Ethik & Werte

„Der Antisemitismus war nie weg“

Das Engagement gegen Antisemitismus sieht Ilona Klemens (54) als bleibende Herausforderung. Die frühere Frankfurter Pfarrerin und einstige Mitbegründerin des hiesigen Rates der Religionen ist seit kurzem Generalsekretärin des Deutschen Koordinierungsrats (DKR) der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ). Mit ihr sprach Armin Thomas.

Ilona Klemens will dazu beitragen, dass Menschen ohne Angst verschieden sein und leben dürfen. | Foto: privat
Ilona Klemens will dazu beitragen, dass Menschen ohne Angst verschieden sein und leben dürfen. | Foto: privat

Frau Klemens, was hat Sie an der Aufgabe, Generalsekretärin des Deutschen Koordinierungsrates der GCJZ zu werden, gereizt? Ein ruhiger Job ist das sicher nicht.

Ilona Klemens: Für mich ist der interreligiöse Dialog ein Herzensanliegen und die jüdisch-christlichen Beziehungen in unserem religiösen, gesellschaftlichen wie kulturellen Kontext sind dabei von fundamentaler Bedeutung. Etwas dazu beitragen zu können, dass alle Menschen unabhängig von Glaube und Herkunft hier ohne Angst verschieden sein und leben dürfen, ist mir sehr wichtig. Ich finde es spannend, alle meine Erfahrungen in eine solche Stelle einbringen zu können, die vielfältige Herausforderungen bietet und mich sehr fordern wird. Darüber hinaus lernt man in diesem Aufgabenfeld wunderbare und interessante Menschen kennen, die sich für die gleichen Ziele einsetzen, auf ganz verschiedenen Ebenen.

Stehen der DKR und die örtlichen Gesellschaften nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle und der Zunahme von antisemitischen Vorfällen vor neuen Herausforderungen?

Wer sich mit Antisemitismus beschäftigt, weiß, dass er nie weg war. Sicher ist neu, dass beispielsweise eine offen rechtsextreme Partei nun im Bundestag sitzt und Antisemitismus in ihren Reihen trotz aller halbherzigen Dementis akzeptiert. Der politische Diskurs und die Grenzen des Sagbaren haben sich in einer Weise verschoben, wie ich das bis vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der DKR als Dachverband wussten schon vor 70 Jahren, dass Antisemitismus eine Herausforderung für diese Gesellschaft bleiben wird und kämpfen seither dagegen. Die Aufgabe wird sein, sich zu verbünden und gemeinsam mit vielen anderen Widerstand gegen diesen Hass zu leisten.

»Niemand wird als Antisemit geboren«, sagt Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland. Können Sie mit dieser Aussage etwas anfangen?

Ich war jahrelang in Südafrika nach dem Ende der Apartheid in der Anti-Rassismus-Arbeit tätig. Sie setzt voraus, dass Rassismus erlernt und somit auch wieder verlernbar ist. Ich habe selbst erlebt, dass Menschen sich verändern können. Viele Aussteigerprogramme gründen auf dieser Erfahrung. Allerdings bleibt das ein lebenslanger Prozess. Gleichwohl erweisen sich Antisemitismus wie Rassismus als ungeheuer zählebig und finden immer wieder neue Ausdrucksformen.

Welche Schwerpunkte wollen Sie setzen?

Es wird zukünftig darum gehen, die Arbeit des DKR und der einzelnen Gesellschaften so öffentlich zu machen, dass verstärkt auch jüngere Menschen sie wahrnehmen. Das bedeutet, den christlich-jüdischen Dialog und den Kampf gegen Antisemitismus in die sozialen und digitalen Medien zu tragen. Man wird neben den klassischen Formaten neue Wege der Kommunikation finden müssen. Ich möchte mich auch für eine stärkere Vernetzung mit anderen, trialogisch angelegten Initiativen mit Muslimen einsetzen. Was immer als Aufgabe bleiben wird, ist die Bildungsarbeit gegen den Rechtsruck, der in die Mitte der Gesellschaft greift, gegen Antisemitismus und Rassismus. Darüber hinaus die Vermittlung der Erkenntnisse und der Bedeutung des jüdisch-christlichen Dialogs in die Gesellschaft, auch die säkular geprägte. Die Weiterentwicklung der Erinnerungs- und Gedenkkultur.

Inwieweit sind ihre internationalen Erfahrungen wichtig für Ihre Arbeit?

Im gesellschaftlichen Diskurs reden wir oft von »wir« und »die anderen«. Ich frage mich oft, wer wer ist und was das bedeutet. Jedenfalls ist es gut, in vielfältiger Weise die Erfahrung gemacht zu haben, mal nicht zu einem »Wir« zu gehören, sondern »die Andere« zu sein. Mit sich und anderen wechselseitige Fremdheitserfahrungen über Sprache oder kulturelle Prägungen erlebt zu haben. In der Anti-Rassismus-Arbeit in Südafrika ist mir mein Weiß-Sein und was damit an oft unbewussten Privilegien einhergeht, erst richtig bewusst geworden. Wir leben in einer Welt, in der Menschen eben nicht alle als gleich und mit gleicher Würde und Rechten ausgestattet angesehen werden. Der Antisemitismus ist dabei mit die älteste und destruktivste Ideologie der Ungleichheit. Solange das so ist, bleibt es unser aller Aufgabe, dagegen anzugehen und füreinander einzustehen.


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Regelmäßig veröffentlichen wir im EFO-Magazin Gastbeiträge von Frankfurter und Offenbacher Pfarrerinnen und Pfarrern oder anderen interessanten Persönlichkeiten.

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