Gott & Glauben

Und wenn Jesus das Kreuz überlebt hätte?

Der Frankfurter Historiker Johannes Fried hat in seinem aktuellen Buch „Kein Tod auf Golgatha“ eine steile These aufgestellt: Jesus habe die Kreuzigung überlebt, seine angebliche „Auferstehung“ wäre nicht mehr als Fake News. Mal angenommen, das würde stimmen – müsste sich das Christentum dann abschaffen? Keineswegs!

Jesus steigt aus dem Grab - hat er die Kreuzigung überlebt? Darstellung im Kirchenfenster in der Jakobskirche am Kirchplatz in Bockenheim. Foto: Rui Camilo
Jesus steigt aus dem Grab - hat er die Kreuzigung überlebt? Darstellung im Kirchenfenster in der Jakobskirche am Kirchplatz in Bockenheim. Foto: Rui Camilo

Vorneweg: Man weiß nicht, was vor 2000 Jahren in Jerusalem passiert ist. Die Suche nach dem „historischen Jesus“ ist vergeblich, die Datenlage schlicht zu dünn. Das weiß natürlich auch der Autor der steilen These. Johannes Fried, heute 76 Jahre alt und emeritiert, war Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Uni Frankfurt und leitete zeitweise den Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschland. Auch der Verlag - C.H. Beck - ist renommiert. Grund genug, das Ganze nicht gleich als Spinnerei abzutun, sondern sich auf den Gedankengang einzulassen.

Sein Argument geht so: Ein Mensch, der am Kreuz hängt und gebrochene Rippen und innere Verletzungen hat, kann ohnmächtig werden, weil die Lunge die verbrauchte Luft nicht mehr aus dem Körper hinausatmen kann. Es droht dann ein Erstickungstod. Aber bei Jesus hat – laut Johannesevangelium – einer der römischen Soldaten einen Speer in die Seite gestochen, und Blut und Wasser kamen heraus. Das könnte dazu geführt haben, dass er wieder atmen konnte und überlebte. Daher das leere Grab, daher die vereinzelten Begegnungen in den folgenden Tagen.

Dass die damaligen Anhängerinnen und Anhänger von Jesus dieses Überleben nicht an die große Glocke hängten, führt Fried auf die Verfolgung durch die Römer zurück. Nur wenige wären eingeweiht gewesen, und vielleicht ist auch die Geschichte von der wundersamen Auferstehung von den Toten nur erfunden worden, um die Verfolger auf eine falsche Fährte zu führen. Jesus habe dann Jerusalem verlassen, sei vielleicht nach Syrien oder Ägypten gegangen und habe seine ethische Lehre innerhalb der dortigen jüdischen Gemeinden und Gemeinschaften verbreitet und sei irgendwann eines natürlichen Todes gestorben. Inzwischen habe Paulus die Geschichte von der Auferstehung erfunden und eine neue Religion daraus gemacht.

Man kann das natürlich als wilde Spekulation abtun, das Interessante ist aber, dass die Idee, Jesus sei nicht den Kreuzestod gestorben, nicht nur in manchen jüdischen Gruppen, sondern auch im Islam eine Tradition gefunden hat. Zwar gibt es in den muslimischen Auslegungen nicht die Theorie von der punktierten Lunge, aber etwa die Vorstellung, Jesus sei nur zum Schein gekreuzigt worden (und sein Tod nur eine Illusion der Beobachter gewesen), oder die Römer hätten jemand anderes, der nur so ähnlich aussah, hingerichtet.

Da man eh nichts beweisen kann, weder dass es so noch dass es anders gewesen ist, dreht sich die eigentlich interessante Frage nicht darum, was damals "wirklich passiert" ist. Sondern darum, was es bedeuten würde.

Für Judentum und Islam geht es darum, zu zeigen, dass Jesus zwar ein wichtiger Mensch war, aber eben nicht Gott. Wenn Jesus nicht gestorben ist, ist seine Auferstehung nichts Übernatürliches. Genau aus diesem Grund ist sie für die Christinnen und Christen wichtig: Hätte eine Auferstehung von den Toten stattgefunden, wäre sie ein starkes Indiz dafür, dass Jesus nicht nur ein Mensch war, sondern tatsächlich der Erlöser der Welt.

