Gott & Glauben

„Es wird nie wieder normal“

Vor einem Jahr starb ein Achtjähriger am Frankfurter Hauptbahnhof, weil er vor einen Zug gestoßen wurde. Was kann der christliche Glaube in so einer Situation beitragen? Fragen an Propst Oliver Albrecht, der die Angehörigen begleitet hat.

Propst Oliver Albrecht. Foto: Rolf Oeser
Propst Oliver Albrecht. Foto: Rolf Oeser

Herr Albrecht, wir alle erinnern uns noch an das Unglück im Frankfurter Hauptbahnhof vor einem Jahr, bei dem ein Achtjähriger starb. Kann es bei solchen Schicksalsschlägen Trost für die Hinterbliebenen geben?

Trost gerät schnell zu Vertröstung. Denn es gibt Dinge, die sind so schrecklich, dass sie keiner auch nur ahnungsweise verstehen kann, der sie nicht selbst erlebt hat. Trost nach christlichem Verständnis heißt deshalb nicht: viele Worte machen, im Gegenteil. Die Tröster in der Bibel sind einfach da, hören zu, laufen nicht weg. Und ganz wichtig: Wir sollen das mit langem Atem tun. Für den, der Schreckliches erlebt hat, wird das Leben nie wieder normal. Dann ist es verletzend, wenn die anderen wieder „zur Tagesordnung“ übergehen. Am Anfang ist die Aufmerksamkeit fast zu groß. Es ist aber enorm wichtig, einen langen Weg mitzugehen.

Der Täter ist vom Gericht als nicht schuldfähig eingestuft worden. Er muss dauerhaft in die Psychiatrie. Hat er nicht Schuld auf sich geladen?

Der Täter hat Schuld auf sich geladen, das Gericht hat aber geurteilt, dass er aufgrund seiner Erkrankung nicht fähig ist, dies zu erkennen. Schuldunfähig heißt eben gerade nicht unschuldig! Die dauerhafte (!) Unterbringung in einer Klinik kann vielleicht die Chance bringen, an den Kern des Problems, eben diese Krankheit, zu gelangen. 15 Jahre in einer Justizvollzugsanstalt hätten diese Chance nicht gebracht. Manche sagen: Schuldunfähigkeit, das klingt nach einer Ausrede. Aber das Gegenteil ist richtig; dieses Urteil ist die klarere und konsequentere Lösung.

Christlicher Glaube verlangt Vergebung, und doch wollen wir, dass eine Tat gesühnt wird. Wie passt das zusammen?

Es wird uns nicht gelingen, die Verletzungen und die unfassbaren Verluste, die wir erleiden, irgendwie wieder gut zu machen. Auch keine Sühne und Strafe kann das bringen. Manchmal bindet und fixiert uns das nur noch mehr an den Schrecken der Tat. Wir kommen nicht davon los. Das tut uns nicht gut. Ein christlicher Gedanke, der helfen kann, ist: Wir geben den Täter in Gottes Hände, wir lassen ihn gehen aus unserem Leben. Gottes Gerechtigkeit übersteigt unsere Möglichkeiten in jeder Hinsicht. Gott vergisst niemals das Leid und die Tränen der Opfer. Es passiert ja unvorstellbar Grausames auf dieser Erde, das kommt hier nie vor ein Gericht. Das Jüngste Gericht ist für mich persönlich der stärkste Grund, an Gott zu glauben. Gott sieht aber auch noch einmal den Täter anders. Gott ist auch bei seiner Familie, unvorstellbar, wie es denen gerade geht. Und Gott ist bei dem Täter. Das übersteigt unsere Vorstellung, aber bei Gott ist er gut aufgehoben.


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Autor

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt und Offenbach". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.