Gott & Glauben

Beten in der Pandemie

Unsere Autorin Silke Kirch über das Beten als eine Möglichkeit, trotz Kontaktsperren Verbindung zu halten – zur Welt und zu anderen.

Silke Kirch ist Journalistin und regelmäßige Autorin des EFO-Magazin. | Foto: Tamara Jung-König
Silke Kirch ist Journalistin und regelmäßige Autorin des EFO-Magazin. | Foto: Tamara Jung-König

Eine der Fragen, die mich 2020 am meisten beschäftigt haben, ist: Was ist eigentlich guter Kontakt, wie kommt er zustande, wovon hängt er ab? Warum stellt er sich manchmal automatisch ein und wie geht er verloren?

Vor der Pandemie hat sich ja so vieles im Alltag beiläufig ergeben, ob privat oder beruflich. Die anderen waren irgendwie einfach da, gewohnheitsmäßig. Jetzt, wo das entfällt, zeigt sich umso deutlicher, dass manche Kontakte ohne Anstrengung gut halten – trotz Distanz –, andere sich kaum noch herstellen lassen, so groß das Bemühen auch ist.

Neulich fand ich einen Textauszug von Marcel Proust; er schreibt, mit den Freuden sei es wie mit den Photographien. Was man in Gegenwart des anderen aufnimmt, sei nur ein Negativ – „man entwickelt es später, bei sich zu Hause, wenn man in die innere Dunkelkammer zurückgefunden hat.“

Ich verstehe das so: Unsere Erinnerungen sind für unsere Beziehungen nicht weniger bedeutsam als die Begegnung selbst. Und ich denke, gerade heute, wo wir so wenig analoge Begegnungen haben, ist es besonders wichtig, die Erinnerungen zu belichten und gut auf die Dunkelkammerprozesse aufzupassen, um die Begegnungen nicht mit falschen Bildern zu belasten. Dazu gehört für mich Beten.

Das mag ja erst einmal merkwürdig erscheinen, denn Beten ist ja gerade eine Hinwendung zu dem, was die Welt und alle Dunkelkammern dieser Welt transzendiert und die Frage aufwirft, was denn in diesem Fall das zu entwickelnde Fotomaterial überhaupt sein kann. Aber gerade das finde ich entscheidend: Das Beten gründet dort, wo der Kontakt alles andere als selbstverständlich ist und Begegnung nicht auf der Hand liegt.

Das Beten ist dann weitaus mehr als ein Bewegen von dem, das mich bewegt, oder eine Transformation des Jammers, den ich haben mag, es ist die Wiederherstellung jener inneren Werkstatt, die mich auch ohne zufriedenstellende Begegnungen mit anderen in einen guten Kontakt bringen kann – eine Art Transmissionsriemen zwischen der Möglichkeit von Anwesenheit und der Wirklichkeit von Anwesenheit, ein Vorgang, der mich in Verbindung hält – denn genau darum geht es: um das Unverfügbare und die Gewissheit der Anwesenheit, trotzdem.

In der Dunkelkammer liegt ein Geheimnis. Was das Fotopapier in der Wanne von der Welt zeigen wird, ist niemals ganz sicher. Und das ist gut so. Anbetungswürdig.


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Dr. Silke Kirch studierte Germanistik, Kunstpädagogik und Psychologie in Frankfurt am Main und ist freie Autorin und Redakteurin.

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