Gott & Glauben

Diakonissen: Ein Leben für Gott und die Nächsten

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Diakonissen sind evangelische Frauen der Tat. Sie sind ehelos, leben zusammen in sogenannten Mutterhäusern und arbeiten meist in Sozial- und Pflegeberufen. In Frankfurt gibt es sie seit 150 Jahren – aber die Tage dieser Lebensform sind gezählt. Von Dieter Schneberger.

Das Frankfurter Diakonissenhaus im Holzhausenviertel feiert in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen. Der 8. Juni 1870 gilt als offizieller Geburtstag des Hauses im Nordend, denn an diesem Tag wurde Marie Breitling als erste Oberin eingeführt und damit die Schwesternschaft selbstständig. Vier Jahre später bezogen die Schwestern an der Eschersheimer Landstraße 122 ein Mutterhaus mit Krankenhaus und Kapelle, 1897 wurde die Diakonissenkirche in Betrieb genommen.

In der Folgezeit entstanden auf dem Gelände Altenheime, Kindergarten, Hort und Ausbildungsstätten für Krankenpflege und Sozialpädagogik, eine Paramentenwerkstatt und eine Hostienbereitung. Viele Schwestern arbeiteten in der Gemeindekrankenpflege, in Kindergärten und Frauen- und Jugendgruppen, sowie im Erziehungsheim Elisabethenhof in Marburg.

In der NS-Zeit schlossen sich die beiden Diakonissenhauspfarrer Karl Christian Hofmann und Karl Goebels der Bekennenden Kirche an. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Kirche und mehrere Gebäude zerstört. Nach der Beschlagnahme ihres Mutterhauses durch die US-amerikanische Besatzungsmacht am 30. April 1945, fanden die Diakonissen in der Villa Manskopf am Oberforsthaus in Frankfurt-Sachsenhausen ein Ausweichquartier. Dort kam im August 1945 der Reichsbruderrat der Bekennenden Kirche zusammen, um über die Zukunft des Protestantismus in Deutschland zu beraten.

Nach der Rückkehr ins Nordend 1955 mussten die Diakonissen ihre Gottesdienste in einer Militärbaracke feiern, die als Notkirche hergerichtet war. Nach und nach entstanden verschiedene Bauten wie die neue Kirche und das mehrfach erweiterte Krankenhaus. Eine weitere Zäsur ereignete sich 2007, als die Diakonissen einen Teil des rund 8.000 Quadratmeter großen Areals verkauften. Dort entstanden Miet- und Eigentumswohnungen, eine Kindertagesstätte mit Krabbelgruppe sowie zwei Tiefgaragen. 2016 wurde das Gelände des Krankenhauses veräußert. Das Haus wurde abgerissen und anschließend neu mit Wohnungen bebaut.

Die Feiern zum hundertsten Jubiläum begannen bereits im vergangenen Dezember mit einem großen Gottesdienst und einem Empfang. „Den zum Abschluss geplanten Festakt mit 300 bis 400 Gästen im Juni mussten wir wegen der Corona-Pandemie leider absagen“, sagt die Oberin, Schwester Heidi Steinmetz. Zur Schwesterngemeinschaft gehören heute neben Schwester Heidi nur noch 16 weitere Frauen im Alter zwischen 76 und 93 Jahren, elf von ihnen leben im Mutterhaus, einer umgebauten Jugendstilvilla, und sechs im nahe gelegenen Altenpflegeheim „Nellinistift“, das von der Inneren Mission betrieben wird. Bei ihrem Amtsantritt vor 18 Jahren seien es noch 70 Schwestern gewesen, erinnert sich die Oberin mit einem Anflug von Wehmut.

Unverheiratet, keine eigenen Kinder, ein Leben für Kirche und Diakonie, mit dunkelblauer Tracht und weißem Häubchen – das sei heutzutage nicht mehr gefragt. Deshalb habe die Schwesterngemeinschaft vor etwa drei Jahren beschlossen, keine Frau mehr aufzunehmen. Sie selbst sei bereits 1983 eingetreten und habe in dieser Glaubens-, Lebens- und Dienstgemeinschaft die Erfüllung gefunden, betont die 60-jährige Erzieherin und Diplom-Pädagogin. Eine eigene Familie habe sie nie vermisst, „meine Familie sind die Schwestern!“

Kaum jemand hat die Frankfurter Schwesternschaft so geprägt wie die 89-jährige Hanna Lachenmann. Die in Stuttgart geborene Pfarrerstochter trat 1950, im zarten Alter von 20 Jahren, ins Frankfurter Diakonissenhaus ein. „Damals gab es noch mehr als 200 Diakonissen“, erinnert sich die frühere stellvertretende Oberin. Angelockt habe evangelische Frauen in der Nachkriegszeit das spirituelle Leben sowie das Angebot, einen Beruf erlernen zu können und als ledige Frau soziale Sicherheit zu erfahren.

