Aktuelles

81 Jahre später – Mahnung auch angesichts fortgesetztem Antisemitismus

Erinnerungskultur auf zweierlei Art: Bei einem Rundgang wurde der Schändung jüdischer Menschen und Einrichtungen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gedacht. Und im Dominikanerkloster erinnert neuerdings eine Reproduktion des Max-Beckmann-Gemäldes der Frankfurter Synagoge an das Gotteshaus, das in dieser Nacht ausbrannte.

Gedenkgang: v.li. Prodekanin Ursula Schoen, Rabbiner Julian Chaim Soussan, Dekan Rolf Glaser, Stadtdekan Achim Knecht und Bürgermeister Uwe Becker  I Foto: privat
Gedenkgang: v.li. Prodekanin Ursula Schoen, Rabbiner Julian Chaim Soussan, Dekan Rolf Glaser, Stadtdekan Achim Knecht und Bürgermeister Uwe Becker I Foto: privat

Der 9. November – ein schillerndes Datum der deutschen Geschichte: Die Freude über den Mauerfall vor 30 Jahren, was 2019 vielerorts im Mittelpunkt stand – auch bei Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen der evangelischen Kirche - konnte die Notwendigkeit, sich die Pogrome vom 9. auf den 10. November 1938 vor Augen zu halten, nicht geringer machen. Dass die Besinnung auf die grausigen Gewalttaten damals mit dem Heute viel zu tun hat, daran gemahnten sowohl der evangelische Stadtdekan Achim Knecht, als auch der katholische Dekan Rolf Glaser bei einem Gedenkgang am Sonntag, 10. November, in der Frankfurter Innenstadt. Mit Rücksicht auf den Sabbat war die Veranstaltung einen Tag nach dem 9. anberaumt worden.

Dass das Geschehen vor 81 Jahren, bei dem auch in Frankfurt zahlreiche jüdische Menschen attackiert und verhaftet wurden, Scheiben klirrten, Flammen das Gebälk der Synagoge erfassten, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen „mittlerweile wieder bitter nötig ist, hat der versuchte Terroranschlag auf die Synagoge in Halle vor drei Wochen gezeigt“, so Stadtdekan Knecht an der Gedenkstätte am Börneplatz. Nach den Vorkommnissen in Sachsen-Anhalt, gelte es umso mehr, allen, die auf Grund rassistischer oder antisemitischer Hetze in Bedrängnis gerieten, zur Seite zu stehen, äußerte Dekan Glaser am 10. November bei dem gemeinsamen Gedenkgang der beiden Kirchen, der Jüdischen Gemeinde und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Auch Frankfurts Bürgermeister Uwe Becker, der sich gegen Antisemitismus engagiert, unter anderem als Beauftragter der Hessischen Landesregierung für Jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, reihte sich bei dem Gedenken ein.

Zusammen mit Rabbiner Julian Chaim Soussan sprachen Knecht und Glaser an der letzten Station des Gangs an der Gedenkstätte am Börneplatz. Im vergangenen Jahr sei erstmals diese Form des Gedenkens gewählt worden, sagte Knecht. Und auch in diesem Jahr gelte: „Es ist gut, dass wir uns an diesem Tag gemeinsam ,Im Gehen erinnern‘. Als Nachkommen derer, die damals Opfer gewesen sind. Und als Nachkommen derer, die damals den Tätern applaudiert oder sich aktiv beteiligt haben.“ Rolf Glaser verwies darauf, dass man hier im Herzen des alten jüdischen Frankfurts stehe, an der Schnittstelle zwischen der ehemaligen Judengasse, der zerstörten Synagoge und dem ältesten jüdischen Friedhof der Stadt. „11.908 Gedenkblöcken für die Opfer der Schoa aus Frankfurt befinden sich hier. Gerne hätten sie weitergelebt! Gerne hätten sie nach einem vollendeten Leben eine Ruhestätte“ auf einem Friedhof gefunden. Stattdessen wurden sie verfolgt und vernichtet. „Dass das geschehen konnte, dafür haben Christen eine Mitverantwortung!“, so der katholische Dekan.

