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Geboren, gestorben – und unvergessen

Der „Gedenkgottesdienst für gestorbene Kinder“ findet in diesem Jahr in „hybrider Form“ statt: Gedenkbücher liegen in der Heiliggeistkriche aus, Ansprechpartner*innen sind vor Ort, der 20. Gottesdienst dieser Art wird jedoch „gestreamt".

Jede Kerze eine Erinnerung I Foto: Martina Tauber
Jede Kerze eine Erinnerung I Foto: Martina Tauber

Das Kinderzimmer ist eingerichtet, im Flur steht der Kinderwagen – und dann die Rückkehr aus dem Krankenhaus mit leeren Händen und gebrochenem Herzen – erst in den neunziger Jahren sei das Bewusstsein für Eltern, die eine Totgeburt erleben mussten, gewachsen. Es wurde wahrgenommen, was es heißt, dem „freudigen Ereignis“ entgegenzublicken und dann einen Schicksalsschlag zu erleiden, berichtet die Klinikseelsorgerin Elisabeth Knecht. Um die Nullerjahre herum sei begonnen worden, diese Kinder zu bestatten, fügt die an der Frankfurter Uniklinik tätige Pfarrerin hinzu.

Vor 20 Jahren organisierte Elisabeth Knecht erstmals in Frankfurt einen „Gedenkgottesdienst für gestorbene Kinder“. Eltern, die ihre Kinder gar nicht lebend in den Arm nehmen konnten, Väter und Mütter, die nach wenigen Tagen den Tod des Babys zu beklagen hatten, aber auch Eltern, die ältere Söhne oder Töchter verloren haben, kommen seitdem einmal im Jahr am zweiten Sonntag im November in der Heiliggeistkirche am Dominikanerkloster zusammen, um sich gemeinsam zu erinnern. Bei manchen ist der Schmerz noch ganz frisch, bei anderen liegt der Tod des Kindes schon Jahre zurück.

Zum Einzugsgebiet des ökumenischen Gedenkgottesdienstes zählt das gesamte Rhein-Main-Gebiet. Eine Kerze wird für jedes Kind entzündet, der Name in ein Gedenkbuch eingetragen und vorgelesen. Rund 100 bis 150 Menschen versammeln sich Jahr für Jahr in der Heiliggeistkirche. Eltern, aber auch Geschwister sind dabei. Für manche sei es nicht einfach, wenn später Geborene anderer Familien ihre Stimmchen in das Gedenken hinein erheben, erzählt die Seelsorgerin und doch sei es wichtig, die Geschwister zuzulassen, als Hoffnungszeichen.

„Ich mache diesen Gottesdienst nicht für, sondern mit Betroffenen“, sagt Elisabeth Knecht. Manche seien überrascht über die Form, über den Gottesdienst, an dem viele mitwirken. Die Band „Habakuk“, bekannt für Lieder wie „Bewahre uns Gott“, spielt seit den Anfangsjahren in dem Gottesdienst. Eugen Eckert hat sogar eigens Lieder dafür geschaffen. Der Pfarrerin gefallen die Melodien – „und sie sprechen die Anwesenden an“. Orgelmusik könne in solch einem Rahmen zu wuchtig wirken, meint Knecht.

Zu denen, die von Anfang an dabei waren und mit der Theologin seit zwei Jahrzehnten das Gedenken organisieren, gehört Martina Tauber. Die Gärtnerin und Floristin hat vor 28 Jahren Zwillinge zur Welt gebracht, die keinen Atemzug taten. Am Anfang wusste sie gar nicht, wie sie den Kummer überstehen sollte, Tauber hat sich dann in einer Regenbogengesprächsgruppe engagiert, in der Eltern, die einen ähnlichen Verlust erlitten haben, zusammenkommen. Heute erlebt Tauber, die zwei weitere Kinder geboren hat, „es ist nicht mehr so sehr die Trauer, als das stille Gedenken“ an diese beiden Menschen, das sie bewege. Wichtig ist ihr, dass ihre weitere Familie von ihren vier Kindern spricht und nicht nur von den zwei Herangewachsenen. „Totschweigen und vergessen, das schmerzt.“

Knecht und Tauber stimmen überein, dass viele der Anwesenden nicht sonntäglich in die Kirche gehen. Und doch bietet die Kirche einen Ort, wie kein anderer. Die Fürbitten, der Segen, das Symbol der Kerze, auf der der Name des Kindes steht, Tauber spricht von „einem Himmelsgeburtstag“. Das besondere an diesem Gottesdienst sei, „hier kann ich klagen, meinen Schmerz, meine Sehnsucht und meine Hoffnung ausdrücken und all dies, auch das Leben meiner Kinder, in Gottes Hände legen“. In diesem Jahr wird es am 8. November Corona-bedingt keinen Gottesdienst in der Heiliggeistkirche geben, er wird um 17 Uhr „gestreamt“. Wie immer gestaltet Elisabeth Knecht ihn mit einem Team, die Band Habakuk tritt auf. In Anlehnung an das Albert Schweitzer entlehnte Motto „Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen“, geht es um „Deine Spuren in meinem Leben“, eine Anknüpfung auch an das Jahr 2000, wo es um „Spuren“ ging.

Das Gedenken geschieht „hybrid“, das heißt im Netz, aber auch vor Ort: Von 14 bis 16 Uhr liegen in der Heiliggeistkirche am Dominikanerkloster, Kurt-Schumacher-Straße 23, Gedenkbücher aus. Knecht und Kolleginnen und Kollegen aus der Klinikseelsorge werden da sein sowie Ehrenamtliche. Sie stehen für Einzelgespräche – bei gebührendem Abstand – zur Verfügung. Vergangenes Jahr war noch an Jubiläumsfestlichkeiten zum Zwanzigsten gedacht worden, jetzt sagt Elisabeth Knecht. „Das ist gegenüber allem anderen zurückgetreten“. Froh ist sie aber auch, dass Überlegungen, es ganz ausfallen zu lassen, nicht zum Tragen kamen. Dafür sind in den vergangenen zwölf Monaten zu viele Kinder totgeboren worden oder allzu früh verstorben.

Nähere Informationen zu dem Stream und dem Programm am 8. November gibt es unter www.gedenkgottesdienst-ffm.de.

Ein Interview mit der katholischen Klinikseelsrogerin Marita Cannivé-Fresacher, die in diesem Jahr erstmals bei dem Gedenkgottesdienst mitwirkt: hier


Autorin

Bettina Behler 297 Artikel

Bettina Behler, Medieninformation Evangelische Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt und Offenbach