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Ein Gedenken, das nicht hohl und leer sein soll

Mit einem ökumenischen Gottesdienst haben der evangelische und der katholische Stadtdekan am Dienstagabend im Bartholomäusdom der Zerstörung der Frankfurter Altstadt gedacht. Bei den Bombardements am 18. und 22. März 1944, vor genau 78 Jahren, waren im Bombenhagel 1.870 Menschen im Stadtgebiet umgekommen, rund 180.000 wurden damals obdachlos.

Gemeinsamer Segen im Dom, li. der evangelische Stadtdekan Achim Knecht, re. Johannes zu Eltz Foto: A. Zegelman/Bistum Limburg
Gemeinsamer Segen im Dom, li. der evangelische Stadtdekan Achim Knecht, re. Johannes zu Eltz Foto: A. Zegelman/Bistum Limburg

Das Schweigen war schwer. Und es dauerte lang. Ganze acht Minuten. „Wir schweigen, um uns mit den gemein zu machen, denen Krieg und Zerstörung die Sprache verschlagen haben“, sagte der katholische Stadtdekan Johannes zu Eltz am Dienstagabend beim ökumenischen Gedenkgottesdienst anlässlich der Zerstörung der Frankfurter Altstadt im Bartholomäusdom. Zu Eltz gestaltete die Andacht gemeinsam mit dem evangelischen Stadtdekan Achim Knecht und Marianne Brandt, Vorsitzende der Stadtversammlung der Frankfurter Katholikinnen und Katholiken, sowie mit Dommusikdirektor Andreas Boltz an der Orgel.

Die Menschen, die an diesem Abend in den Dom gekommen waren, erlebten einen gut 50-minütigen, politisch geprägten Gottesdienst mit beklemmend-bildlicher Orgelmusik, bei dem die beiden Stadtdekane und Marianne Brandt deutliche Worte fanden: „Wenn wir die Bilder von im zweiten Weltkrieg zerstörten Städten sehen, von Ausgebombten, von Kriegsflüchtlingen damals, dann sehen wir heute die Bilder des Krieges in der Ukraine“, sagte Marianne Brandt. „Wir sehen wieder Bilder von zerstörten Städten. Wir wissen, dass das Leid von so vielen Menschen noch immer nicht zu Ende ist: ausgebombt, getötet, zur Flucht gezwungen, versehrt an Leib und Seele.“ Brandt sagte, das Leid ließe sich nicht ungeschehen machen. Aber „die Erinnerung an die Zerstörung unserer Stadt kann uns sensibel machen für erlittenes Leid heute: In der Ukraine, im Jemen, in Somalia, Syrien und Afghanistan.“ Gemeinsam betete die Gemeinde dafür, Gott möge die Menschen zum Werkzeug des Friedens machen.

Untergang ist untrennbar mit Schuld verbunden

Der evangelische Stadtdekan Achim Knecht bezeichnete den Krieg in der Ukraine als Menschen- und Lebensverachtend. Er trug eine Lesung aus dem Buch Daniel vor, das von Asarja berichtet, der mit zwei Freunden in einen glühenden Feuerofen geworfen wird und mitten im Feuer betend den gerechten Gott lobt. Daran anlehnend fragte Knecht: „Wie viele Menschen wohl heute Nacht in Mariupol, Charkiw und Kiew zu Gott rufen? Und wie viele Menschen haben wohl im Feuersturm Frankfurts zu Gott gerufen?“ Die jungen Männer im Feuerofen sehen die Schuld für ihr Schicksal bei sich selbst, doch diese Selbstkritik hebe die Sünde dessen, der sie hineingeworfen hat, nicht auf, so Knecht ( der Text der Lesung und seine gesamte Ansprache).

Das gelte für „Sünder“ Putin genauso wie für die Sünden, die Deutschland im zweiten Weltkrieg über die Welt gebracht hat. „Wenn wir heute der Bomben des Zweiten Weltkriegs gedenken, dann stehen uns auch die Gaskammern der Konzentrationslager vor Augen. Auch in den Gaskammern wurde der Gott Israels angerufen, sein Name gelobt und seine Gnade erfleht. Der Untergang unserer Stadt ist untrennbar mit der Schuld des deutschen Volkes verbunden.“

Sind wir bereit?

Man könne nicht über die Bombennacht reden, ohne der vielen tausend jüdischer Mitbürger zu gedenken, die verschleppt wurden, sagte Achim Knecht weiter, „sonst wird unser Gedenken hohl und leer.“ Das gelte aber auch für die Ukraine: „Der Kauf von russischem Gas finanziert Putins Krieg. Unsere Betroffenheit wird hohl und leer, wenn wir nicht umkehren und auf russisches Gas verzichten. Werden wir zu diesem Einschnitt unseres Wohlstandes bereit sein? Oder verschließen wir einmal mehr die Ohren vor dem Leid der Menschen?“

In der Nacht vor genau 78 Jahren waren 500 Luftminen, 3.000 schwere Sprengbomben und über eine Million Brandbomben auf Frankfurt geworfen worden. 1.870 Menschen kamen im Frankfurter Stadtgebiet während der Bombardements um, rund 180.000 Personen wurden obdachlos. Nach den Angriffen am 18. und 22. März 1944 war der Kern der Frankfurter Altstadt zwischen Dom und Römer vernichtet. Der von den abgeworfenen Bomben ausgelöste Feuersturm verbrannte die alten Fachwerkhäuser. Von den in Stein gebauten Häusern und Kirchen blieben die Fassaden stehen, die hölzernen Dach- und Turmkonstruktionen verbrannten. Der Römer blieb an den Fassaden erkennbar.

Seit 15 Jahren organisieren die beiden Kirchen auf Wunsch der Stadt das jährliche Gedenken an die Altstadtzerstörung gemeinsam.

Autorin: Anne Zegelman, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Katholische Stadtkirche


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