Frankfurt lokal

„Man ist doch nur einmal 18“

Die evangelische Kirche macht auf vielerlei Weise Jugendlichen Angebote. Svenja Klemen, Jugendhausleiterin, und Matthias Helms, Pfarrer im Schuldienst, berichten über ihre Arbeit und Eindrücke im Corona-Herbst.

Svenja_Klemen, Leiterin von Mädchentreff und  Jugendhaus am Bügel I Foto: privat
Svenja_Klemen, Leiterin von Mädchentreff und Jugendhaus am Bügel I Foto: privat

Dieser Tage besteht wieder Redebedarf im Jugendhaus am Bügel. „Immer, wenn es neue Corona-Regelungen gibt, kommen die Jugendlichen zu uns und fragen nach, was das jetzt bedeutet“, erzählt Svenja Klemen, Leiterin der offenen Einrichtung des Evangelischen Vereins für Jugendsozialarbeit in Frankfurt am Main. Aber nicht nur dann schauen die Heranwachsenden und jungen Erwachsenen im Jugendhaus und dem angegliederten Mädchentreff am Bügel vorbei. In Corona-Zeiten haben sich rund 120 Teenager bis Mittzwanziger*innen auf die Liste der am Ben-Gurion-Ring regelmäßig Ein- und Ausgehenden setzen lassen. „So viel Dokumentation hatten wir sonst nie“, erzählt Klemen und lacht, auch wenn es ihr ernst ist: Mit den Jugendlichen und dem verantwortungsvollen Umgang mit der Pandemie.

Das Haus im Frankfurter Norden läuft unter „offener Einrichtung“, aber in diesen Zeiten schwingt keine Drehtür achtlos vor sich hin. Drinnen besteht Maskenpflicht, die Suppe, die am Nachmittag offeriert wird, darf nur draußen gelöffelt werden. Auch in anderen Zeiten wird in den auf einem großzügigen Areal gelegenen Räumen auf Struktur geachtet. Geregelt ist die Zeit für Hausaufgaben und die fürs Freizeitprogramm. Doch aktuell erscheint Klarheit noch mal wichtiger.

Treffen vom heimischen Sofa aus

Der gegenwärtige Ablauf sieht so aus: Ab 14 Uhr stehen Hilfen beim Lernen, „Fit für Schule und Beruf“ oder Einzelgespräche zu Ausbildungs- und anderen Lebensperspektiven an, gegen 16 Uhr wird die Suppe erwärmt und kann einzeln abgeholt werden, „um 19 Uhr wechseln wir ins Digitale“, die Räume leeren sich, berichtet die 37 Jahre alte Leiterin von Mädchentreff und Jugendhaus.

Ein Kollege habe für das digitale Programm seine Playstation zur Verfügung gestellt. Dienstags gebe auf den Bildschirmen ein Rapper Tipps, erzählt Svenja Klemen. An vielen Abenden erfreute sich derzeit eine App großer Beliebtheit. Sie ermöglicht, per Videochat Karten „zu zocken“ oder einfach zu reden.

Statt auf dem Jugendhaus-Sofa, läuft die „Abend-Session“ nun von der privaten Couch aus. Das ist nicht das gleiche: Sich mal umarmen, abklatschen, spielerisch balgen, die ganze Nähe, das fehle Besucherinnen und Besuchern, sagt Klemen. Das erlebten die Jugendlichen, egal welchen Geschlechts, ähnlich, meint die studierte Kunstpädagogin und -therapeutin. Ansonsten nehme die weibliche und die männliche Klientel die Konsequenzen der Corona-Pandemie sehr unterschiedlich wahr, ist ihre Beobachtung. Einige Besucherinnen des Mädchentreffs seien im Frühjahr aus ihrem Blickfeld verschwunden: „Die haben Pflichten in den Familien übernommen.“ Kochen, Putzen, neben Ausbildung, Schule und Job, „wiedergesehen habe ich die erst, wenn sie mit ihren kleinen Geschwistern auf den Spielplatz kamen, wenn wir im Stadtteil Angebote gemacht haben, um Jugendliche anzusprechen“, berichtet Klemen.