v.li.: Rabbiner Avichai Apel, Museumsuferpfarrer David Schnell, Stadtdekan Achim Knecht, Susanna Faust Kallenberg, Pfarrerin für Interreligiösen Dialog und Iris Schmeisser, Städel Museum  I Foto: Rolf Oeser
v.li.: Rabbiner Avichai Apel, Museumsuferpfarrer David Schnell, Stadtdekan Achim Knecht, Susanna Faust Kallenberg, Pfarrerin für Interreligiösen Dialog und Iris Schmeisser, Städel Museum I Foto: Rolf Oeser

Beckmann-Bild erinnert an die einst gegenüber gelegene Synagoge

Bereits am 5. November hatte die Evangelische Kirche Frankfurt und Offenbach zu einer Gedenkveranstaltung in ihren Verwaltungssitz, das Dominikanerkloster, eingeladen. Wenn Stadtdekan Achim Knecht jetzt sein Büro im ersten Stock des Dominikanerklosters betritt, schaut er neuerdings nicht nur auf die eichene Tür, die seinen Arbeitsbereich abschließt, sondern auch auf eine Reproduktion des Max Beckmann Bildes „Die Synagoge in Frankfurt“, gemalt im Jahr 1919, hier im Format 140 mal 90 Zentimeter auf Leinwand gezogen – also unübersehbar. Sozusagen nach innen versetzt, was bis zum 9. November 1938 unweit des Schreibtisches des evangelischen Stadtdekans zu sehen war: die Frankfurter Hauptsynagoge.

Susanna Faust Kallenberg, Pfarrerin für Interreligiösen Dialog in Frankfurt und Offenbach, die die Hängung des Gemäldes maßgeblich befördert hat, erläutert, Rabbiner Avichai Apel habe berichtet, dass dieses Gotteshaus eine wichtige Rolle beim Heranwachsen einer jüdischen Einheitsgemeinde in Frankfurt gespielt habe. 1882 am Südende der ehemaligen Judengasse im italienischen Renaissancestil errichtet, sei die rund 900 Plätze umfassende Synagoge für Orthodoxe, aber auch für Leute wie Martin Buber prägend gewesen, erläutert Faust Kallenberg.

Das Original des Beckmann-Bildes hängt auf der anderen Mainseite, im Städel. Die Pfarrerin für Interreligiösen Dialog begrüßt die Einschätzung von Iris Schmeisser, Leiterin der Provenienzforschung des Museums, an diesem Platz im Verwaltungssitz der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach aufgehängt, bekomme das Motiv noch einmal einen anderen historischen Bezug hinzu.

Seit er in sein Büro gezogen sei, habe er sich immer wieder gefragt: Was bedeutet es, an einem dermaßen geschichtsträchtigen Ort tätig zu sein, sagte Stadtdekan Knecht bei der Vorstellung des Bildes im Dominikanerkloster. Die Zerstörung der Hauptsynagoge im November 1938 ist für ihn „ein Menetekel für das, was dann wenige Jahre später der jüdischen Bevölkerung Frankfurts angetan wurde: Deportation und Ermordung in den Vernichtungslagern“. Der Stadtdekan versicherte, er sehe diesen Ort als dauernde Verpflichtung zum ehrenden Gedenken und zu einem klaren Engagement: „Der Platz der Evangelischen Kirche in dieser Stadt ist an der Seite der Juden und der jüdischen Gemeinde!“ Seine Kirche werde sich allen alten und neuen Tendenzen zu Ausgrenzung, Verfolgung und Bedrohung jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger und jüdischer Einrichtungen entgegenstellen.


Autorin

Bettina Behler 298 Artikel

Bettina Behler, Medieninformation Evangelische Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt und Offenbach