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Naht für Naht steigt das Selbstwertgefühl

In der ModeKreativWerkstatt des Diakonischen Werkes für Frankfurt und Offenbach lernen Frauen nicht nur das Nähen.

Akberet K., Maren Kurth-Zingelmann und Sima H. arbeiten in der ModeKreativWerkstatt der Diakonie der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach |
Akberet K., Maren Kurth-Zingelmann und Sima H. arbeiten in der ModeKreativWerkstatt der Diakonie der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach | Bild: Rolf Oeser

Sima H. setzt feine Nadelstiche in grünen Filz. Unter ihren Händen entsteht der Stengel einer Tulpe, ein Blatt, eine Blüte aus feinem Stoff. Die aus Afghanistan stammende Frau und ihre Kolleginnen aus der ModeKreativWerkstatt des Diakonischen Werkes für Frankfurt und Offenbach sind gerade dabei, Dekorationen für Ostern zu nähen. Eine Frau schlingt kreuz und quer helle Baumwollfäden durch die Zinken einer Gabel, zieht sie heraus und befestigt sie mit ein paar Stichen als Bommel an einem Osterhasen aus gelb-weiß gestreiftem Stoff. Ihre Nachbarin stickt mit schwarzem Garn Mund, Nase und Augen auf das Häschen mit den kleinen Schlappohren. Im Nachbarzimmer surren Nähmaschinen. Maren Kurth-Zingelmann läuft zwischen den Tischen hin und her, gibt Tipps, beantwortet Fragen. Nur ein paar Schritte über den Hof liegt die Boutique Samt & Sonders der Diakonie. Dort stapeln sich fertige Stofftulpen zum Verkauf in Kartons. 202 Stück haben die Näherinnen gefertigt, die meisten der vielen feinen Stiche in Handarbeit. Eine Stunde, schätzt Sima H., dauert es, eine Tulpe zu nähen.

Jeden Morgen sitzen die 25 Näherinnen der ModeKreativWerkstatt und ihre Anleiterin Maren Kurth-Zingelmann gemeinsam in einem Kreis, besprechen, was gut lief, und was nicht. Auch die Preise für ihre Produkte legen sie zusammen fest: „Wir sammeln Vorschläge und dann stimmen wir ab“, sagt Kurth-Zingelmann. Eine Tulpe kostet vier Euro, drei kosten zehn Euro. Ein Häschen ist für drei Euro zu haben, zwei kosten fünf Euro.

Ich habe viel gelernt

Akberet K. arbeitet jetzt bald drei Jahre in der ModeKreativWerkstatt. Sie und die anderen Näherinnen sind in einer Arbeitsgelegenheitsmaßnahme für 1,50 Euro pro Stunde beschäftigt, vermittelt vom Jobcenter Frankfurt, das das Projekt ModeKreativWerkstatt finanziert. Eine Ausbildung hat Akberet K., die aus Eritrea stammt und 2006 nach Deutschland kam, nicht. „Ich habe hier nähen gelernt“, sagt sie stolz, und: „Ich habe viel gelernt, ich danke dafür. Wir haben gute Ideen, um auch Zuhause Sachen herzustellen.“ Sie lächelt Sima H. an: „Wir haben Spaß mit den Kolleginnen, wir halten zusammen und helfen uns.“ Sima H. wurde in Afghanistan zur Schneiderin ausgebildet und fertigte dort Kleidung an. In der ModeKreativWerkstatt arbeitet sie nun an ganz anderen Produkten – Brotkörbchen für den Ostertisch, Eierwärmer in Hasenform, lustige Eiermützchen, Rucksäcke und Kosmetiktäschchen aus Samt und Satin. Seit fünf Jahren lebt Sima H. in Deutschland, seit fünf Monaten arbeitet sie in der ModeKreativWerkstatt. „Mein Mann wohnt in den Niederlanden und ist arbeitslos, wir möchten hier in Frankfurt Arbeit und eine Wohnung finden.“

