Gott & Glauben

Die Kanzel in der Kirche: Wozu ist sie da und braucht man sie heute noch?

Dass es in der Kirche eine Kanzel gibt, haben die Predigerorden im Mittelalter eingeführt. In Zeiten ohne Mikrofon waren Kanzeln wichtig, damit man den Prediger gut sehen und verstehen konnte. Heute, in Zeiten elektronischer Verstärker und egalitärer Gemeindevorstellungen, haben sie so einiges an ihrer Beliebtheit eingebüßt.

Die Kirche in Nieder-Erlenbach mit ihrer besonders ausgeschmückten Kanzel. | Foto: Rui Camilo
Die Kirche in Nieder-Erlenbach mit ihrer besonders ausgeschmückten Kanzel. | Foto: Rui Camilo

Eine Kanzel ist ein erhöhtes und meist künstlerisch ausgestaltetes Rednerpult in einem Kirchengebäude, von dem aus die Predigt gehalten wird. Manche sagen daher auch „Predigtstuhl” dazu. Das Prinzip ist von Rednerinnen auf Straßen und Plätzen her bekannt: etwas erhöht und mit einer Mauer im Rücken kommen ihre Botschaften bei den Zuhörenden zumindest akustisch gut an. Jesus etwa stand bei seiner Bergpredigt an einem Hang.

In erster Linie hat die Kanzel also eine Funktion, die vor allem in Zeiten wichtig war, als es noch keine Mikrofone gab. Die Position der sprechenden Person etwa auf halber Raumhöhe in Verbindung mit dem sogenannten Schalldeckel über ihr und einer Wand hinter ihr ermöglicht ohne technische Hilfsmittel eine gute Verständlichkeit. Außerdem ist sie dann auch gut im gesamten Kirchenraum sichtbar, auch von der Empore her. Dies gilt umso mehr, wenn die Kanzel direkt im Kirchenschiff nahe bei oder sogar inmitten der versammelten Gemeinde positioniert ist.

Der Prototyp einer Kanzel im gottesdienstlichen Gebrauch ist die des biblischen Esra (Nehemia 8): Als er in einer Versammlung auf einem großen Platz die Tora verliest, steht er auf einem hölzernen Podest, das mit einer Brüstung umgeben ist. Entsprechend bedeutet das lateinische Wort „cancelli” Gitter oder Schranken.

Einzug in die Kirchengebäude hielt die Kanzel übrigens erst im Mittelalter. So genannte „Predigerorden“ – Dominikaner und Prämonstratenser zum Beispiel – hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die Gläubigen vor den Irrlehren der Zeit zu warnen und sie im christlichen Glauben zu bestärken. Sie zogen mit tragbaren Holzgestellen, die man variabel aufstellen konnte, aus dem öffentlichen Raum in die Kirchen hinein.

Das war offenbar so überzeugend, dass sich die Kanzel zum festen Inventar entwickelte und einen eigenen und besonderen Ort im Kirchengebäude bildete, der auch unabhängig von der Messe bei Gemeindeversammlungen bespielt wurde. Der Prediger fand hier jenseits der liturgischen Strenge am Altar eine Bühne für rhetorische Überzeugungskraft, die ihm half, die Gemeinde „in den Griff” zu kriegen.

In der Reformation wurde die Kanzel dann geradezu zum Markenzeichen des Protestantismus. Die Predigt gewann im Gottesdienst an Bedeutung und wurde zu dessen Mitte: Hier wurde der Gemeinde die neue Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnade entfaltet und das Evangelium so buchstabiert, dass es auch im Alltag gelebt werden konnte.

In der lutherischen Tradition entwickelte sich dann auch der „Kanzelaltar”. Das bedeutet, dass die Kanzel direkt über dem Altar eingebaut ist, um auch optisch die Gleichrangigkeit von Sakrament und Predigt anzuzeigen. Aber auch die Positionierung in der Gemeinde hat gute theologische Gründe: Gottes Wort kommt mitten unter den Menschen zur Sprache.

Als „Hingucker” war die Kanzel in ihrer künstlerischen Gestaltung ebenso wie der Altar christlich aufgeladen: Die Evangelisten wurden darauf oft als Leitfiguren abgebildet zusammen mit dem Apostel Paulus, biblische Schlüsselszenen vergegenwärtigten Schwerpunkte christlichen Glaubens, und der ein für allemal errungene Sieg des Christus über die bösen Mächte sowie die Gegenwart des Heiligen Geistes gaben einen fixen Bildrahmen ab für die immer wieder neue mündliche Verkündigung.

