Ethik & Werte

Immer öfter wird das Glück wissenschaftlich erforscht. Dabei ist es unberechenbar.

Wie misst man, wie glücklich ein Mensch ist? Oder gar ein ganzes Land? Warum die Glücksforschung derzeit ein Modethema ist – und warum man mit Statistik und Zahlen dem Phänomen nicht auf den Grund gehen kann.

Foto: Peter Atkins/Fotolia.com
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In einer von unzähligen Studien zum Thema „Glück“ haben die Forscher einen kleinen Trick angewandt. Sie wollten herausfinden, wie aussagekräftig die Antworten der Menschen eigentlich sind, wenn man sie fragt, wie glücklich und zufrieden sie mit ihrem Leben sind. Wie in den meisten Untersuchungen dieser Art haben sie einer repräsentativen Gruppe Fragen vorgelegt: Nach ihrer Gesundheit, ihrer Arbeit, ihren Beziehungen, ihrer Freizeit. Allerdings haben sie die Mitwirkenden gebeten, vor dem Ausfüllen ihren Fragebogen noch schnell im Nebenraum zu kopieren. Die eine Hälfte fand auf dem Kopierer ein wie zufällig liegen gelassenes 10-Cent-Stück vor, die andere Hälfte nicht. Und siehe da: Diejenigen, die diesen winzigen Geldbetrag gefunden hatten, gaben in ihren Fragebogen-Antworten an, deutlich glücklicher zu sein als die anderen.

„Schon die allerkleinsten Ereignisse beeinflussen unser Glücksempfinden enorm“, sagt Andreas Knabe. Der Berliner Ökonom ist in der Glücksforschung tätig. Er berät in letzter Zeit immer öfter auch politische Gremien. Denn inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die Zufriedenheit der Bevölkerung nicht nur von harten Faktoren wie Einkommen, Gesundheit, Bildung und Infrastruktur abhängt, sondern auch von weichen, subjektiven Faktoren – wie eben dem Glück.

Bei einer Veranstaltung in der Evangelischen Stadtakademie stellte Knabe sein Forschungsgebiet vor. Zum Beispiel den neuen „Glücksatlas“, den das Institut für Demoskopie in Allensbach diesen Herbst herausgebracht hat. Demnach sind in Deutschland die Menschen in Hamburg am glücklichsten, in Thüringen am unglücklichsten – Hessen liegt auf dem sechstletzten Platz. Hier sind die Menschen also offenbar vergleichsweise unglücklich. Auch internationale Rankings gibt es. In Europa liegt laut einer Studie vom August Dänemark an der Spitze, wo 96 Prozent der Menschen angeben, glücklich zu sein, gefolgt ausgerechnet von Griechenland, wo – Krise hin oder her – satte 80 Prozent der Menschen glücklich sind. Deutschland hingegen ist mit bloß 61 Prozent glücklicher Menschen eines der Schlusslichter, vor Polen und Russland.

Doch wie aussagekräftig sind solche Umfragen? Und was genau wird da überhaupt gemessen? Sicherlich gibt es einige Faktoren, die immer ins Gewicht fallen: Wer arbeitslos ist, über ein sehr geringes Einkommen verfügt, wer krank ist oder einsam, fühlt sich eher unglücklich. Aber um das zu wissen, braucht man keine aufwändigen Studien.

Zumal der Zusammenhang nicht direkt ist, zum Beispiel beim Einkommen: Unglücklich fühlen sich Menschen generell, wenn sie nur knapp über die Runden kommen. Ab einer gewissen Einkommenshöhe hingegen spielen vor allem Statusunterschiede eine Rolle. Allgemeines Wirtschaftswachstum erhöht daher nicht unbedingt das Glücksempfinden, denn wenn ich zwar genug habe, aber alle anderen haben noch viel mehr, bin ich trotzdem unzufrieden. Egalitäre Gesellschaften sind daher im Schnitt glücklicher als solche, wo die Einkommensschere auseinanderklafft, auch wenn das Niveau insgesamt niedriger liegt. Auch das Alter spielt eine Rolle, allerdings wiederum nicht linear – am unglücklichsten sind Menschen zwischen 45 und 50 Jahren, danach geht’s bei den meisten wieder aufwärts. Ein interessantes Ergebnis hat auch eine jüngere Studie ergeben, die Andreas Knabe mit seinem Team durchgeführt hat. Er wollte herausfinden, wie glücklich sich Menschen in bestimmten Situationen tatsächlich fühlen – und nicht, wie glücklich sie zu sein glauben, wenn sie rational darüber nachdenken. In einer aufwändigen Befragung wollte er dem auf die Spur kommen und hat dabei unterschieden zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen. Der Befund war erstaunlich: Zwar haben sich die Arbeitslosen in vielen Alltagssituationen unglücklicher gefühlt als Beschäftigte in derselben Situation – etwa beim Abendessen, beim Fernsehschauen, beim Einkaufen. Aber am unglücklichsten von allen fühlten sich ausgerechnet die Beschäftigten während ihrer Arbeitszeit.

Das Hauptproblem der Glücksforschung liegt darin, dass die Angaben immer relativ sind – wie glücklich wir sind, beurteilen wir im Vergleich zu dem, was uns als normal erscheint. Chronisch Kranke zum Beispiel fühlen sich kurz nach Ausbruch der Krankheit besonders unglücklich. Doch nach einer Weile gewöhnen sie sich daran, und ihre Werte gleichen sich denen der Gesunden wieder an. Daraus zu folgern, es wäre egal, ob jemand etwa ständig Schmerzen hat oder täglich zur Dialyse muss, ist aber natürlich ein Trugschluss.

