtnis präsenter. Das Medium wird sehr mit Realität verknüpft.


Vorhin war die Rede von Daylife, aktuell befassen Sie sich mit Waldlife.

Während des Studiums entstanden die Nightlife Bilder, da war ich eher in der Rolle der Beobachterin, darauf folgte Daylife, fotografische, urbane Gesellschaftsskizzen, jetzt arbeite ich an Waldlife. Der Wald dient als Bühne, er ist unser Lebensraum. Der Mensch ist in dieser Serie immer präsent – auch wenn er nicht abgebildet ist.


Inwieweit wirkt sich der Ausstellungsort Kirche aus auf die Wahrnehmung ihrer Kunst?

Die Kirche ist in der Kritik, es gibt viele Austritte, es gibt Themen wie Missbrauch und den Umgang damit. Kirche ist jedoch nicht gleich Kirche:

Für mich ist Kirche insofern ein demokratischer Ort, da alle Menschen hingehen können, es muss kein Eintritt gezahlt werden. Die Kirche bietet Orientierung und kann Hilfe leisten. Die Wahrnehmung von Kunst ist dort sehr sinnlich. Ich finde es klasse, dass Pfarrer Olaf Lewerenz in der Sankt Katharinenkirche Kunst zeigt, damit die gesamte Bevölkerung Zugang zu zeitgenössischer Kunst hat. Die Hemmschwelle in den White Cube der Museen oder Galerien ist teils sehr groß.


Und wie sieht Ihre persönliche Bindung an Kirche, an Religion aus?

Ich selbst bin christlich aufgewachsen. Durch meine vielen Reisen und internationalen Freunde schätze ich alle Formen von Religion, wenn sie im angemessenen und im vernünftigen Rahmen ausgeübt werden. Der Glaube gibt vielen Menschen Orientierung.

Ebenso wie Bilder, sie können ganz verschiedene Ebenen eröffnen, dann sind sie spannend und regen zum Nachdenken an. Mir geht es um eine Botschaft, ohne den Betrachtenden etwas überzustülpen.



Zur Person

Die Frankfurter Künstlerin und Fotografin Sandra Mann, Jahrgang 1970, ist eine der renommiertesten Künstlerinnen und Fotografinnen Deutschlands. Die gebürtige Groß-Gerauerin studierte Kunstgeschichte an der Universität Frankfurt und Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach. Zu ihren Professoren gehörten der Konzeptkünstler Heiner Blum und der US-amerikanische Fotograf Lewis Baltz.

Mann bedient sich in ihrem Schaffen einer großen Bandbreite an Ausdrucksformen wie Fotografie, Installation, Skulptur, Video. Außerdem kuratiert sie Ausstellungen im In- und Ausland. Sie ist Mitglied des internationalen Kuratorennetzwerks Qipo und arbeitet als Jurymitglied bei Fotografie- und Kunstwettbewerben. Neben diversen anderen Preisen erhielt sie das Stipendium der Universitätsstiftung Augsburg, das Stipendium der Deutschen Künstlerhilfe und die Goetheplakette der Stadt Frankfurt am Main. Mann unterstützt die Stiftung Palmengarten und Botanischer Garten und sie ist seit 2017 Kunstbotschafterin der Keep The World Foundation. Ihre Werke sind in nationalen und internationalen Sammlungen vertreten, unter anderem im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, im MUCA Mexiko Stadt, der Vehbi Koç Foundation Istanbul, oder in der Art Collection Deutsche Börse Photography Foundation.

Aktuell ist auch im MOMEM, Museum of Modern Electronic Music, an der Hauptwache eine Fotoinstallation (Nightlife) von ihr zu sehen.


Autorin

Bettina Behler 298 Artikel

Bettina Behler, Medieninformation Evangelische Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt und Offenbach