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Nachtcafé im Bahnhofsviertel: „Es lohnt sich, um jeden Menschen zu kämpfen“

Drogenabhängigkeit ist die Kehrseite der Partymeile im Bahnhofsviertel. Drogenabhängig zu sein, bedeutet puren Stress. Das Nachtcafé M47 hilft seinen Gästen erstmal beim puren Überleben.

Eine Anlaufstelle für die Allerschwächsten: Das M47 im Bahnhofsviertel ist nachts für Drogenabhängige geöffnet. | Foto: Rolf Oeser
Eine Anlaufstelle für die Allerschwächsten: Das M47 im Bahnhofsviertel ist nachts für Drogenabhängige geöffnet. | Foto: Rolf Oeser

Samstagabend, Moselstraße 47, 22 Uhr. Schräg gegenüber ein mehrstöckiges Eros-Center, an dem die pinken Neonröhren immer an und aus gehen, links daneben das Hotel fourty-four, dann ein kioskähnlicher Lebensmittelladen, aus dem laute Musik schallt, und schließlich der Diamond Club. Auf der Straße hauptsächlich junge Männer, viele sind betrunken, sie laufen vorbei, lallen „Hallo“, russische Satzfetzen. Eine Frau im kurzen Rock mit hohen Stiefeln geht vorbei.

Das Nachtcafé M47 für Drogenabhängige ist noch geschlossen, aber schon hell erleuchtet. Es sieht clean aus, fast schon steril: Helle graue Fliesen, weiße Tische, bunte Resopalstühle. Links neben der Tür ein jüngerer Mann mit Bierflasche in der Hand und eine jüngere Frau. Sie schwankt ein wenig, ihr Blick ist glasig, kleine Pupillen. Beide sind sehr dünn.

Drogenabhängigkeit ist die Kehrseite der Partymeile im Bahnhofsviertel. Drogenabhängig zu sein, bedeutet puren Stress. Ein Teufelskreis aus Geld für Drogen beschaffen, an den Stoff zu kommen, ihn zu konsumieren und wieder an Geld zu kommen. „Die meisten unserer Gäste stehen so unter Strom, dass sie ihre körperliche Verfassung gar nicht mehr wahrnehmen. Sie spüren nicht mehr, wie erschöpft und hungrig sie sind“, sagt Christine Heinrichs, die Bereichsleiterin des stadtnahen Frankfurter Vereins, in dessen Trägerschaft das Nachtcafé steht. „Der schlechte Ernährungszustand der Meisten hat uns überrascht. Wir leisten hier Überlebenshilfe.“

Das Nachtcafé hat im Mai vorigen Jahres eröffnet. Anfangs kamen durchschnittlich etwa 60 Gäste pro Nacht, inzwischen sind es über 150, über achtzig Prozent davon Männer. Ungefähr die Hälfte sind nach einer Erhebung des Teams Deutsche, die andere Hälfte kam aus 69 verschiedenen Ländern. Etwa die Hälfte der Nachtcafé-Gäste hält sich rund um die Uhr im Bahnhofsviertel auf und lebt in äußerst prekären Verhältnissen.

Das Café hat 45 Sitzplätze, neben den bunten Stühlen auch einige Sessel, ein Fernsehen und – auch sehr wesentlich für viele Gäste – eine Toilette. Es ist blitzsauber, aber nicht gemütlich. Das ist Absicht. „Man kann es mit dem Wartesaal vergleichen, den es früher im Bahnhof gab“, sagt Gesundheitsdezernent Stefan Majer, der das Projekt zusammen mit der integrativen Drogenhilfe und der Polizei initiiert hat. „Die Menschen sollen dort nicht hängenbleiben, sondern unser Ziel ist es, sie zu anderen Hilfsangeboten außerhalb des Bahnhofsviertels zu vermitteln, etwa zum Eastside in der Schielestraße oder zur Übernachtungsstätte im Ostpark, die jede Nacht mit einem Shuttlebus der Drogenhilfe angefahren werden.“

Beim Erstkontakt im Café werden Kontaktdaten abgefragt und jeder Gast erhält einen Nutzerausweis. Die meisten stellen sich dann sofort an der Ausgabetheke der Küche an. Dort können sie kostenlos bestellen: Würstchen, Suppe, Brot, Margarine, Nutella und Käse, Hanuta oder Milchschnitte. Die Gäste werden mit Nachnamen angesprochen und die Bestellung wird ihnen anschließend an den Tisch gebracht.

„Hier im geschützten Raum können sie endlich etwas zu sich kommen“, sagt Heinrichs. Beratungsgespräche werden den Café-Gästen nicht aufgezwungen, aber wer will, kann mit einem der fünf Sozialarbeiterinnen oder Sozialarbeiter sprechen. „Mittlerweile kennen wir die Klientel schon ganz gut“, sagt Heinrichs. „Wir können hier Menschen erreichen, die sonst niemand erreicht.“ Der größte Ansturm ist von 22.30 Uhr bis 0.30 Uhr, dann wird es ruhiger.

„Die Humanität einer Gesellschaft bemisst sich an den Schwächsten“, sagt Stadtrat Majer. „Und Drogenabhängige zählen zu den Schwächsten in dieser Stadt.“ Der Gesundheitsdezernent ist auch Mitglied im Vorstand des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und Offenbach. „Die humane Grundhaltung des Politikers deckt sich in diesem Fall mit meiner Glaubenshaltung als Christ“, sagt er. „Die Frage, wie wir mit diesen Mitmenschen umgehen, ist für mich elementar.“

Das Nachtcafé kostet 770.000 Euro im Jahr, der bei weitem größte Teil davon sind Personalkosten. Es habe keine Gegenstimmen im Stadtrat gegeben, sagt Majer, auch weil das M47 eine Maßnahme zur Befriedung des Bahnhofsviertels ist. „Wir haben es auch deshalb eröffnet, weil es immer weniger Höfe und unbewachte Hauseingänge im Bahnhofsviertel gibt“, sagt Majer. „Die Gentrifizierung schreitet auch hier voran.“

Weil das Nachtcafé so gut angenommen wird, ist das Gesundheitsdezernat jetzt von der der Koalition im Römer beauftragt worden, es eventuell schon früher am Tag zu öffnen. „Das Geld haben wir“, sagt Majer. Er weiß aber noch nicht, ob verlängerte Öffnungszeiten wirklich die Lösung sind. „Die Erfahrung in anderen Städten zeigt, wie wichtig es ist, Hilfsangebote zu dezentralisieren“, sagt er. „Wir wollen die Drogenszene im Bahnhofsviertel ja gerade entzerren. Deshalb werden wir uns unsere Daten und Erfahrungen noch einmal sehr genau anschauen.“ Der Frankfurter Weg in der Drogenhilfe, der aus Prävention, Überlebenshilfe und polizeilicher Repression besteht, hat Erfolg. Gab es in den 1990ern noch 125 Drogentote pro Jahr in Frankfurt zu beklagen, sind es jetzt „nur“ noch 20 bis 25, sagt Majer. „Es lohnt sich, um jeden Menschen zu kämpfen.“


Autorin

Stephanie von Selchow ist Redakteurin des EFO-Magazins.

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