Geschichte: Ein Haus für chronisch Kranke im Frankfurter Ostend
Für Menschen mit schweren Behinderungen und chronischen Leiden hatten jüdische Frankfurterinnen und Frankfurt Ende des 19. Jahrhunderts das Gumpertz‘sche Siechenhaus eingerichtet. Es lag mitten im Ostend im Röderbergweg. Birgit Seemann und Edgar Bönisch haben die Geschichte dieser Wohlfahrtseinrichtung in einem 260 Seiten starken Buch nachgezeichnet. Es ist zugleich eine Geschichte jüdischen Zusammenlebens und Mäzenatentums am Main.
Das Buch gibt einen anschaulichen Einblick in das Sozialleben der drittgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands jener Zeit. Im Frankfurter Ostend hatten sich damals zahlreiche jüdische Wohlfahrtseinrichtungen angesiedelt, berichten Seemann und Bönisch. Eine Suppenanstalt für jüdische Wohlfahrtsbedürftige in der Theobaldstraße, ein Waisenhaus für jüdische Jungen und eines für Mädchen und der Israelitische Kindergarten.
Das Gumpertz‘sche Siechenhaus war stark gefragt. Die Pflegeanstalt war etwas Besonderes, wie die Autorin und der Autor des Buches feststellen: „Der für seine Zeit fortschrittliche Gumpertz‘sche Ansatz, den Gepflegten keine bloße Verwahranstalt anzubieten, sondern ihre Selbständigkeit und Autonomie so weit wie möglich zu fördern, eröffnete den Bewohnerinnen und Bewohnern eigene Gestaltungsräume.“
Das interessierte die Nazis später wenig: sie drangsalierten das Heim und schlossen es schließlich. Der Verwalter Hermann Seckbach musste 1938 ins Exil nach England gehen. Das Siechenhaus wurde nach und nach zur Zufluchtsstätte vorwiegend für „alleinstehende oder von NS-Verfolgten Angehörigen notgedrungen zurückgelassene gebrechliche, chronisch kranke und körperbehinderte Menschen“.
Rahel Seckbach war die letzte Oberin des Siechenhauses, bis die Bewohnerinnen und Bewohner sowie das Personal am 7. April 1941 ins KZ Theresienstadt deportiert wurden. Von den an diesem Tag von Frankfurt nach Theresienstadt verschleppten 1022 jüdischen Menschen erlebten nur 17 die Befreiung.
Birgit Seemann und Edgar Bönisch rekonstruieren auf der Grundlage unterschiedlicher Quellen, etwa Archivalien, Texte, Fotos und Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen die Geschichte des „Gumpertz’schen Siechenhauses“, den sie auch als einen bedeutenden „Jewish Place“ sehen, in einer Reihe vieler anderer Einrichtungen aus der jüdischen Regionalgeschichte, seit einer Weile besonderer Gegenstand von Forschungen weltweit.
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