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Wehmut und Aufbruchstimmung – für ihn passt beides

Pfarrer Andreas Hannemann wechselt von der Nord-Ost-Gemeinde im Frankfurter Ostend an die Erlöserkirche in Bad Homburg.

Andreas Hannemann - stolz auf die Willkommenskultur in Nord-Ost  I Foto: Bettina Behler
Andreas Hannemann - stolz auf die Willkommenskultur in Nord-Ost I Foto: Bettina Behler

Eine bunte Mischung Kekse liegt in der Schale neben den Kaffeetassen. Andreas Hannemann nimmt den schokoladigen mit dem Notenschlüssel drauf. Zufall? Er lacht. „Vielleicht nicht“, sagt der Pfarrer, der sich am 26. Januar 2020 von der Frankfurter Nord-Ost-Gemeinde verabschiedet und eine Woche darauf, am 2. Februar 2020, an seinem neuen Arbeitsplatz in der Bad Homburger Erlöserkirche eingeführt wird. „Ich mag Musik, zu Weihnachten höre ich Bachs Oratorium, zu Ostern die Passion, ja und ich freue mich auf die Kirchenmusik in Bad Homburg.“

Jetzt aber nimmt der 51-Jährige erst einmal Abschied von der Personalkirchengemeinde, die ihren Sitz zwischen Frankfurt-Bornheim und dem Ostend hat, wo vor nicht allzu langer Zeit die EZB bezogen wurde. Elf Jahre findet der gebürtige Niederrheiner eine gute Zeit für Veränderung, „auch wenn ich traurig bin“. Seine Vorgänger hätten auch nach neun, zehn Jahren gewechselt, „das tut der Gemeinde gut.“ Und für ihn ist es Anfang 50 eine gute Gelegenheit, noch mal etwas anderes zu machen.

Vom Nachkriegsbau zur wilhelminischen Prachtkirche

Die Erlöserkirche in der Kurstadt im Taunus ist auf Initiative des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. gebaut worden, Neuromanik paart sich in dem prächtigen evangelischen Gotteshaus mit Jugendstil. Ganz anders sieht es bei Nord-Ost aus, der Bau atmet den Duft der fünfziger, sechziger Jahre, im Flur stehen noch Kisten mit Saft- und Sektflaschen, am Wochenende wurde Reiner Lux, Bundessekretär des Westbundes des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) in den Ruhestand verabschiedet. Der Jugendraum, orange getüncht, befindet sich wie der Kirchsaal, der vor ein paar Jahren mit hellem Grün und Lichtanlage aufgefrischt wurde, im Erdgeschoss.

Als der in Bethel, Tübingen und Bonn ausgebildete Theologe vom Kirchenkreis Wetzlar nach Frankfurt wechselte, war das Gelände noch von einem Jägerzaun gerahmt, heute findet sich dort eine Freifläche, eine Rampe erleichtert den Zugang. Der gegenüber dem Naxos Areal gelegene Bau ist inzwischen als Kirche gut erkennbar, der Gemeindeschaukasten funktioniert digital – ganz offenkundig, hier hat sich was getan und hier tut sich regelmäßig was.

Beim Rundgang verweist Hannemann auf Carl de Neufville. Der aus einer Frankfurter Bankiersfamilie Stammende gründete 1887 zwecks Evangelisation den Nord-Ost-Verein. Heute gehört die Gemeinde einerseits der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und damit auch dem Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach an, andererseits beruht sie auf einer Vereinsstruktur. Die Mitglieder pflegen eine enge Bindung, rund 150 Besucher und Besucherinnen kommen jeden Sonntag in den Gottesdienst. Ein Drittel unter 30, ein Drittel unter 60, ein Drittel darüber, schätzt Hannemann. Parallel gibt es jeweils Kindergottesdienst.

Von „städtischem Pietismus“ spricht Hannemann. Der Christliche Verein Junge Menschen ist in Nord-Ost stark, wenn ein Kind geboren wird, geben die Eltern nicht selten eine Anzeige im Gemeindebrief auf. Im zweiten Stock der Wingerstraße 15 – 19 ist wandbreit auf einen Spiegel eingraviert zu lesen: „Jesus Christus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit…“, im Jugendraum hängt neben der Frankfurter Skyline in Acryl ein meterhohes Kreuz – das Bekenntnis zum Glauben wird hier – nicht nur beim Inventar – auf Anhieb sichtbar.

Pietismus ohne Zeigefinger

Wer bei Pietismus an moralischen Zeigefinger und Engstirnigkeit denke, liege falsch, sagt Hannemann. Scheidung löst hier kein Stirnrunzeln aus, die regelmäßige Einladung für Alleinerziehende, sich zu Essen und Austausch zu treffen, ist ein Angebot, das Hannemann zu den Charakteristika von Nord-Ost zählt, genauso wie das regelmäßige Trauercafé, in dem sich die Menschen in der Nord-Ost-Gemeinde ihre Gefühle von der Seele reden können.

Gut findet der Pfarrer, wie offen die Gemeindemitglieder auf die engagierte Flüchtlingsarbeit der vergangenen Jahre reagiert haben. „Da hat wirklich keiner was ,AfD-iges‘ gesagt“. Vielmehr hätten viele konkrete Hilfe angeboten, als vor einigen Jahres eine erste iranische Familie, die sich für das Christentum interessierte, Kontakt zur Gemeinde aufnahm. 46 Menschen aus dem Iran und Afghanistan, einer aus Pakistan, haben in der Gemeinde in jüngster Zeit Glaubenskurse besucht. Hannemann nennt sie bewusst so und nicht „Taufkurse“. „Ich will es offenhalten.“ Nicht wenige der Kursler haben sich jedoch für eine Taufe entschieden und sind jetzt Gemeindemitglieder.

Hannemann lebt mit seiner Frau, einer Grundschullehrerin, und den beiden Kindern in Kalbach. Sechs Minuten braucht er zukünftig mit dem Auto zu seinem neuen Arbeitsplatz, zur Nord-Ost-Gemeinde waren es über die Eissporthalle 18 Kilometer. So manchen Satz, den er über seine Anfänge in Frankfurt sagt, kann er gewiss auch in Bad Homburg wieder gebrauchen. „Ich bin als Lernender gekommen“ Und: „Ein Gottesdienst ist wie ein Wohnzimmer“ – zum einen „Gudd Stubb“, in der die Gäste willkommen geheißen werden, zum anderen aber auch der Raum für alle Generationen.

In Sachen Musik ist es ihm in Nord-Ost gelungen, vielerlei unter einen Hut zu bringen. Früher habe es Gottesdienste mit Zeitgenössischem gegeben und an anderen Sonntagen welche mit Liedgut aus dem Gesangbuch. Unter seiner Ägide kam beides zusammen: „Eine gute Übung in Sachen Toleranz“, sagt Hannemann.


Autorin

Bettina Behler 298 Artikel

Bettina Behler, Medieninformation Evangelische Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt und Offenbach