Die männlichen Jugendlichen seien wesentlich seltener zu Familienpflichten herangezogen, sondern von ihren Familien vielfach rausgeschickt worden, angesichts kleiner Wohnungen. Ein Teil der „Jungs“ hätten ihre Aushilfsjobs auf Grund von Schließungen verloren, die „Mädchen“ weitgehend ihre Tätigkeiten, etwa im Einzelhandel behalten, sagt Svenja Klemen. Frust über abgesagte Ausbildungen, fehlende Praktikantenstellen, generelle Missstimmung – nicht selten müssen Klemen und ihr Team das dieser Tage auffangen.

Corona-Regeln – nachzulesen auf Mauern  |  Foto: Instagram-Kanal des Jugendhaus am Bügel
Corona-Regeln – nachzulesen auf Mauern | Foto: Instagram-Kanal des Jugendhaus am Bügel

Manche werden ganz kirre

So geht es auch Matthias Helms, Pfarrer im Schuldienst in der Stauffenbergschule in Frankfurt-Bornheim. 1.600 Jugendliche besuchen gegenwärtig neben ihrer Ausbildung in den Gebieten Handel, Logistik und Medien diese Berufsschule. Fast wortgleich sagen die Jugendhaus- und Mädchentreffleiterin und der Pfarrer: „Man ist doch nur einmal 18“ – beide verstehen die Ratlosigkeit der jungen Erwachsenen in dieser Zeit. „Das ist für die echt nervig“.

Sie erlebten die Infektionszahlen als „Sisyphusarbeit“ – „man strengt sich an und es reicht trotzdem nicht“, sagt Helms. Für ihn gehe es darum, die Schüler*innen zu ermutigen, nicht zu schauen, „was gerade nicht läuft“, sondern nach Chancen zu sehen, und den Auszubildenden – ob Lagerist oder Verlagsnachwuchs – vor allem das gegenwärtig erforderliche „Warten“ in Beruf und Freizeit nahe zu bringen.

Manchmal notgedrungen, manchmal aber auch positiv gestimmt, würden in diesen Zeiten die Beziehungen in den Familien intensiver, ist Helms Eindruck. Aber kein Vertun, das ist kein sorgloses Kuscheln in den privaten vier Wänden. „Es gibt welche, die werden ganz kirre“ angesichts des „unsichtbaren Feinds“ namens Coronavirus und der mit der Pandemie verknüpften Einschränkungen, berichtet Matthias Helms.

Alle 20 Minuten werde in den Klassenzimmern des Backsteinbaus an der Arnsburger Straße gelüftet. In dicke Jacken gehüllt, manche zusätzlich durch Decken geschützt, verfolgten sie den Unterricht. Der Pfarrer hat den Eindruck, dass die Jugendlichen froh sind, wenn sie zur Arbeit oder auch in die Berufsschule kommen können, „das gibt Rhythmus“. Zudem freuten sie sich über die Begegnungen mit Gleichaltrigen. Und, so beobachtet er, gerade in diesen ungewissen Zeiten, seien sie abschlussorientiert.

Rhythmus und Begegnung sind wichtig

Am Rande des Unterrichts ergebe sich das eine oder andere Seelsorgegespräch. Im Klassenzimmer seien es vor allem muslimische Jugendliche, die ihn nach Religiösem, nach Glück und Unglück fragten, erzählt Matthias Helms.

Auf Gespräche, aber auch auf Improtheater setzt der Pfarrer. „Was wäre wenn…“, „Wie ist das, wenn…“ – Fragen wie diese stellen sich in dieser Zeit viele, so etwas lässt sich in kleinen Inszenierungen gut umsetzen. Mit einem Satz lässt es sich nur selten klären.

Antworten auf die jeweiligen staatlichen Regelungen fallen nicht allzu schwer. Sie sind auf den entsprechenden Internetseiten nachzulesen. Das Jugendhaus am Bügel setzt auch schon mal das Neueste aus Berlin auf seinen Instagram-Kanal – für diejenigen, die keine Zeit oder Möglichkeit haben, direkt zu fragen, ploppt es dann auf dem Handy auf.


Autorin

Bettina Behler 330 Artikel

Bettina Behler, Medieninformation Evangelische Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt und Offenbach