Vielleicht muss sich die Wissenschaft einfach damit abfinden, dass das Glück etwas ist, das sich objektiven Kriterien und statistischer Messbarkeit entzieht. Für das alltägliche Leben lässt sich aus den Forschungen aber dennoch mancher Hinweis entnehmen. Wer Dankbarkeit ausdrücken kann, ist glücklicher als andere, trotz ähnlicher Lebensumstände. Andersrum sind es die kleinen Gesten, mit denen wir selbst den allgemeinen Glücksfaktor in der Welt nach oben treiben können: Das 10-Cent-Stück auf dem Kopierer, sprich: das kurze Lob, das freundliche Lächeln, die kleine Aufmerksamkeit.

Und nicht zu vergessen ist das Wetter. Denn auch Sonne macht glücklich. Wenn man also mal wieder bei Nieselregen schlecht gelaunt auf dem Sofa liegt, muss man das nicht gleich dramatisieren. Es ist auch ganz normal, manchmal unglücklich zu sein.

„Glücklich sind die Armen“ – ist das etwa ernst gemeint?

Wenn man die Bibel zum Thema Glück befragt, findet man auf den ersten Blick nicht viel. Im Griechischen – der Sprache, in der das Neue Testament verfasst wurde – gibt es eigentlich sogar mehrere Wörter für Glück: Olbos (Glück im Sinne von Wohlstand), Eutychia (Erfolg) oder Eudaimonia (Glückseligkeit). Aber in der Bibel kommen sie nicht vor. Kann das sein: Dass sich die Bibel für das Glück nicht interessiert?

Der Frage ging die Theologieprofessorin Angela Standhartinger von der Universität Marburg in der Evangelischen Stadtakademie nach. Ein Wort für Glück gebe es doch in der Bibel, und zwar „Makarios“. Es bezeichne den „glücklichen Zustand der über irdisches Leiden und Mühen erhabenen Götter“ und, auf Menschen bezogen, „Glücklich Sein im vollen, unüberbietbaren Sinn“. Die bekannteste Stelle, an der das Wort in der Bibel vorkommt, seien die so genannten „Seligpreisungen“ im Matthäus- und im Lukasevangelium. „Selig sind?…“ beginnen diese berühmten Aufzählungen in der deutschen Fassung normalerweise, doch man kann es eben genauso gut mit „Glücklich sind?…“ übersetzen.

Da die „Glücklichpreisungen“ in zwei unabhängig voneinander entstandenen Fassungen überliefert sind, müsse eine gemeinsame Ursprungsversion dahinter stehen, so Standhartinger. Diese Originalfassung laute: „Glücklich die Armen, denn ihnen gehört das Reich Gottes. Glücklich die Hungernden, denn sie werden satt gemacht. Glücklich die Weinenden, denn sie werden getröstet.“ Das seien irritierende Thesen, denn normalerweise sind Arme, Hungernde, Weinende ja alles andere als glücklich. Zumal keinerlei Begründung oder Erklärung angegeben wird, wie in vergleichbaren antiken Texten, wo man sich bei solchen Aussagen in der Regel auf eine göttliche Offenbarung berufe oder irgend einen anderen „Beweis“ anführe.

Hier nicht. Hier wird einfach behauptet: Die Armen, die Hungernden, die Weinenden sind glücklich. Standhartinger erklärt sich das so, dass diese ältesten Glücklichpreisungen an Menschen gerichtet waren, denen man diese Umkehrung der Verhältnisse nicht erst beweisen musste, weil sie das hier Beschriebene tatsächlich erlebt hatten. Vermutlich sei das eine Erfahrung gewesen, die Menschen im Umkreis Jesu gemacht hatten: Dass in der Gemeinschaft und im Wissen um Gottes Herrschaft menschengemachte Armut, Hunger, Leid überwunden werden können.

Als Matthäus diese Aufzählung in sein Evangelium übernahm, war ihm aber bewusst, dass das für Außenstehende absurd klingen muss. Er hat sie daher verallgemeinert – und damit auch den Sinn verändert. Bei ihm heißt es: „Glücklich die im Geist Armen?… glücklich, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit?…“, glücklich die Friedensstifter, die Sanftmütigen, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden.Aus der wirklichen Erfahrung der ersten Anhängerinnen und Anhänger Jesu sei so ein ethisches Programm geworden, ein Versprechen an alle Menschen, eine Aufforderung. Doch die Grundaussage, so Standhartinger, bleibe ähnlich. Glück in der Bibel sei kein individuelles Empfinden, sondern „vor allem eine Erfahrung in Gemeinschaft, einer Gemeinschaft von Menschen ebenso wie zwischen Menschen und Gott. Glück hat etwas mit neuem Sehen zu tun, mit dem Erleben, dass Gott die Welt nicht sich selbst überlässt, sondern in ihr erschienen ist, um sie zusammen mit den Menschen zu verändern. Glück ereignet sich im Tun von Gottes Gerechtigkeit.“


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Antje Schrupp 227 Artikel

Dr. Antje Schrupp ist Chefredakteurin des EFO-Magazins. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com Mastodon: @antjeschrupp@kirche.social