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"Fürchtet Euch nicht" – auch nicht vor nötigen Veränderungen

Angesichts der Corona-Krise erinnern die Kirchen an den Aufruf der Engel in der Weihnachtsgeschichte: "Fürchtet Euch nicht". Das ist keineswegs eine Einladung, die Augen vor der Gefahr zu verschließen. Sondern im Gegenteil ein Appell, mit anzupacken und etwas aus der Krise zu lernen.

Felix Volpp arbeitet in der Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach.
Felix Volpp arbeitet in der Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach.

Die Corona-Pandemie hat die Welt fest im Griff. Noch vor einem Jahr hätte sich niemand vorstellen können, welche einschneidenden Veränderungen in unser Leben das Jahr 2020 bereithält: Wir tragen im Alltag Mund-Nase-Masken, halten Abstand und haben unsere sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert. Viele haben Angst um ihren Job oder haben ihre Arbeitsstelle bereits verloren. Täglich sterben hunderte Menschen in Deutschland an Covid-19.

Corona-Leugner schließen sich mit Verschwörungstheoretikerinnen und Rechtsradikalen zusammen, um gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu demonstrieren. Die große Masse belächelt sie oder wendet sich kopfschüttelnd ab. Aber der Riss, der durch unsere Gesellschaft geht, bleibt und wird größer.

In diesem Szenario richten sich die Kirchen in Deutschland gemeinsam mit einem Zitat aus der Weihnachtsgeschichte an die Menschen: „Fürchtet Euch nicht. Gott ist bei Euch.“ Es soll Hoffnung und Zuversicht wecken in dieser schwierigen Zeit.

Aber ist „Fürchtet Euch nicht“ der richtige Ansatz, die richtige Botschaft? Viele Menschen haben doch aus gutem Grund Angst. Es besteht tatsächlich die Gefahr, sich anzustecken, das Virus weiterzutragen, alles zu verlieren. Da kann die Aussage „Fürchtet Euch nicht“ wie eine Floskel wirken. Leer. Einfach daher gesagt, um den Menschen irgendetwas zu sagen. Spielt „Fürchtet Euch nicht“ die Sorgen und Ängste der Menschen herunter?

Für mich ist die Zusage „Fürchtet Euch nicht“ mehr: Es ist ein Aufruf, auf Gott zu vertrauen. Es ist aber auch ein Aufruf, der dazu beitragen kann, als Gesellschaft gestärkt aus der Corona-Pandemie hervorzugehen.

Der Volksmund sagt: „Angst ist kein guter Berater“. Angst kann uns lähmen, uns erstarren lassen. Ja, wir sollen zuhause bleiben, die Kontakte einschränken, Ruhe bewahren. Damit wir „danach“ zur Normalität zurückkehren können. Aber die Coronakrise hat uns auch Missstände in unserer Gesellschaft aufgezeigt. Sie hat uns Ungerechtigkeiten vor Augen geführt, die wir viel zu lange auszublenden versucht haben.

Wie kann es sein, dass die Berufe, die einen Dienst am Menschen leisten, am schlechtesten bezahlt werden? Dass Pflegekräfte oder Erzieher:innen, die sich um die Schwächsten in unserer Gesellschaft kümmern, oft nicht einmal genug verdienen, um sich in Frankfurt eine Mietswohnung leisten zu können? Wie kann es sein, dass Deutschland, das sich als „Land der Dichter und Denker“ rühmt, in der Krise riesige Summen zur Unterstützung des Produktions- und Dienstleistungssektors aufbringt, aber kaum etwas für den Kulturbetrieb tut? Dass zahllose Künstler, Musikerinnen und viele andere, die, oft freiberuflich, dafür sorgen, dass wir kulturelle Veranstaltungen erleben können, jetzt allein gelassen werden? Es ist ein Armutszeugnis!

Ja, den Menschen in Deutschland geht es im Vergleich gut, selbst in der Coronakrise – allerdings nur im Durchschnitt. Das bedeutet: Es geht manchen sehr gut, aber andere müssen jeden Euro zweimal umdrehen. Da hilft es auch nicht, wenn wir uns solidarisch zeigen und sonntags aus dem Fenster applaudieren.

„Fürchtet Euch nicht“ – das kann auch ein Appell sein, mit anzupacken. Die lähmende Furcht hinter sich zu lassen und sich aktiv für eine faire Gesellschaft einzusetzen. Nicht einfach weiterzumachen wie bisher. Sondern die Erfahrungen der Solidarität, die wir in der Coronakrise gemacht haben, weiterzutragen und ein gerechteres Miteinander zu schaffen.

Wenn wir uns nicht davor fürchten, die nötigen Veränderungen in unserer Gesellschaft gemeinsam anzugehen, kann die Corona-Pandemie bei all dem Leid, das sie bringt, auch einen positiven Effekt haben.

In diesem Sinne: „Fürchtet Euch nicht. Gott ist bei Euch.“


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