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Abschied von Marlies Flesch-Thebesius

Marlies Flesch-Thebesius, Frankfurter Journalistin und eine der ersten evangelischen Theologinnen, ist am Silvesterabend im Alter von 98 Jahren gestorben.

Marlies Flesch-Thebesius war eine der ersten Frankfurter Pfarrerinnen. Nun ist sie, im Alter von 98 Jahren, gestorben. Foto: Ilona Surrey
Marlies Flesch-Thebesius war eine der ersten Frankfurter Pfarrerinnen. Nun ist sie, im Alter von 98 Jahren, gestorben. Foto: Ilona Surrey

Ein behütetes bürgerliches Leben schien ihr vorgezeichnet, der 1920 geborenen Enkelin des ersten Frankfurter Sozialdezernenten Karl Flesch und Tochter des angesehen Arztes Max Flesch-Thebesius und seiner Frau Amalie. Aber die Machtergreifung der Nazis im Frühjahr 1933 veränderte ihr Leben massiv. Großvater Karl war getaufter Jude, ihr als „Mischling ersten Grades“ geltender Vater verlor seine Stelle als chirurgischer Leiter des evangelischen Krankenhauses in Frankfurt-Sachsenhausen. Die Familie gehörte plötzlich zu den Außenseitern; Marlies Flesch-Thebesius beschrieb es 1988 eindrucksvoll in ihrem autobiographischen Buch „Hauptsache Schweigen“.

Immerhin konnte sie an der privaten Anna-Schmidt-Schule 1939 Abitur machen und in Berlin mit dem Berufsziel „Dolmetscherin“ Englisch und Italienisch studieren. Sie wohnte zeitweilig in der Dahlemer Bekenntnisgemeinde; den nazikritischen Christen, die sie dort erlebte, hat sie 2004 in ihrem letzten Buch „Zu den Außenseitern gestellt – Die Geschichte der Gertrud Staewen“ ein publizistisches Denkmal gesetzt.

Denn nach Ende von Krieg und Naziherrschaft konnte sie das endlich: reden und schreiben. Zuerst als Journalistin in Frankfurt und Hamburg, dann nach einem späten Theologiestudium (1957 bis 1963) als Pfarrerin, zuletzt von 1972 bis 1983 in der Frankfurter Paulsgemeinde. Mit 65 Jahren demonstrierte sie erstmals auf der Straße – gegen die Apartheidspolitik in Südafrika, die sie als einst selbst rassisch Diskriminierte aktiv bekämpfen wollte.

Dem Schreiben ist Marlies Flesch-Thebesius auch im Ruhestand treu geblieben. Sie erinnerte an den mühseligen Weg zur Gleichberechtigung der Frauen im kirchlichen Amt, und in den letzten Jahren besonders an die oft allein gelassenen getauften Juden und Jüdinnen in der evangelischen Kirche während der NS-Herrschaft. Ihr Credo als Christin und Theologin hat sie am Schluss ihrer Autobiographie so zusammengefasst: „Es geht nicht nur um Trost. Es geht auch um die Gerechtigkeit.“


Autoren

Lutz Lemhöfer 2 Artikel

Lutz Lemhöfer ist Theologe und Autor. Vor seiner Pensionierung war er Weltanschauungsbeauftragter im Bistum Limburg und in der Katholischen Akademie Rabanus Maurus zuständig für Zeitgeschichte.

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