Gott & Glauben

„Die Sonne geht immer wieder auf“

Martin Vorländer, Pfarrer und Rundfunkbeauftragter für den hr, macht jeden Morgen ganz früh eine Runde im Freien. Ursprünglich mit seinem Hund, der englischen Setterdame Frau Ginger. Nun ist sie vor kurzem gestorben. Trotzdem wird er früh wach und zieht los. Als Sonnenaufgangsreporter begleitet er mit einem täglichen Video-Podcast eine wachsende Fangemeinde durch die Verwirrungen der Pandemie.

Martin Vorländer in seinem Morgenpodcast – hier vor einigen Tagen, als er die Frankfurter Grüne Soße vorstellt.
Martin Vorländer in seinem Morgenpodcast – hier vor einigen Tagen, als er die Frankfurter Grüne Soße vorstellt.

Herr Vorländer, waren Sie heute früh schon draußen?

Natürlich, wie immer zum Sonnenaufgang. Wir hatten ein fantastisches Morgenlicht, das kann ich Ihnen versichern, auch wenn es nur von kurzer Dauer war. Dann kamen wieder die Wolken.


Seit Beginn der Pandemie filmen Sie jeden Morgen die aufgehende Sonne, Ihr Podcast „Der Sonnenaufgang, Frau Ginger und ich“ begleitet viele Menschen durch die Corona-Zeit. Wie kamen Sie auf die Idee?

Die kam ganz spontan, am 23. März letzten Jahres, dem ersten Lockdown-Montag. Ich war mit Frau Ginger gegen sechs Uhr früh auf unserer Hunderunde – und dann kam die Sonne. Das hat mir in diesem Moment sehr geholfen.


Egal, was das Virus macht, den Sonnenaufgang kann es nicht verhindern.

So ist es. Man sieht die Sonne nicht immer, manchmal ist der Himmel grau und voller Wolken. Aber sie ist immer da. Jeden Morgen kommt ein neuer Tag.


Zum Sonnenaufgang kommt ein Gedanke, ein Gedicht, ein Kirchenlied, Song oder Chanson – immer etwas, das tröstet, stärkt, erheitert, unterhält. Warum sind solche Rituale derzeit so wichtig?

Besonders in der Zeit des ersten Lockdowns fühlten sich die Menschen seelisch angeraut. Mir ging das auch so. Irgendwann habe ich deshalb angefangen, in meinem Podcast zu singen. Da bekam ich viele begeisterte Kommentare. Die Leute schreiben mir, dass sie mitsingen. Ich finde das einen schönen Gedanken. So bilden wir eine Gemeinschaft über Zeit und Raum.


Waren Sie von der Resonanz überrascht?

Sehr. Ich hatte davor mit den sozialen Medien nicht viel zu tun. Es hat mich berührt, wie im digitalen Raum ein Gemeinschaftsgefühl entsteht. Gott kommt mir in diesen Momenten sehr nah. Der Heilige Geist ist mir im vergangenen Jahr besonders wichtig geworden. Gottes Geistkraft verbindet, auch über Abstand hinweg. Das habe ich nie so intensiv gespürt wie jetzt, in der Pandemie.


Vor einigen Wochen ist in ihrem Leben etwas sehr Trauriges passiert. Frau Ginger ist gestorben, sie wurde 14 Jahre. Ihren Schmerz und Ihre Trauer haben Sie auch im Podcast gezeigt, den sie weitergeführt haben. Viele Menschen haben über Facebook ihre Anteilnahme gezeigt. Hilft Ihnen das ein wenig durch diese Tage?

Ja, sehr. Ich habe erst einmal ein paar Tage mit dem Sonnenaufgangs-Podcast ausgesetzt, aber dann weitergemacht. Ich habe den Sonnenaufgang vermisst und die Natur jeden Morgen. Frau Ginger ist zwar nicht mehr an meiner Seite, aber natürlich ist sie trotzdem immer dabei, in meinen Gedanken. Ich habe manchmal diese typischen Phantomschmerzen, das kennen, glaube ich, alle Trauernden. Plötzlich ist da dieses Gefühl, dass sie da ist und herumschnüffelt, wenn ich mich nur herumdrehen würde. Sie hat mehr als ein Jahrzehnt mit meinem Mann und mir gelebt. Es hilft, Menschen von ihr zu erzählen und mit anderen über Trauer zu sprechen. Und Arbeit, die hilft natürlich auch. Jede und jeder trauert auf eigene Weise.


Wir alle hoffen, dass die Pandemie bald eingedämmt ist, wenn immer mehr Menschen geimpft sind. Wollen Sie dann trotzdem weitermachen? Viele Menschen würden sich darüber wahrscheinlich sehr freuen...

Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Wobei man sagen muss, dass die Idee ja direkt mit Corona verknüpft ist. Wir holen raus und teilen, was wir in unseren inneren Vorratskammern an Hoffnung haben, wie die Maus Frederick in der berühmten Geschichte von Leo Lionni. Wir brauchen Lieder, Geschichten, Farben, die wir in Zeiten wie diesen hervorholen können. Dazu möchte ich beitragen. Alles andere wird sich zeigen.


Martin Vorländer, Jahrgang 1972, ist Pfarrer und arbeitet als Rundfunkbeauftragter für den hr im Medienhaus der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Davor war er vier Jahre Gemeindepfarrer an der Dreikönigskirche in Frankfurt-Sachsenhausen. Den Podcast „Der Sonnenaufgang, Frau Ginger und ich“ gibt es auf YouTube zu sehen, auf der Facebookseite und dem Instagram-Kanal von Martin Vorländer sowie auf www.kirche-im-hr.de.


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Anne Lemhöfer 144 Artikel

Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de

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