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Die Spielwiese liegt inmitten der Seniorenwohnanlage

Pfarrerin Annegreth Schilling hat vor ein paar Monaten mit ihrer Familie die Pfarrwohnung im fünften Stock der Seniorenwohnanlage im Westend bezogen. In Zeiten von Corona bedeutet das ein vorsichtiges Annähern der Generationen.

Aus einem grauen haben die Kinder von Annegreth Schilling (re.) einen bunten Fisch gemacht. Christa Eckart gefällt es. I Foto: Bettina Behler
Aus einem grauen haben die Kinder von Annegreth Schilling (re.) einen bunten Fisch gemacht. Christa Eckart gefällt es. I Foto: Bettina Behler

Wie sieht ein Pfarrhaus aus? Ein paar Rosen blühen im Garten, der Rasen ist ordentlich geschnitten. Gelber Putz, warum nicht, das bringt Sonne ins Quartier. Auf das Haus im Frankfurter Bankenviertel, in dem Pfarrerin Annegreth Schilling von der Evangelischen Hoffnungsgemeinde mit Mann und drei Kindern, sechs, vier und ein Jahr alt, lebt, trifft all das zu. Doch es handelt sich nicht um ein Pfarrhaus im landläufigen Sinne, vielmehr haben die fünf eine Pfarrwohnung im fünften Stock bezogen – im Haus der Seniorenwohnanlage Westend.

Vor nicht allzu langer Zeit ist im Erdgeschoss eine weitere Familie eingezogen. „Wenn Leute vermuten, hier geht es um ein Mehrgenerationen-Projekt, liegen sie falsch“, betont Schilling, „das ist eine Seniorenwohnanlage mit Pfarrwohnung und -büro im Haus.“ Nachdem die frühere Leiterin der Anlage privat eine neue Bleibe gefunden hat, wurde das Parterre frei – und da fiel die Entscheidung, einer jungen Familie Raum zu verschaffen. Ein Projekt wird daraus noch nicht.

55 Personen wohnen in der unweit der Bockenheimer Landstraße gelegenen Seniorenwohnanlage. Christa Eckart, 82, lebt in der zweiten Etage des Hauses der Diakonie Frankfurt und Offenbach. Manchmal sieht sie die Schillingschen Kinder im Garten spielen, „ich freue mich, aber halt mich natürlich fern“, sagt sie und zupft ihren hellvioletten Mundschutz zurecht. Corona. Im Februar ist die Pfarrerin zugezogen. Von ihrem Familienheim schaut sie auf die Skyline, auf Messeturm und Marriott, „im März, April blieben viele Etagen dunkel“.

Ausgehen mit der Enkelin

Selbst in den Lockdown-Wochen ist Eckart einkaufen gegangen – obgleich es Hilfsangebote gab. Morgens früh hat sie sich aufgemacht zum Rewe-Markt an der Bockenheimer Warte. „Viele haben hier schon Mundschutz getragen, bevor es Pflicht wurde“, erzählt Schilling. Auch Eckart. Im Treppenhaus wird Rücksicht genommen, der Aufzug lässt nur eine Person oder einen Haushalt zu, da laufen die Schillings schon mal die Stufen hoch. Andererseits warten die Senior*innen, wenn die Familieneinkäufe per Aufzug in den fünften Stock befördert werden müssen.

Der Garten gehört natürlich nicht nur den Kindern. Einige aus dem Haus treffen sich regelmäßig am späten Nachmittag unter dem Baldachin zwischen Hortensien und Brunnen. Eckart nicht, sie hält sich eher zurück. Ein bisschen bedauernd erzählt sie, „ja, vor Corona“, habe sie sich mit einer Mitbewohnerin ein wenig angefreundet, doch da sei jetzt erst einmal die Unbeschwertheit dahin. Bloß einen Termin gibt es in der Woche, an dem ruckelt sie nicht: der Begegnung mit ihrer Enkelin, 17. Diese besucht das gegenüber gelegene Bettina-Gymnasium. Neuerdings unternehmen die zwei wieder Ausflüge. „Ich lade sie dann zum Essen sein, das muss einfach gehen“, sagt Eckart.

Mit sechs ist sie aus Schlesien geflohen, im Siegerland lernte sie Blumenbinderin, nach Zwischenstationen in Marburg und Hannover kam Christa Eckart an den Main, gründete eine Familie. Die Ehe ging schief, allein zog sie Sohn und Tochter groß. Eine kleine Rente hat sie sich als Floristin erarbeiten können, davon leistet sich die Dame mit dem flotten Bob-Schnitt zwar keinen Urlaub, dafür aber die Ausflüge mit der Enkelin und ein Seniorenticket für den RMV, erste Klasse. Im Moment ist sie gerade froh drum, „da gibt es mehr Abstand“. Zu Corona sagt Christa Eckart: „ja, wir haben schon manches Schlimme erlebt“, vorsichtig sein will sie trotzdem, ein paar Jahre sollen es noch werden.

Wenn Kinder erleben, dass der nette Nachbar stirbt

Die Seniorenwohnanlage ist für Annegreth Schilling beides: Arbeits- und Wohnort. Überschneidungen gehören zum Alltag einer Pfarrerin. Vor wenigen Wochen erlag ein Bewohner einem Krebsleiden. Seiner Frau hatte die Pfarrerin zugesagt, dass sie auch nachts rausgeklingelt werden kann, wenn es zu Ende geht. So saß sie mit Mundschutz da, betete am Bettrand und segnete den Sterbenden, auch seine Frau. Ihre Kinder hätten da schon geschlafen, aber als sie am nächsten Morgen hörten, dass der Nachbar gestorben ist, waren sie betroffen. Der Verstorbene, ein ehemaliger Pilot, sei ihnen vertraut gewesen, Bilder hätten sie ihm gemalt, er überließ ihnen ein kleines Modellflugzeug, erzählt Schilling. Das Thema „Tod“ sei für ihre Kinder nichts Ungewöhnliches, „ich halte ja Beerdigungen, da reden wir auch drüber“. Aber wenn der Nachbar stirbt, werden die Fragen der Kinder natürlich viel konkreter.

Im Garten der Seniorenanlage gab es eine Andacht zum Gedenken an den Verstorbenen. Der Terrassentisch wurde zum Altar. Ein Gottesdienst unter freiem Himmel – das gab es lange nicht mehr. Viele Bewohner*innen kamen in den Garten, einige hörten vom Balkon zu. Christa Eckart äußert sich zurückhaltend, wenn es um den Glauben geht. Selbstverständlich seien ihre Kinder konfirmiert, betont sie zuallererst: „Dafür habe ich gesorgt.“ Für sich selber sagt sie: „Ich bin nicht abgeneigt.“

So ist die Seniorenwohnanlage des Diakonischen Werks für Frankfurt und Offenbach vor allem erst einmal ein Haus, in dem Christa Eckart sich wohlfühlt. Und von wo aus sie mit wenigen Schritten ihren geliebten Palmengarten erreichen kann. Geh aus mein Herz und suche Freud…


Autorin

Bettina Behler 297 Artikel

Bettina Behler, Medieninformation Evangelische Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt und Offenbach