Die konnte sich übrigens über eine Stunde hinziehen: In vielen Kirchen zeigte eine Predigtuhr dem Pfarrer an, wie viel er noch zu sprechen hatte – und der Gemeinde, wie lang es noch dauerte. Die biblischen Ornamente wollten dabei nicht zuletzt den Prediger selbst im Zaume halten: Er soll nur die Erhabenheit des Wortes Gottes zur Sprache bringen und nicht seine eigene, der Gemeinde nur die Macht Gottes aufzeigen und ihr nicht die eigene aufdrücken.

Bedenkt man die bescheidenen Bildungsmöglichkeiten in früheren Jahrhunderten, und dass in kleineren Ortschaften Lehrer und Pfarrer die einzigen „Gebildeten” gewesen sind, so ist die Kanzel neben dem Schulhaus ein echter Bildungsort für das Volk gewesen. Dass dabei mitunter auch „von oben herab” geredet und sogar „abgekanzelt” wurde, kann natürlich nicht verschwiegen werden und hat zum schlechten Image einer Predigt als „Hörstunde” beigetragen.

Auch andere Gründe haben dazu geführt, dass die Kanzel an Bedeutung verloren hat. Die römisch-katholische Kirche hat sich im Zweiten Vatikanischen Konzil dafür ausgesprochen, der Predigt keinen „Nebenschauplatz” innerhalb der Messe mehr zu lassen, sondern sie auch visuell in das Geschehen am Altar einzubinden. In katholischen Kirchen bleibt die Kanzel seitdem, wenn es noch eine gibt, in der Regel leer, und allein der „Ambo“, ein mehr oder weniger künstlerisch gestaltetes Pult im Altarraum, tritt an ihre Stelle.

Im protestantischen Bereich gibt es dazu keine Vorgabe, aber in manchen kleinen Gottesdienst-Gemeinden mögen Kanzeln gefühlt mehr Abstand schaffen als ein Pult, und das Selbstbewusstsein der Predigerin oder des Predigers ist ein anderes, als gleichsam über der Gemeinde zu schweben. Darüber hinaus ist in jüngeren Kirchen die Kanzel aus pragmatischen Gründen meist nur in Form eines Pultes ausgeführt. Ohnehin machen die modernen Möglichkeiten der elektronischen Verstärkung eine erhöhte Kanzel mit Schalldeckel funktional entbehrlich.

Sogar die Predigt selbst steht für viele als Mitte des Gottesdienstes in Frage. Einmal, weil in Zeiten von Twitter und moderner Präsentationstechnik gerade für Jüngere eine zwanzigminütige theologische Rede wie aus der Zeit gefallen wirkt. Aber auch, weil eine Predigt wesentlich vom biblischen Text her gestrickt ist, während die Teilnehmenden primär von ihren unterschiedlichen Fragen und Interessen gelenkt sind. Dies führt zu einem klassischen Kommunikationsproblem, zumal die Predigt als Monolog nicht die Menschen anspricht, die auch ihre eigenen Erfahrungen und Einsichten aktiv einbringen und diskutieren möchten.


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Wilfried Steller 51 Artikel

Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt und Offenbach" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.

1 Kommentar

8. Februar 2020 18:05 Lothar Berger

Lieber Herr Steller, Ihr Artikel über die Kanzel hat mir gefallen. Ich gehe auch fast nicht mehr hoch, denn von dort oben sehe ich meine beständigsten Godibesucher, die auch an "normalen" Godis kommen, gar nicht, von den anderen Massen schweige ich jetzt lieber, aber über die Massen, die an "Graubrotgottesdiensten" kommen, war ja auch ein Artikel in der Zeitung. Aber ich habe Durch Ihren Artikel eine Idee bekommen: Wenn die Kirche mal wieder voller wird, zerre ich die ersten beiden Reihen auf jeder Seite raus ( ich habe eine Querkirche) oder ich belege sie mit Stoffpuppen, damit ich meine Konfis trotzdem sehen kann. Herzliche Grüße aus Rodheim! Lothar Berger

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