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Seenotrettung: Wenn Moral konkret wird

Das aus der evangelischen Kirche heraus gegründete Aktionsbündnis „United4Rescue – Gemeinsam Retten!” wird sich mit einem eigenen Schiff an der Seenotrettung im Mittelmeer beteiligen. Rund eine Million Euro an Spenden reichten aus, um in einem Bieterverfahren das ehemalige Forschungsschiff „Poseidon” zu erwerben .

„Es gibt nach wie vor keine staatliche Seenotrettung, die zivilen Seenotretter sind die einzigen, die gegenwärtig wirklich retten und Menschen in sichere Häfen bringen“, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, nachdem bekannt wurde, dass das Aktionsbündnis „United4Rescue – Gemeinsam Retten!” den Zuschlag für das Forschungsschiff Poseidon bekommen hatte. An der Initiative haben sich über 300 Organisationen und Institutionen beteiligt, darunter auch viele säkulare und katholische Partner. So spendete der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx 50.000 Euro. Den Betrieb der Poseidon soll die Organisation „Sea Watch“ übernehmen.

Allerdings gibt es auch Einwände gegen die Aktion. Kritiker*innen werfen der Kirche einen moralisierenden Umgang mit der Fluchtproblematik vor. „Oder soll man es lassen?“ Mit dieser sicher provokativ gemeinten Frage hatte die Wochenzeitung Die Zeit bereits im Sommer 2018 die Debatte zugespitzt. In ihrem Artikel vertrat die Journalistin Mariam Lau damals die Auffassung, dass private Seenotrettung im Mittelmeer gut gemeint, aber moralisch nicht legitim sei. Denn: „Je mehr gerettet wird, desto mehr Boote kommen – so einfach ist das.“

Aber ist es wirklich so einfach? Immerhin ist das Risiko hoch. Von hundert Menschen, die versuchen, in Booten über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, sterben zwei bis drei, trotz privater Seenotrettung. Geht man ein solches Risiko ein, wenn man andere Optionen hat?

Insgesamt sind voriges Jahr 1300 Menschen ertrunken. Wenigstens sind die Zahlen rückläufig: 2016 gab es noch über 5000 Tote. Auch die Zahl derer, die es überhaupt versuchen, sinkt: Von 373.000 Menschen in 2016 auf nur noch 141.000 in 2018.

Manche Kritiker der Aktion beschränken sich nicht mal auf Argumente: Heinrich Bedford-Strohm hat wegen seine Engagements für das Seenotrettungsschiff Morddrohungen bekommen. Allerdings ist der Vorwurf des Moralisierens schon merkwürdig: Wenn nicht einmal mehr die Kirche moralisch sein darf, wer denn dann? Und was genau ist an Moral eigentlich so schlecht?

„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt Jesus in der Bibel. Aber nicht nur Christinnen und Christen sollen moralisch handeln. Philosophen wie Immanuel Kant kommen zu demselben Schluss: Die Maxime des eigenen Handelns, so sein berühmter „kategorischer Imperativ“, müssen immer auch ein allgemeines Gesetz sein können. Konkret heißt das: Entweder wir retten alle Menschen in Seenot – oder wir retten keine. Wenn wir anfangen, mehr oder weniger wertvolle Menschen gegeneinander abzuwägen, haben wir nicht nur den Boden der Christlichkeit verlassen, sondern auch den der Humanität.

Es ist nämlich nicht kompliziert, es ist genauso einfach, wie es Pfarrerin Sandra Bils voriges Jahr beim Schlussgottesdienst des Kirchentags in Dortmund sagte: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ Sicherlich bringen die globalen Fluchtbewegungen Probleme mit sich. Und richtig ist auch, dass diese Probleme politisch gelöst werden müssen.

Aber dass die staatlichen Seenotrettungsprogramme im Mittelmeer fast völlig eingestellt wurden und Europa nur noch Luftaufklärung betreibt, ist ein Skandal. Und die Unfähigkeit Europas, sich auf praktikable Umgangsweisen mit Flüchtlingen zu einigen, ebenso. Denn nur weil die Staaten versagen, sind ja überhaupt so viele private Rettungsorganisationen unterwegs. Wenn sich ihnen jetzt noch ein weiteres, „evangelisches“ Schiff hinzugesellt, ist das nur zu begrüßen.

Denn, nein: Natürlich soll man es nicht lassen!


Autorin

Antje Schrupp 227 Artikel

Dr. Antje Schrupp ist Chefredakteurin des EFO-Magazins. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com Mastodon: @antjeschrupp@kirche.social

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