Sie selbst habe nach einem Praktikum in der Marburger Elisabethenschule für sozial schwache Mädchen eine sozialpädagogische Ausbildung absolviert und anschließend an den von den Diakonissen betriebenen Ausbildungsstätten für soziale und pflegerische Berufe unterrichtet, erzählt Schwester Hanna. Ihre Fächer waren Deutsch, Soziologie und Politik. Das Leben in der Frauengemeinschaft, ihre Berufstätigkeit sowie ihre Zeit als Chorleiterin bezeichnet sie als „großes Glück“. Sie habe es geliebt, mit jungen Menschen zu arbeiten und ihnen „die Welt zu öffnen“. Und auch im Ruhestand, im sogenannten „Feierabend“, pflege sie die Kontakte zu den Schwesternschaften in Deutschland und in anderen Ländern. „Das alles macht unser Leben weit!“

Zum Frankfurter Diakonissenhaus gehören das Mutterhaus mit Verwaltung und Empfang, ein Tagungshaus mit Gästezimmern, Festsaal, Andachtsraum und Café sowie die große, 1959 errichtete Kirche. Das Diakonissenhaus ist ein Verein alten Rechts, Oberin Steinmetz ist zugleich die Vorstandsvorsitzende. Die beiden Pfarrer Alexander Liermann und Jeffrey Myers sind als Theologen, Seelsorger und Hauptliturgen tätig, hinzu kommen rund 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung, der Küche und im Service. Die Einnahmen kommen nach den Worten der Oberin aus dem Tagungs- und Beherbergungsbetrieb, aus Spenden, Vermögen und den Alterseinkünften der Schwestern, die alle voll berufstätig waren.

Pfarrer Liermann arbeitet seit 1. Dezember 2019 mit halber Stelle im Diakonissenhaus. Er organisiert und gestaltet zusammen mit seinem Kollegen Myers die Gottesdienste und Andachten in der Diakonissenkirche mit ihrer anspruchsvollen lutherischen Liturgie. Zuständig sei er auch für die Seelsorge an den Schwestern und Mitarbeitern des Diakonissenhauses, sagt Liermann. Zusammen mit der Oberin vertrete er zudem das Haus nach außen und arbeite mit ihr an einem Zukunftskonzept.

Das 2007 von dem damaligen theologischen Vorstand Bernd Laukel ausgegebene Ziel, das Diakonissenhaus zu einer „Begegnungsstätte im urbanen Umfeld des Holzhausenviertels“ zu entwickeln und dorthin zu „mitmenschlichem Leben mit klarem diakonischen Profil einzuladen“, ist nach Ansicht von Pfarrer Liermann noch nicht erreicht. Zu den Gottesdiensten kämen nur etwa fünf bis zehn Besucher*innen von außerhalb. Deswegen wolle er nach und nach neue Begegnungsmöglichkeiten eröffnen, etwa durch ein Kirchencafé. Als Vorbild könne das einmal im Monat veranstaltete „Waffelcafé“ dienen, das jeweils rund 30 Menschen aus dem Viertel anlocke.

Auch Jeffrey Myers steht mit seinen Pilgerangeboten für die angestrebte Öffnung des Diakonissenhauses. So hat der ehemalige Frankfurter und Wiesbadener Stadtkirchenpfarrer jüngst damit begonnen, in der Diakonissenkirche eine Pilgerecke, „eine Art Raststätte beziehungsweise Meditationsecke für Pilger und andere Ruhesuchende“, einzurichten. „Denn durch das Holzhausenviertel führen mehrere Pilgerwege, etwa der Jakobs-, der Luther- und der Elisabethweg“ sagt Myers. Außerdem veranstalte er selbst Pilgertage.


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