„Das Wichtigste am Hinduismus ist Toleranz“
Herr Aurora, Sie sind für die Vishwa Hindu Parishad im Rat der Religionen, was ist das?
Vishwa Hindu Parishad bedeutet „Internationale Vereinigung der Hindus“, sie ist 1964 in Indien gegründet worden. Hier in Frankfurt haben wir uns 1984 als Verein eingetragen. Ich bin Vizepräsident in Deutschland und dafür da, Antworten zu geben, wenn Leute Fragen an uns haben. Ich selbst lebe schon seit 56 Jahren in Deutschland. Seit zwei Jahren bin ich Ehrenbürger der Stadt Frankfurt, was mich sehr freut.
Ihre Eltern sind wahrscheinlich auch schon Hinduisten gewesen?
Ja, wir sind schon seit vielen Generationen Hinduisten. Ich bin in Gujranwala geboren, einer Stadt, die heute in Pakistan liegt. Nach der Teilung des Landes sind wir 1947 nach Indien umgesiedelt, damals war ich 18 Jahre alt.
Was ist für Sie das Wichtigste an Ihrer Religion?
Da gibt es nur einen einzigen Punkt: Toleranz. Alles kann nebeneinander bestehen.
Wie viele Hinduisten gibt es in Frankfurt?
Hier in Frankfurt sind es ungefähr 5000 Familien und in Deutschland 56.000, überwiegend aus Indien. Die meisten sind gut integriert. Wir sind der Meinung, dass man die Kultur eines Landes, in das man auswandert, akzeptieren muss, egal was man persönlich denkt.
Wo ist der hinduistische Tempel in Frankfurt?
Unser Tempel ist in der Morsestraße in Bockenheim, es ist der älteste in ganz Deutschland. Wir sind ein eingetragener Verein und finanzieren uns über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Inzwischen gibt es aber in den meisten großen Städten hinduistische Tempel, und in Frankfurt außer unserem noch einen afghanisch-hinduistischen Kulturverein und zwei südindische Tempel.
Haben Sie spezielle Wochentage, an denen Sie sich treffen?
Wir treffen uns jeden Sonntag von 11 bis 15 Uhr. Zunächst beten wir in unserem Gebetsraum. Dort stehen Götterstatuen, die wir aus Indien importiert haben. Danach essen wir gemeinsam und reden miteinander. Das Essen kochen die Frauen vor Ort.
Sie essen vegetarisch?
Ja, im Tempel wird nur vegetarisch gekocht. Meine ganze Familie hat nie Fleisch gegessen. Es gibt aber auch Hindus, die Fleisch essen, allerdings nur wenige. Das vegetarische Essen hat bei uns eher gesundheitliche Gründe als religiöse, auch wenn manche Leute das denken, weil im Buddhismus Fleisch Essen verboten ist. Das oberste Prinzip des Buddhismus lautet ja: Du darfst nicht töten, nicht mal eine kleine Mücke. Auch wenn im heutigen Buddhismus viele Fleisch essen, zum Beispiel in China. Hindus sind aber normalerweise Vegetarier. Man kann ja ohne Fleisch sehr gut leben.
Vor allem die Kühe gelten als heilige Tiere, oder?
Ja, aber auch das hat keine religiösen Gründe, sondern praktische. In Indien wird die Kuh heilig gehalten, weil Kühe so wertvoll sind. Woher würden die Menschen denn Milch und Butter bekommen, wenn sie die Kühe töten würden? Gesundheit ist wichtig. Ich praktiziere auch Yoga, ich habe ein Diplom. Aber die vielen Yoga-Schulen, die es hier in Deutschland gibt, machen gar kein richtiges Yoga. Das sind nur gymnastische Übungen.
Wodurch unterscheidet sich denn das echte Yoga?
Yoga hat vor allem mit Atmen zu tun, das heißt Pranayama. Mit Yoga kann man jede Krankheit heilen. Wenn man Fleisch isst oder raucht oder Alkohol trinkt, kann man aber kein Yoga machen. Es ist etwas Innerliches, nicht nur eine Art von Fitness. Aber ich habe Yoga auch erst als Erwachsener kennengelernt, es ist nicht so, dass man das in hinduistischen Familien automatisch praktiziert.
Wie viele Menschen kommen ungefähr an den Sonntagen zu den Feiern in Ihren Tempel?
So fünfzig bis hundert Personen an normalen Sonntagen, bei besonderen Festen sind es 800 bis 1000 Leute. Dafür mieten wir dann einen großen Saal.
Haben Sie einen Priester?
Nein, wir machen alles selbst. Wir haben uns irgendwann entschieden, keinen festen Priester zu holen. Für die Religionsausübung ist es nicht notwendig, dass ein Priester dabei ist. Bei einer hohen Zeremonie bitten wir oft einen der Priester aus den anderen Tempeln, zu uns zu kommen. Manchmal kommen auch Priester aus Indien zu Vortragsreisen nach Deutschland, und dann laden wir sie ein, bei uns zu sprechen oder unsere religiösen Fragen zu beantworten.
