Ethik & Werte

Solidarisch mit Menschen, die Gewalt erlebt haben

Wenn Menschen körperliche oder seelische Gewalt erleben, wirkt das häufig noch lange nach. Viele Emotionen sind mit solchen Erfahrungen verknüpft, auch Scham- und Schuldgefühle. Das macht es Menschen, denen Gewalt angetan wurde, oft schwer, darüber zu sprechen und das Erlebte zu verarbeiten.

Pfarrerin Kristina Augst fordert Sensibilität und Solidarität für die Opfer von Gewalt. | Foto: Rolf Oeser
Pfarrerin Kristina Augst fordert Sensibilität und Solidarität für die Opfer von Gewalt. | Foto: Rolf Oeser

Es reicht nicht, wenn die Kirche im Notfall für Menschen da ist, die Gewalt erfahren haben, oder Präventionskonzepte entwickelt, ist Kristina Augst überzeugt: „Wir haben ihnen mehr anzubieten – zum Beispiel den Gottesdienst mit seiner Sprache und Ritualen und die erlebbare Gemeinschaft“. Für Menschen, die Gewalt erlebt haben, sei es sehr wichtig, wie die Gemeinschaft sich dazu verhält: Schaut das Umfeld nur zu, greift es ein, verurteilt es die Taten? Gibt es die Möglichkeit, das Erlebte in Worte zu fassen, zu benennen und wird die eigene Wahrnehmung gestärkt? Zusammen mit ihren Kolleginnen Doris Joachim und Natalie Ende aus dem Zentrum Verkündigung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau hat sie daher zu einem besonderen Gottesdienst für Menschen mit Gewalterfahrungen sowie interessierten und solidarischen Menschen eingeladen.

In ihrem Buch: „Auf dem Weg zu einer traumagerechten Theologie. Religiöse Aspekte in der Traumatherapie – Elemente heilsamer religiöser Praxis“ hat sich Augst mit der theologischen Herausforderung durch Traumata beschäftigt. „Mir ist wichtig, dass sich die Kirche diesem Thema annimmt und dabei auch ganz klar positioniert“, sagt Kristina Augst. Sie findet es zum Beispiel problematisch, wenn bei diesem Thema eine Schuldverschiebung zwischen Täter:innen und deren Opfern versucht wird, nach dem Motto, dass zu einem Konflikt doch immer beide Seiten etwas beitragen würden. Stattdessen hält Kristina Augst es für die Pflicht der Kirche, deutlich „das Böse“ zu benennen und die Schuld und Verantwortung für das Geschehene „dorthin zu verorten, wohin sie hingehören“ – nämlich nicht bei den Opfern, sondern bei denjenigen, die anderen Menschen etwas angetan haben.

„Menschen laden im Leben unterschiedlich große Schuld auf sich“, sagt Augst. „Auch wenn wir alle Gottes Liebe brauchen: Es ist ein großer Unterschied, ob ich Menschen quäle und demütige, oder das nicht mache. Diese Differenz zwischen Täter:innen und Opfern gilt es, zu benennen.“

Aspekte wie Ursachenforschung, Verständnis für diejenigen, die, warum auch immer, in ihrem Leben zu Täter:innen wurden, sollen deshalb im heilsamen Gottesdienst keinen expliziten Raum haben. Man dürfe Opfer von Gewalt nicht mit der Forderung nach Vergebung im christlichen Sinne bedrängen, sagt Pfarrerin Augst. Ob Vergebung im Verlauf eines Heilungsprozesses möglich ist oder nicht, das mag individuell ein wichtiger Schritt sein. Es sollte aber nicht im Fokus christlicher Seelsorge stehen. Vielmehr sieht Augst die Aufgabe von Seelsorge darin, Menschen, die Gewalt erfahren haben, Halt zu geben, ihnen zu helfen, Gut und Böse zu unterscheiden, und schlussendlich auch den Blick wieder positiv auf das Leben und die eigene innere Kraft zu lenken. Möglicherweise folgt dann auch Vergebung als ein abschließender Schritt. Vielleicht werden aber auch die Schuld und der Umgang damit Gott überantwortet, was hilfreich sein kann, wenn die Täterseite in keiner Weise zur Versöhnung bereit ist.


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Autorin

Sandra Hoffmann-Grötsch ist Journalistin in der Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach.

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