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Der Fall Sylvia D. zeigt: Sekten sind immer noch ein Problem

Mitten in Hessen tummelt sich seit drei Jahrzehnten eine sektenähnliche Gruppe, jetzt endlich soll ein fürchterlicher Vorfall aus dem Jahre 1988 geklärt werden: Ein vierjähriger Junge starb damals. Der Fall erinnert daran, dass Extremismus in kleinen religiösen Gruppierungen nach wie vor ein Problem ist.

Kurt-Helmuth Eimuth war bis Anfang 2022 Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. Dann zog er nach Kiel. |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth war bis Anfang 2022 Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. Dann zog er nach Kiel. | Foto: Tamara Jung

Das Landgericht Hanau hat nun eine vor zwei Jahren erhobene Anklage gegen die heute 71 Jahre alte Anführerin der Sekte, Sylvia D., wegen Mordes vor über 30 Jahren zugelassen. Nach langem Hin und Her und wohl auch nach zahlreichen Versäumnissen bei den Ermittlungen wird nun also ein Prozess feststellen, ob der Tod des vierjährigen Jan im Jahr 1988 Mord war. Gut so!

Nach Aussage eines ehemaligen Mitgliedes soll Sektenführerin Sylvia D. nach Jans Tod davon gesprochen haben, dass der Junge von Gott „geholt“ worden sei, denn er sei vom „Bösen“, von der „schwarzen Kerze“ und „den Dunklen“ besessen gewesen. Der Vierjährige sei auch als „Reinkarnation Hitlers“ bezeichnet worden. Laut Anklage sei das Kind damals in einen Leinensack eingeschnürt und im Bad sich selbst überlassen worden, obgleich man die Schreie gehört habe. Der Aussteiger schildert die Gruppe als totalitäres System. D. habe völlige Kontrolle ausgeübt und tiefe Ängste bei den Mitgliedern ausgelöst, etwa mit Drohungen, wer ihr nicht folge, bekomme Krebs. Die Gruppe wurde Anfang der 1980er Jahre gegründet, und D. war die zentrale Figur. Die Angeklagte behauptet, von Gott Befehle zu erhalten, die die anderen Mitglieder befolgen müssen. Die Gruppe hat 15 Mitglieder.

Totalitäre Organisationen gibt es in allen Religionen, und religiösen Extremismus in allen Gesellschaften. Religiöse Eiferer bedienen sich dabei gerne an Versatzstücken aus den Weltreligionen, gleich ob Christentum, Islam oder Judentum. Auch im Umfeld von Buddhismus und Hinduismus gibt es Fanatismus und Extremismus.

Es ist gut, dass seit einigen Jahren auf extremistische Tendenzen im Islam geschaut wird. Aber wir sollten darüber nicht vergessen, dass eine solche Gefahr nicht nur dort besteht. Die Debatte der 1980er und 1990er Jahre um Sekten sollte in Erinnerung bleiben, zum Beispiel der Massenselbstmord in Guyana mit über 900 Toten oder auch die Waffengewalt im Umfeld von Bhagwan in den USA. Auch heute sind Sekten in Deutschland weiter aktiv, zum Beispiel der Psychokonzern Scientology. Aufklärung ist also nach wie vor von Nöten.

Der beste Schutz vor totalitären Bewegungen ist es, wenn Menschen in ihrer Familie und in ihrem Umfeld Zuwendung, Sicherheit und Geborgenheit finden. Das schützt übrigens auch vor politischem Extremismus. In Wahrheit sucht nämlich kein Mensch irgendeine krude Dogmatik, sondern was gesucht wird, das ist die Geborgenheit in einer Gruppe, das Gefühl der Zugehörigkeit. Das Problem des Extremismus ist im Vorfeld letztlich ein Problem des Mangels an emotionaler Geborgenheit.

Wenn aber eine Sekte existiert, dann muss sie mit Überzeugungskraft bekämpft werden. Und es ist keine Frage: Bei Straftaten muss die Justiz eingreifen. In diesem Fall ist es der jahrelangen, zähen Aufklärungsarbeit der Frankfurter Rundschau zu verdanken, dass nun in Hanau der Versuch der Aufklärung unternommen wird. Man darf gespannt sein, was dieser Prozess noch alles zu Tage fördert.

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Autor

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt und Offenbach". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.

2 Kommentare

24. September 2020 19:46 Sylvia Majocchi

Wie kann es sein, dass manche Menschen sich aufschwingen, über Leben und Tod zu entscheiden? Im Falle dieser "Frau" sind die Tendenzen des Wahnsinns evident! Wie aber kann eine gegen jegliche Forderung des Jesus von Nazareth in seiner Bergpredigt seit nahezu zweitausend Jahren verstoßende Massenbewegung, wie die so genannten "Christen", dermaßen andere Sekten verdammen, da sie doch selbst unvorstellbares Leid über die Menschheit gebracht hat, unschuldige Menschen zu Tode quälte, ermordete, sie im besten Falle verbannte und sich, strotzend von Raffsucht und Gier, deren Vermögens bemächtigte sowie gemein machte mit jedem Gewaltherrscher, zuletzt Hitler? Jesus von Nazareth ist Jude gewesen, als Jude gestorben und hat zu keinem Zeitpunkt eine "neue Religion" gegründet. Wäre er heute am Leben, so wären es die so genannten "Christen", die ihn, wenn er Glück hätte, "nur" in die Psychiatrie verklappten. An sein Geld würden sie nicht kommen, um ihren unermesslichen Reichtum zu mehren, denn er hätte keins! HaShem sollte ihn arm, damit er sich mit reinem Herzen auf die Seite der Armen stellen konnte, die HaShem ein Wohlgefallen sind!

25. September 2020 16:56 Antje Schrupp

Liebe Frau Majocchi, danke für Ihren Kommentar, allerdings ist Ihr Urteil über die "Christen" doch etwas harsch. Gewalt und Böses gibt es in allen Religionen. Vermutlich stimmt, dass das Christentum in seiner Bilanz nicht besser ist als andere, aber eben auch nicht schlechter. Es ist eine große Weltreligion, in der es alle möglichen Tendenzen gibt, genauso wie in anderen großen Weltreligionen. Das einzugestehen kann aber nicht bedeuten, dass es unmöglich sein sollte, dass auch Christ*innen totalitäre und menschenfeindliche religiöse Bewegungen wie diese Sekte hier im Artikel zu kritisieren. Dass Jesus Jude gewesen ist und auch als solcher gestorben ist, damit haben Sie sicher recht. Das Christentum hat sich erst nach seinem Tod als eigenständige Religion formiert. Aber das ist ja nichts Verwerfliches.

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