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Die wahre Geschichte über den Kauf des Frankfurter Hauses auf Spiekeroog

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In der Ausgabe der September-Ausgabe (Nr. 211, Seite 4) unserer Mitarbeiter:innen-Zeitung hatten wir über das Frankfurter Haus auf Spiekeroog berichtet und geschrieben, dass der Kauf des Freizeit-Hauses im Jahr 1971 durch eine Anzeige in der FAZ zustande gekommen sei. Jürgen Telschow, früher Verwaltungsdirektor des ERV und Verfasser zahlreicher Werke über die Geschichte der Frankfurter Kirche, war damals dabei. In seinem Beitrag verrät er die wahre Geschichte, die wir Ihnen natürlich nicht vorenthalten möchten.

Das Frankfurter Haus auf der Nordseeinsel Spiekeroog in einer historischen Aufnahme von Jürgen Telschow.
Das Frankfurter Haus auf der Nordseeinsel Spiekeroog in einer historischen Aufnahme von Jürgen Telschow.

Der Verband mit seinem Kirchlichen Werk für Freizeit und Erholung hatte im Laufe der Jahre immer wieder Gruppen zur Erholung nach Spiekeroog geschickt. Um 1970 herum kam da ein Hilferuf von dem Inhaber des Gästehauses, in dem diese Gruppen immer untergebracht wurden. Er sei pleite, und die Kirche müsse ihm helfen. Also wurde ich nach Spiekeroog geschickt, um die Angelegenheit einmal anzusehen. Meine Vorgabe war: keine finanzielle Hilfe, aber Beratung. Vor Ort traf ich ein verzweifeltes Ehepaar an. Er war alteingesessener Insulaner, sie Kindergärtnerin ohne Liebe zur Insel. Sie besaßen ein Haus im Ortszentrum mit einem Lebensmittelladen und über 20 Gästezimmern. Alles lief nicht so, wie es sollte. So schuldeten sie vor allem dem Metzger auf dem Festland einen hohen Betrag. Der wollte nicht mehr zuwarten und beabsichtigte die Zwangsvollstreckung. So wie er es schon mit mehreren Schuldnern an der Küste gemacht hatte. Sie aber wollten auf keinen Fall, dass ihr Anwesen in seine Hände gerät. Ich suchte nach mehr Informationen. Dabei wurde deutlich, dass der Ehemann nicht besonders geschäftstüchtig war. Sein Vater hatte den einzigen Lebensmittelladen auf der Insel gehabt, den einzigen Bollerwagenverleih und den einzigen Kohlenhandel. Mit dieser Ausgangslage hätte der Mann auf Spiekeroog groß werden können. Aber bei allem hatten ihm andere den Rang abgelaufen. Selbst der Lebensmittelladen war im Minus, weil sich die Einheimischen angewöhnt hatten, sein Hinterstübchen zum Treffpunkt zu machen und da auf seine Kosten zu picheln. Insgesamt waren die Zahlen schlecht. Bei Umorganisation und besserer Geschäftsführung ließ sich vielleicht etwas machen. Aber es war kein Geld da. Also fuhr ich mehrmals aufs Festland und verhandelte, u. a. in Leer mit einem hanseatischen Kaufmann in seinem Kontor, mit Geschäftsleuten und potentiellen Geldgebern, denen meine Gastgeber vertrauten. Aber niemand war bereit zu helfen, weil sie dem Geschäftsgeschick der Leute nicht trauten. Bei jedem Gespräch mit unseren Gastgebern aber stellten diese wieder die Frage, ob wir nicht das Anwesen übernehmen könnten. Ich musste nein sagen. Sie schraubten den Kaufpreis immer niedriger. Eine Schwelle waren die Schulden in Höhe von etwa 300.000 DM. Schließlich waren sie sogar bereit darunter zu gehen. Mir schien de Erwerb der Liegenschaft zu einem solchen Preis ein Schnäppchen zu sein. Also telefonierte ich mit Pfarrer Schäfer, dem Vorsitzendes des Gemeindeverbandes. Der fand das auch, war sich aber nicht sicher, ob der Vorstand mitmachen würde. Der Verband war halt noch arm. Andererseits drohte der Gläubiger, und die von ihm gesetzte Frist drohte abzulaufen. Also sprach ich mit meinen Leuten, erklärte die Situation und sagte, dass ich mir einen Erwerb für 300.000 DM vorstellen könnte. Sollten sie doch wenigstens ihre Schulden bezahlen können. Dann telefonierte ich noch einmal mit Schäfer, der die Angelegenheit dem Vorstand in der nächsten Sitzung vorlegen und sich für einen Erwerb aussprechen wollte. Aber die Sitzung fand erst nach Fristablauf statt. Also erwog ich, den Kaufvertrag ohne Vollmacht aber mit dem Versprechen diese nachzureichen, abzuschließen. Schäfer meinte, er würde alles versuchen, aber es ginge auf meine Gefahr. Ich wiederum vertraute den beiden Insulanern und glaubte nicht, dass sie mir Ärger machen würden, wenn das Geschäft platzte. Notar war ein wohlwollender Mensch, der meinen Schwager Pfarrer Helmuth Benkendorff früher in Esens, noch kannte. Die Insulaner fielen mir fast um den Hals. Wir fuhren nach Esens und unterschrieben den Vertrag. Auch der Vorstand machte mit. So nahm die Angelegenheit für alle ein gutes Ende. Allerdings tauchte noch ein Problem auf. Die Gemeinde hatte als Rathaus nur ein winziges Gebäude und auf unserem Grundstück lag ein Vorkaufsrecht der Gemeinde. Nach einigen Wochen wollte die Gemeinde davon Gebrauch machen. Sie erklärte es dem Verband. Ich konnte aber feststellen, dass die Erklärungsfrist abgelaufen war. Der Bürgermeister Wiethorn bot uns darauf einen Tausch gegen ein anderes Haus an. Ich fuhr also wieder einmal an die Nordsee, traf mich mit ihm, und wir besichtigten dieses Haus. Es war aber viel schlechter für unsere Zwecke geeignet, sodass ich den Tausch ablehnte. Von da ab war das Verhältnis zum Bürgermeister unterkühlt. Wenn wir uns trafen begrüßten wir uns freundlich. Er hatte auch sichtlich ein gewissen Respekt vor mir, aber...