Wie ist es denn in Ihrer Religion mit dem Verhältnis von Frauen und Männern, gibt es auch Priesterinnen?
Ja, viele!
Kann man in den Hinduismus eintreten? Was müsste ich tun, um Hinduistin zu werden?
Sie müssten das mit einem Priester besprechen, aber ein festes Ritual, ein formales Verfahren gibt es dafür nicht.
Was unterscheidet den Hinduismus aus Ihrer Sicht besonders von anderen Religionen?
Vor allem, dass wir frei sind in dem, was wir glauben. Es gibt keine festen Dogmen und Regeln. Wir haben ja auch viele verschiedene Gottheiten, das sind lauter unterschiedliche Inkarnationen Gottes. Ob man nun zu diesem oder jenem betet, ist der Freiheit der einzelnen überlassen.
Wie viele Gottheiten gibt es denn insgesamt?
Das kann man so nicht sagen. Es werden meistens drei Hauptgötter verehrt: Brahma, der Schöpfer, Vishna, der Bewahrer, und Shiva, der verzehrende Gott. Und dann gibt es noch viele andere, zum Beispiel Lakshmi, die Göttin des Reichtums. Sie ist eine von denen, für die wir Diwali, das Lichterfest, feiern, immer im Oktober oder November. Nicht nur der Tempel, auch die Häuser und Wohnungen werden dann geschmückt und beleuchtet, denn wir wollen ja, dass Lakhsmi zu uns nach Hause kommt, jeder braucht ja Geld. Insgesamt haben wir vier große Feste im Jahr.
Die einzelnen Gottheiten haben also verschiedene Aufgaben?
Ja. Eine wichtige Göttin ist auch Durga, an die wendet man sich bei Alltagsproblemen. Meine inzwischen verstorbene Frau, eine Deutsche, hat Durga sogar drei Mal im Traum gesehen. Einmal wurde ein Container mit Lebensmitteln, die ich importieren wollte, im Zollamt festgehalten. Da hat meine Frau Durga gefragt, was wir jetzt tun sollen. Am nächsten Tag war beim Zoll nicht dieser erste Beamte da, sondern eine andere, eine Frau, eine Zollbeamtin, und die hat den Container sofort freigegeben. Das war eine Inkarnation von Durga. Sie kommt in verschiedenen Formen, um zu helfen. Das können auch Kleinigkeiten sein, zum Beispiel, wenn ich meinen Schlüssel nicht finde. Aber das geht nur, wenn Sie Glauben haben. Wenn Sie glauben, dass Gott da ist, ist er da. Wenn nicht, dann nicht.
Glauben Sie, dass Gott auch in nicht-hinduistischen Göttern in die Welt kommen kann?
Ja, klar. Gott ist nur eins, aber die Glauben der Menschen sind viele. Gandhi hat das auch gelehrt, als er gesagt hat, Allah und Krishna sind gleich. Alle Religionen beschäftigen sich mit Gott.
Wie leben Sie die Religion?
Ich bete jeden Morgen nach dem Duschen so zwanzig Minuten, und erst danach gibt es Frühstück. Dasselbe auch am Abend vor dem Schlafengehen. Ich habe zuhause auch einen kleinen Tempel eingerichtet, in einem Zimmer mit Statuen von Gottheiten. Vor allem von Durga, weil das die Göttin ist, die meiner Frau erschienen ist.
In die Kritik gerät der Hinduismus häufig wegen dem Kastensystem.
Das ist jetzt in Indien ja schon lange verboten. Ursprünglich war es eine Unterscheidung nach vier verschiedenen Klassen: Die Lehrenden, die Geschäftsleute, dann die niedrigste Klasse, das wären hier vielleicht die Leute, die sauber machen, und dann die Krieger. Früher waren die Hindus auf diese Weise nach Tätigkeitsbereichen aufgeteilt. Ich gehöre zum Beispiel zu den Geschäftsleuten. Aber das gilt heute nicht mehr, jedenfalls in den Städten. In den Dörfern hält sich manchmal noch diese Tradition.
Haben Sie heilige Schriften?
Die Bagavadgita. Das sind alte Texte auf Sanskrit. Die theologische Ausbildung besteht hauptsächlich darin, Sanskrit zu studieren. Ich kann die gesamte Bagavadgita auswendig, das war Bestandteil der Prüfung. Das können aber natürlich nicht alle Hindus, nur so etwa zehn Prozent.
Haben Sie eine Lieblingsstelle aus der Bagavadgita?
Ja, und zwar die Zusage Gottes: „Immer, wenn es zu viele Probleme in der Welt gibt, wenn zu viel Unsinniges geschieht, dann nehme ich eine Form an, eine Inkarnation, und helfe, die Probleme zu lösen und alles wieder klar zu machen.“