Frankfurt lokal

Geschichtsort Adlerwerke erinnert an das KZ mitten in der Stadt

Seit diesem Frühjahr gibt es im Gallus den Geschichtsort Adlerwerke. Die Gedenkstätte für das ehemalige Konzentrationslager Katzbach wurde aufgrund zivilgesellschaftlichen Engagements eingerichtet. Ein Besuch mit Pfarrerin Ursel Albrecht.

Redakteurin Angela Wolf (links) und Gallus-Pfarrerin Ursula Albrecht beim Besuch des Gedenkorts Adlerwerke. | Foto: Sophie Schüler
Redakteurin Angela Wolf (links) und Gallus-Pfarrerin Ursula Albrecht beim Besuch des Gedenkorts Adlerwerke. | Foto: Sophie Schüler

Das Gallus ist ein wuseliger Stadtteil. Dicht an dicht wird hier gewohnt. Und viele haben einen direkten Blick auf die ehemaligen Adlerwerke in der Kleyerstraße. Kaum vorstellbar, dass hinter den dicken Mauern dieses Backsteingebäudes einmal grausame Taten verübt wurden, unendliches Leid geschah, menschenunwürdige Verhältnisse herrschten.

Während des Nationalsozialismus lebten etwa 50000 Zwangsarbeiter in Frankfurt. Sie waren im Stadtbild gegenwärtig. Während der sogenannten „Todesmärsche“ Anfang 1945 trieb die SS 350 Häftlinge aus dem KZ Katzbach durch ganz Frankfurt über Fechenheim, Maintal-Dörnigheim, Hanau, Langenselbold, Gelnhausen, Wächtersbach in Richtig Hünfeld. Nur 40 von ihnen überlebten.

Diese Strecke ist in der neuen Gedenkstätte als unendlich wirkende Linie zu sehen. An mehreren Hörstationen werden die Schicksale der Häftlinge erzählt. Darunter das von Zygmunt Swistak, der in Zeichnungen festhielt, was er erlebte. Swastak verstarb am 15. August 2022 als letzter Überlebender der KZ Katzbach in seiner Wahlheimat Australien. Ein Video dreht sich um zwei inhaftierte Kinder im Alter von 11 und 14 Jahren. Die beiden Jungen erhielten die Spitznamen „Stalin“ und „Churchill“ und dienten den Aufsehern als Laufburschen. Je nachdem, ob die Alliierten auf dem Vormarsch waren oder Rückschläge einsteckten mussten, wurden die beiden Kinder in einem grausamen Spiel bestraft oder belohnt. Die Ausstellung gibt auch Einblick in die perfide Bürokratie der Nationalsozialisten: Todeslisten, Transportlisten, Listen von Insassen. Alles hatte eine gewisse Ordnung und folgte strengen Regeln. Und immer ging es um Menschenleben.

Ursel Albrecht ist gebürtige Frankfurterin und seit 2019 Pfarrerin der Gemeinde „Frieden und Versöhnung“ im Gallus. Sie ist froh über die neue Gedenkstätte. Für die Betroffenen sei ein solcher Ort seit langem überfällig gewesen. Für die Stadt Frankfurt war es ein schmerzlicher und langer Weg, sich dieser eigenen Geschichte zu stellen. Nur stetes zivilgesellschaftliches Engagement hat dafür gesorgt, dass diese Gedenkstätte realisiert wurde: der Verein LAGG (Leben und Arbeiten in Gallus und Griesheim), der Anfang der 1990er Jahre von Beschäftigten und Betriebsräten der TA Triumph-Adler AG, der Nachfolgerin der Adlerwerke, gegründet wurde, der Förderverein für die Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte KZ-Katzbach/Adlerwerke, weiteren Initiative und Überlebende des Konzentrationslagers.