Viele Frauen würden gerne bis zur Rente bleiben

Die meisten der Frauen in der ModeKreativWerkstatt sind zwischen 50 und 60 Jahre alt, „viele hatten zuvor keine berufliche Identität und haben noch nie in Deutschland gearbeitet“, sagt Susanne Gietz-Shaikh. Die Diplom Sozialpädagogin koordiniert die ModeKreativWerkstatt. Das Jobcenter Frankfurt vermittelt die Arbeitsgelegenheitsmaßnahmen in der Nähwerkstatt zunächst für drei Monate, es ist möglich, sie um neun Monate zu verlängern. Maximal können die Frauen drei Jahre lang an einer Arbeitsgelegenheitsmaßnahme teilnehmen. „Viele würden am liebsten bis zur Rente bei uns bleiben“, sagt Gietz-Shaikh. Der Lohn von 1,50 Euro pro Stunde wird nicht auf den Hartz IV-Satz angerechnet, das heißt, die Frauen verdienen ein Zubrot in Höhe von rund 150 Euro pro Monat. Die meisten Frauen erzogen Kinder, sie haben eher wenige Kontakte. Viele sind körperlich nicht belastbar, so dass Reinigungsarbeiten oder andere Hilfstätigkeiten für sie nicht infrage kommen, erzählt Susanne Gietz-Shaikh. Zu Beginn verbringen alle Frauen zwei Wochen in der Secondhand-Boutique „Samt & Sonders“ der Diakonie. Dort werden ihre Produkte verkauft. Im Laden an der Rohrbachstraße 54 im Nordend werden sie in alle Abläufe eingeführt, von der Spendenannahme über den Verkauf bis hin zur Änderungsannahme von Kleidungsstücken für die ModeKreativWerkstatt.

Pfiffiges im Sinne der Nachhaltigkeit

„Die Frauen lernen alle, dass sie etwas können, ihr Selbstwertgefühl wächst in der Zeit, in der sie hier sind, spürbar“, sagt Maren Kurth-Zingelmann. Die Frau mit den langen Locken war früher selbstständig, produzierte knapp 30 Jahre Kleidung für eine Modeboutique und für Designer, bevor sie vor elf Jahren die ModeKreativWerkstatt mit aufbaute. Sie weiß wie schwer es ist, in der Textilbranche in Deutschland Arbeit zu finden. Nur zwei der Teilnehmerinnen aus den vergangenen Jahren gingen auf weiterführende Schulen, machten fachbezogen eine Ausbildung Richtung Schneiderei und Design. Trotzdem ist Kurth-Zingelmann überzeugt, dass sich ein höheres Selbstwertgefühl, Kenntnisse über Rechte und Pflichten und ein besseres Deutsch positiv auf Bewerbungen auswirken. In der ModeKreativWerkstatt lernen die Frauen auch Körperübungen, die ihnen gut tun: „Wir wissen, was wir tun können, wenn wir Schmerzen haben“, sagt Akberet K.

Dank der großzügigen Materialspenden eines namhaften deutschen Textilunternehmens erhält die ModeKreativWerkstatt regelmäßig hochwertige Stoffe, Garne, Knöpfe, Reißverschlüsse etcetera. „Durch die Stoffspenden können wir auch große Taschen für Kleidung nähen, die wir weitergeben, und so Plastik vermeiden“, sagt Kurth-Zingelmann. Schon seit langem näht die ModeKreativWerkstatt Gemüsebeutel, sie entwickelte einen Strickschwamm, der genauso gut funktioniert wie Spülschwämme mit Plastik und sie stellt Bienenwachstücher her. „An nachhaltigen Produkten hängt mein Herz“, sagt Kurth-Zingelmann. Sie fing schon früh damit an, stieß zunächst auf Skepsis, „aber hier im Nordend ziehen unsere Kundinnen bei dem Thema mit“. Das umweltfreundliche Engagement der ModeKreativWerkstatt wurde kürzlich mit dem Stadtteilpreis zum Thema Nachhaltigkeit des Ortbeirates 3 ausgezeichnet.


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Autorin

Susanne Schmidt-Lüer ist Mitglied der Stabsstelle Kommunikation, Marketing und Fundraising des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und Offenbach. Sie schreibt auch als freie Autorin, vor allem über Sozialpolitik, Kirche, Alter und wirtschaftspolitische Themen.

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