Wir nahmen das Haus in Besitz und mussten einiges an handwerklichen Arbeiten verrichten, um es nun ganz als Ferienheim nutzen zu können. Dazu hatte der Verband aber kein Geld. Doch auch da fanden wir eine Lösung. Zum einen fing die Hauswirtschaftsleiterin des Dominikanerklosters, Edith Möhrke, Feuer und machte sich die Sache zu eigen. Zum anderen war es nicht schwer, ein halbes dutzend Mitarbeiter mit handwerklichem Geschick dazu zu gewinnen, sozusagen während der Dienstzeit nach Spiekeroog zu fahren und dort zu renovieren. Ein Problem war natürlich die Materialbeschaffung und der Materialtransport auf die Insel. Das musste am Festland gekauft werden, und für den unkomplizierten Schiffstransport sorgte Edith unkonventionell mit ein paar Flaschen Schnaps. So gab also einige Arbeitseinsätze auf Spierkeroog, die für die Beteiligten ein Abenteuer waren und das Haus nutzungsbereit machten.

Noch einmal war ich gefragt, als wir in den neunziger Jahren ein kleines Mitarbeiterwohnhaus im hinteren Bereich des Grundstücks errichten wollten. Als die Bauabteilung deshalb bei der Gemeinde vorfühlte, erhielt sie einen abschlägigen Bescheid, weil das Hintergelände nach dem Bebauungsplan nicht bebaubar war. Ich bin dann selbst nach Spiekeroog gefahren und habe mit dem Bürgermeister, den ich ja von früher kannte gesprochen, aber es gab keine Chance. Also habe ich Schwager Helmuth nach einem Architekten in Esens gefragt, der uns vielleicht helfen könnte. Ich nahm nämlich an, dass man uns als Inselfremden nicht behilflich sein wollte. Der genannte Architekt war ein junger hilfsbereiter Mann, der bei Helmuth in der Jungendgruppe gewesen war und den ich bei einem Besuch kennenlernte. Er kannte sich an der Küste aus, hatte viele Beziehungen und segelte gerne. Termine auf den Inseln nahm er mit dem eigenen Boot wahr. Er erzählte mir, dass er seinerzeit den Entwurf des Bebauungsplanes für die Gemeinde erarbeitet hatte, dass dieser Entwurf aber noch nicht genehmigt sei. Also schickte ich ihn zur Gemeinde, und er erreichte, was uns nicht gelungen war, die Baugenehmigung. Natürlich baute er dann auch für uns. Und da gibt es zum Richtfest noch eine besondere Erinnerung. Ich war mit meiner Frau Bärbel hingefahren. Zum Richtfest waren die Arbeiter und die Nachbarschaft eingeladen. Richtfest auf der Insel, wo die Arbeiter ja unter der Woche sozusagen in Quarantäne lebten, war für Firmen etwas Besonderes. So kam auch der Juniorchef mit zwei Musikanten. Auch für die Nachbarn war es etwas Besonderes. Ich aber wurde vorgewarnt. Als nämlich der Polier seine Rede vom Gerüst halten sollte, stellte er fest, dass noch ein Balken fehlte, den der Bauherr erst noch suchen musste. Also zog die Gesellschaft vor das Haus. Dort wartete unser Heimleiter mit einem Fahrradanhänger, auf dem etliche Schnapsflaschen und viele kleine Schnapsgläser standen. Jeder Gast bekam ein Glas und einen Schluck zu trinken. Mich nahm die eine