Die Adlerwerke, in Betrieb seit 1880, prägten das Gallus stark. Als Produktionsstätte für Fahrräder, später Schreibmaschinen, Automobile und Motorräder waren die Werke Arbeitsplatz für sehr viele Menschen im Stadtteil. Während des ersten Weltkrieges produzierte die Fabrik Flugzeugteile und Maschinen. Auch für die Wehrmacht waren die Adlerwerke als Rüstungsbetrieb von großer Bedeutung. Doch mit dem Vormarsch der deutschen Armee nach Osteuropa wurden immer mehr Soldaten gebraucht. Männer wurden massenhaft eingezogen, und den Adlerwerken ging die Arbeiterschaft aus. Seit etwa 1941 schufteten deshalb Kriegsgefangene und sogenannte „Zivilarbeiter:innen“ dort.

Ursel Albrecht fällt auf, dass der Balken des Zeitstrahls um 1944 besonders ausschlägt. Warum? Der Ausstellungslotse Wolfgang Gruner klärt auf: Es war die Zeit des Warschauer Aufstands, als sich das polnische Militär gegen die deutsche Besatzungsmacht erhob. Damals wurden viele Polen festgenommen und nach Frankfurt in das Konzentrationslager verschleppt, sagt Grunder. Von den insgesamt 1616 Menschen, die im KZ Katzbach ausgebeutet wurden, kam der überwiegende Teil aus Polen.

Die Historikerin Andrea Rudorff hat das Lager KZ Katzbach der Adlerwerke erforscht. Sie bescheinigt dem Standort eine der höchsten Todesraten überhaupt. In Ihrem Buch „Katzbach – das KZ in der Stadt. Zwangsarbeit in den Adlerwerken Frankfurt am Main 1944/45“ schreibt Rudorff, dass das Ausmaß an Gewalt und die Unterernährung der Häftlinge auf die Unternehmensführung zurückgingen. Generaldirektor und Hauptaktionär der Adlerwerke war in der NS-Zeit Ernst Hagemeier, zweitgrößte Aktionärin war die Dresdner Bank. Hagemeier erhielt 1953 das Bundesverdienstkreuz für den Wiederaufbau der Wirtschaft in Hessen.

Die evangelischen und katholischen Kirchengemeinden im Gallus haben sich im März an einer Aktion des Vereins LAGG (Leben und Arbeiten in Gallus und Griesheim) zum 77. Jahrestag der Auflösung des KZ Katzbach in den Adlerwerken beteiligt. Mitglieder der Gemeinde Frieden und Versöhnung, darunter der gesamte Kirchenvorstand, hielten jeweils eines von 1616 Schildern mit den Namen der Häftlinge vor die Brust und standen im kalten Wind am Mainufer, um Teil der Menschenkette zu sein.

Auch bei der Arbeit mit Konfirmand:innen thematisiert Pfarrerin Albrecht das ehemalige KZ mitten im Stadtteil. „Die vielen Krisen, allen voran die Klimakrise, der Krieg in der Ukraine, die Corona-Pandemie, setzen den Jugendlichen schwer zu. Was die Jugendlichen jetzt erleben, hat Berührungspunkte mit der Vergangenheit: Sie fühlen sich ohnmächtig.“ Damit einen angemessen Umgang zu finden, sei eine große Herausforderung.

Der Ausstellungslotse erzählt von einer noch freien Wand im Gedenkort, die mit Erinnerungen der Nachkriegszeit und von Beschäftigten der Adlerwerke gefüllt werden soll. Die Kirchengemeinden, zu denen oft noch alte Menschen gehören, die die Nazizeit im Gallus noch selbst erlebt haben, wollen dabei helfen, sie zu füllen.


Schlagwörter

Autorin

Angela Wolf 117 Artikel

Angela Wolf ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. Sie wurde 1978 in Aschaffenburg geboren. Heute lebt sie in Frankfurt am Main, wo sie Soziologie, Politikwissenschaften und Psychoanalyse studierte.

0 Kommentare

Zu diesem Artikel wurden noch keine Kommentare verfasst. Schreiben Sie doch den ersten.

Artikel kommentieren

Wir freuen uns, wenn unsere Beiträge zu Diskussion und Austausch beitragen. Dabei bitten wir, auf angemessene Umgangsformen zu achten und die Meinung anderer zu respektieren. Bei Verstößen gegen unsere Netiquette-Regeln behalten wir uns vor, Kommentare nicht zu veröffentlichen.

Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder.

Errechnen Sie die Summe der dargestellten Zahlen
Captcha =