Ethik & Werte

Unbehagen am Himmel. Wie das Fliegen immer uncooler wird

Fliegen schadet dem Klima, trotzdem tun es die meisten von uns. Mit „Flugscham“ gibt es jetzt zumindest ein Wort für das kollektive schlechte Gewissen.

Foto: Ross Parmly / Unsplash
Foto: Ross Parmly / Unsplash

Mit einem schwedischen Hashtag fing es im vergangenen Jahr an: #flygskam. Zu Deutsch heißt das Wort Flugscham, und es scheint, als hätten alle nur darauf gewartet. Nicht erst seit Greta Thunberg und den „Fridays for Future“-Demonstrationen überfällt viele Menschen in der westlichen Welt ein Unbehagen, wenn sie ein Flugzeug besteigen.

Nicht aus Angst vor einem Absturz, sondern aus Sorge um das Klima. Wir wissen alle: Wer die Umwelt und das Klima schützen will, sollte vor allem auf Flugreisen verzichten. Und doch scheint die Theorie schwer in die Praxis umzusetzen. „Das Flugticket hat nur 25 Euro gekostet. Also da kann wirklich niemand Nein sagen“, rechtfertigt sich die Freundin ungefragt. „Dafür habe ich aber auch kein Auto“, verteidigt eine Kollegin ihren Sommerurlaub auf La Gomera. „Fleisch essen ist viel schlimmer“, weiß der Nachbar.

Der Klimawandel ist in den Köpfen angekommen – und trotzdem wurde im Juli 2018 der Rekord gemeldet, dass weltweit knapp 20 000 Flugzeuge im selben Moment den Himmel pflügten. Über 200 000 Flüge wurden insgesamt gezählt. An einem einzigen Tag.

Irgendwie sind wir ja alle für Nachhaltigkeit, aber man muss doch auch mal raus aus dem Alltag. Natürlich wissen die Millennials, dass ihre Wochenendtrips nach London oder Berlin keine Bildungsreisen, sondern simpler Freizeitspaß sind. Natürlich ist klar, dass in Zeiten der Videokonferenzen die meisten Geschäftsreisen überflüssig sind. Und weil wir alles wissen, unser Leben aber nicht ändern wollen, gibt es manchmal einen Anflug von Scham: die Flugscham. Aber wir müssen doch auch die Welt kennenlernen. Oder? Ist Reisen nicht ein Menschenrecht? Es sind nur wenige Prozent der Menschheit, die jemals ein Flugzeug bestiegen haben. Völlig undenkbar, dass acht Milliarden Menschen durch die Welt fliegen, um in bester Absicht fremde Kulturen zu studieren. „Flugscham“ ist das Wort für die Ambivalenz dieser Tage. Es fasst unser Verhältnis zum Klimawandel perfekt zusammen, packt das Befinden einer Generation in einen Hashtag. Es ist ein Anfang.


Autorin

Anne Lemhöfer 139 Artikel

Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de

0 Kommentare

Zu diesem Artikel wurden noch keine Kommentare verfasst. Schreiben Sie doch den ersten.

Artikel kommentieren

Wir freuen uns, wenn unsere Beiträge zu Diskussion und Austausch beitragen. Dabei bitten wir, auf angemessene Umgangsformen zu achten und die Meinung anderer zu respektieren. Bei Verstößen gegen unsere Netiquette-Regeln behalten wir uns vor, Kommentare nicht zu veröffentlichen.

Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder.

Errechnen Sie die Summe der dargestellten Zahlen
Captcha =