Nachbarin beiseite und sagte, ich solle immer in die Richtung gehen, die sie mir heimlich zeigt. Wir zogen also los. Es ging um mehrere Ecken. An jeder gab es einen Schnaps und ich musste sagen wo es lang geht. Dank nachbarlicher Hilfe fand ich den Hof eines Anwesens, wo tatsächlich der Balken lag. Dann musste ich mit dem Polier tip-top machen, verlor natürlich und musste als Auslösung das Richtfestgeld für die Arbeiter versprechen. Anschließend musste ich mich auf den Balken setzen und wurde nun zum Haus zurückgetragen. Dann konnte die Richtfestzeremonie ablaufen. Anschließend ging es ins Haus zur Feier. Es wurde viel gesessen und in Mengen getrunken, die ich, als mir der Heimleiter das nachher sagte, nicht glauben wollte. Ich hatte allerdings noch eine Bewährungsprobe zu bestehen. Hier war unser Architekt hilfreich. Er informierte mich, dass mit Sicherheit ein Zimmermannsspiel gespielt würde, wo zu einer bestimmten Musik sich jeweils vier Männer gegenüber sitzen und sich mit den flachen Händen in einer bestimmten Reihenfolge auf die Schenkel und gegen die Hände des Gegenüber schlagen. Zweck war, den anderen vom Stuhl zu hauen. Er vermutete, dass der Bürgermeister versuchen wolle, mich vom Hocker zu schlagen, weil er uns den Bau immer noch übel nahm. Er werde also es arrangieren, dass er mir zunächst gegenüber sitzt, damit ich mich ein wenig einüben kann. So geschah es. In der ersten Runde lief es mit dem Architekten ganz gut. Ich hatte schnell den Rhythmus. Dann kam der Bürgermeister. Und in der Tat schlug er immer kräftiger zu. Ich hielt, so gut es ging, dagegen und dann war das Spiel aus. Der Bürgermeister versagte mir seine Hochachtung nicht. Zu erwähnen ist noch, dass die Firma für solche Gelegenheiten ein extra Liederbuch hatte, in dem auch ein Lied auf die Firma zu singen war. Dass wurde dann von den Arbeitern bei einem gewissen Alkoholspiegel mit Begeisterung gesungen. So ging es bis spätabends. Ein betrunkener Arbeiter, der sich einer Frau nähern wollte, wurde vom Polier ins Bett geschickt, und nachts fiel noch einer vom Gerüst. Aber es war ein gelungenes Richtfest.

Insgesamt bin ich doch recht häufig auf Spiekeroog gewesen. Mal ging es um Probleme der Bewirtschaftung, mal um bauliche Fragen, mal einfach um Kontakt mit den Mitarbeitern. An einen Besuch habe ich noch eine besondere Erinnerung. Am 28. Mai 1987 war ich auf Spiekeroog. Auf der Insel war nicht viel los. Da es in unserm Haus kein Fernsehen gab, ging ich nach dem Abendessen zur Kurverwaltung, wo in einem kleineren Raum Fernsehen zu sehen war. Mit mir saßen da wohl noch ein halbes dutzend Personen. Mitten in die Sendung hinein platzte die Nachricht, dass der deutsche Sportflieger Matthias Rust in Moskau auf dem Roten Platz gelandet sei. Unsere Runde brach in ein großes höhnisches Gelächter aus. Hatte der es doch „den Russen“ gezeigt.

Jürgen Telschow


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