Die Auferstehung ist also sozusagen nur über Bande wichtig: Eigentlich geht es nämlich nicht um die Auferstehung, sondern um Jesu Botschaft vom Reich Gottes. Jesus sprach von der Liebe unter den Menschen, von der Gerechtigkeit, von Gottes Macht, die größer und stärker ist alle Machthaber dieser Welt. Wenn die Menschen so leben, wie es Jesus lehrt, das war der Glaube seiner Anhängerinnen und Anhänger, dann wird die Welt gut und das Böse hat keine Chance mehr gegen uns.

Diese Hoffnung hatte mit der Kreuzigung einen starken Dämpfer erfahren: Von wegen Erlösung, der Erlöser selbst wird kläglich hingerichtet. Der christliche Ruf „Er ist auferstanden!“, der sich wie Windeseile in den frühen christlichen Gemeinschaften verbreitete und rasch zu so etwas wie einem Erkennungszeichen wurde, bedeutete also nicht so etwas wie: „Da ist ein übernatürlicher Hokuspokus passiert“, sondern er bedeutete: „Was wir geglaubt haben und was Jesus uns gelehrt hat, ist kein Irrtum, sondern stimmt tatsächlich – trotz Kreuzigung.“

Diese Bedeutung könnte der Glaube an die Auferstehung allerdings auch dann haben, wenn Jesus die Kreuzung tatsächlich überlebt haben sollte. Er ist auferstanden! – gegen alle Wahrscheinlichkeit. Seine Botschaft stimmt, die Welt ist erlöst. Das alles kann man glauben, ganz unabhängig davon, ob Jesus nach der Kreuzigung wirklich mausetot war oder sie haarscharf und gegen alle Wahrscheinlichkeiten wundersam überlebt haben sollte.

Die ganze Sache mit dem Sühne- und Opfertod, die im westlich-europäischen Christentum später eine so große Rolle spielte, geht hingegen nicht wirklich auf Paulus zurück, sondern auf den britischen Erzbischof Anselm von Canterbury, der sie erst im 11. Jahrhundert entwickelte. Bis zum 9. Jahrhundert spielten Kreuzigungs-Darstellungen in der christlichen Ikonografie überhaupt keine große Rolle (und spielen es in den östlichen, orthodoxen Kirchen bis heute nicht, genauso wenig wie in den pfingstkirchlichen Gemeinschaften).

Die Idee, dass Jesus vielleicht nicht ganz tot war, bringt also einige Punkte der christlichen und besonders der römisch-katholischen Dogmatik in Bedrängnis, aber keinsewegs den christlichen Glauben an Jesus Christus als Erlöser der Welt als solchen. „Er ist auferstanden!“ ist eine Gewissheit, die sogar dann gälte, wenn man mit hundertprozentiger Sicherheit wüsste, dass Jesus gekreuzigt worden ist. Sie gilt aber natürlich auch dann, wenn er haarscharf überlebt haben sollte.

Johannes Fried: Kein Tod auf Golgatha. Auf der Suche nach dem überlebenden Jesus. C.H. Beck, 189 Seiten, 19,95 Euro.

Weiterlesen:

Er ist auferstanden! Wer das glaubt, lebt anders.


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Antje Schrupp 227 Artikel

Dr. Antje Schrupp ist Chefredakteurin des EFO-Magazins. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com Mastodon: @antjeschrupp@kirche.social

1 Kommentar

10. Januar 2022 18:16 Heiner Thiessen

Nikos Kazantsakis schrieb The Last Temptation of Christ. Martin Scorsese machte einen Film daraus und erfindet einen faszinierenden Dialog zwischen Jesus und Saulus. Gerald Messadie beschreibt das Leben Jesu in Srinagar, wo man eine Skulptur fand, die die Fußabdrücke Jesu mit asymmetrischen Wundmalen zeigen, die einer gleichzeitigen Nagelung beider Füße entsprechen. Auf der Route von Syrien nach Kashmir gibt eine Reihe von Stätten und Funden, die von einer Begegnung mit Jesus Christos berichten. Die Faszination bleibt bestehen, egal ob man dazu eine Auferstehung, eine Himmelfahrt und eine Mysteriöse Geburt dazu braucht.

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